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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Titel wir diesen Zeilen vorgesetzt haben. Die Grenzboten stehen zu diesem
Buche in einem gewissen Familienverhältniß, welches nicht ohne zärtliche Zuneigung
ist; sie haben im vorigen Jahr eine Anzahl von Capiteln aus demselben uuter
dem Titel: ^ur neuesten Geschichte Ungarns" mitgetheilt, und dürfen voraus¬
setzen, daß die' Beziehung ans diese Theile hinreichen wird, dem jetzt vollendeten
Ganzen uuter den Lesern unseres Blattes Freunde zu erwerben. Jedenfalls ist
von Allem, was bis jetzt über Ungarn erschien, Schlesingers Werk das interessan¬
teste, sowohl in Haltung, Styl und Form, als durch das Urtheil, welches der
Versasser über die großen Begebenheiten fällt. Das Buch stellt sich die Aufgabe,
den ungarischen Kampf und seine Helden, vor Allem aber den nationalen Boden,
ans welchem beide hervorgewachsen sind, zu charakterisiren; es ist darauf berechnet,
sowohl durch die Darstellung, als durch seineu Inhalt, in großem Kreise zu
wirken, zu fesseln und zu überzeugen. Mit verständiger Bescheidenheit sagt der
Verfasser in der Einleitung, daß eine Geschichte der Revolution zu schreiben, jetzt
wo noch vieles Einzelne dunkel und die Gemüther in Haß und Liebe befangen
sind, unmöglich sein dürste; es ist daher natürlich, daß alle besseren Schriften in
der Form von Memoiren oder Skizzen erscheinen. In dieser genrehasten Dar¬
stellung ist Schlesinger Meister und wir Deutsche lernen in ihm ein merkwürdiges
Talent für künstlerische Anordnung eines gegebenen Stoffes.kennen. Er versteht
nämlich mit großer Kunst einzelne Momente oder Zustände kräftig und imponirend
herauszuheben, und durch eine Masse vou partienlaristrtcn Anschauungen lebendig
und dramatisch zu machen, und wieder, wo eS darauf ankommt, durch kurze
Striche Persollen und Begebenheiten scharf zu umreißen. So groß ist dies Talent
der Darstellung, daß die brillante Malerei dem Leser hier und da als Haupt¬
sache erscheinen wird, die Thatsachen als die Masse, aus welcher der Künstler mit
Freiheit bildet. Die Ansichten über die Berechtigung und den Werth solcher Auf¬
fassung geschichtlicher Zustände dürften sehr verschieden sein, sicher ist, daß sie
Vielen ein -richtigeres Bild vou dem originellen Leben des fremden Volkes geben,
als lange seelenlose Beschreibungen und daß sie, mit solcher Virtuosität ausgeführt,
den Leser ans jeder Seite des Buches anregen. Da dieses Buch, so viel wir
wissen, die erste größere Arbeit ist, mit welcher Schlesinger in der Oeffentlichkeit
erscheint, so knüpft sich an die Lectüre auch ein neugieriges Interesse an den
Verfasser, nicht nnr an dein warmen ungarischen Patrioten, sondern anch an der
Tragweite seines künstlerischen Talentes. Unzweifelhaft ist eine productive Kraft bei
Schlesinger Vorhanden. Leicht und mühelos kristallisirt sich ihm der kolossale
Stoff zu eiuer Reihe vou abgeschlossenen epischen Scenen, für jede weiß er im
Styl die zweckmäßige Diktion, in der Ausführung die wirksamste Färbung zu
finden. Seine Darstellungen der Landschaften, der Husaren, der Czikose, einzelner
geschichtlicher Momente, sind in der That kleine Kunstwerke. Für uns, die Leser,
und ihn selbst entsteht min die interessante Frage, ob er die Fähigkeit und Lust


Titel wir diesen Zeilen vorgesetzt haben. Die Grenzboten stehen zu diesem
Buche in einem gewissen Familienverhältniß, welches nicht ohne zärtliche Zuneigung
ist; sie haben im vorigen Jahr eine Anzahl von Capiteln aus demselben uuter
dem Titel: ^ur neuesten Geschichte Ungarns" mitgetheilt, und dürfen voraus¬
setzen, daß die' Beziehung ans diese Theile hinreichen wird, dem jetzt vollendeten
Ganzen uuter den Lesern unseres Blattes Freunde zu erwerben. Jedenfalls ist
von Allem, was bis jetzt über Ungarn erschien, Schlesingers Werk das interessan¬
teste, sowohl in Haltung, Styl und Form, als durch das Urtheil, welches der
Versasser über die großen Begebenheiten fällt. Das Buch stellt sich die Aufgabe,
den ungarischen Kampf und seine Helden, vor Allem aber den nationalen Boden,
ans welchem beide hervorgewachsen sind, zu charakterisiren; es ist darauf berechnet,
sowohl durch die Darstellung, als durch seineu Inhalt, in großem Kreise zu
wirken, zu fesseln und zu überzeugen. Mit verständiger Bescheidenheit sagt der
Verfasser in der Einleitung, daß eine Geschichte der Revolution zu schreiben, jetzt
wo noch vieles Einzelne dunkel und die Gemüther in Haß und Liebe befangen
sind, unmöglich sein dürste; es ist daher natürlich, daß alle besseren Schriften in
der Form von Memoiren oder Skizzen erscheinen. In dieser genrehasten Dar¬
stellung ist Schlesinger Meister und wir Deutsche lernen in ihm ein merkwürdiges
Talent für künstlerische Anordnung eines gegebenen Stoffes.kennen. Er versteht
nämlich mit großer Kunst einzelne Momente oder Zustände kräftig und imponirend
herauszuheben, und durch eine Masse vou partienlaristrtcn Anschauungen lebendig
und dramatisch zu machen, und wieder, wo eS darauf ankommt, durch kurze
Striche Persollen und Begebenheiten scharf zu umreißen. So groß ist dies Talent
der Darstellung, daß die brillante Malerei dem Leser hier und da als Haupt¬
sache erscheinen wird, die Thatsachen als die Masse, aus welcher der Künstler mit
Freiheit bildet. Die Ansichten über die Berechtigung und den Werth solcher Auf¬
fassung geschichtlicher Zustände dürften sehr verschieden sein, sicher ist, daß sie
Vielen ein -richtigeres Bild vou dem originellen Leben des fremden Volkes geben,
als lange seelenlose Beschreibungen und daß sie, mit solcher Virtuosität ausgeführt,
den Leser ans jeder Seite des Buches anregen. Da dieses Buch, so viel wir
wissen, die erste größere Arbeit ist, mit welcher Schlesinger in der Oeffentlichkeit
erscheint, so knüpft sich an die Lectüre auch ein neugieriges Interesse an den
Verfasser, nicht nnr an dein warmen ungarischen Patrioten, sondern anch an der
Tragweite seines künstlerischen Talentes. Unzweifelhaft ist eine productive Kraft bei
Schlesinger Vorhanden. Leicht und mühelos kristallisirt sich ihm der kolossale
Stoff zu eiuer Reihe vou abgeschlossenen epischen Scenen, für jede weiß er im
Styl die zweckmäßige Diktion, in der Ausführung die wirksamste Färbung zu
finden. Seine Darstellungen der Landschaften, der Husaren, der Czikose, einzelner
geschichtlicher Momente, sind in der That kleine Kunstwerke. Für uns, die Leser,
und ihn selbst entsteht min die interessante Frage, ob er die Fähigkeit und Lust


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[0159] Titel wir diesen Zeilen vorgesetzt haben. Die Grenzboten stehen zu diesem Buche in einem gewissen Familienverhältniß, welches nicht ohne zärtliche Zuneigung ist; sie haben im vorigen Jahr eine Anzahl von Capiteln aus demselben uuter dem Titel: ^ur neuesten Geschichte Ungarns" mitgetheilt, und dürfen voraus¬ setzen, daß die' Beziehung ans diese Theile hinreichen wird, dem jetzt vollendeten Ganzen uuter den Lesern unseres Blattes Freunde zu erwerben. Jedenfalls ist von Allem, was bis jetzt über Ungarn erschien, Schlesingers Werk das interessan¬ teste, sowohl in Haltung, Styl und Form, als durch das Urtheil, welches der Versasser über die großen Begebenheiten fällt. Das Buch stellt sich die Aufgabe, den ungarischen Kampf und seine Helden, vor Allem aber den nationalen Boden, ans welchem beide hervorgewachsen sind, zu charakterisiren; es ist darauf berechnet, sowohl durch die Darstellung, als durch seineu Inhalt, in großem Kreise zu wirken, zu fesseln und zu überzeugen. Mit verständiger Bescheidenheit sagt der Verfasser in der Einleitung, daß eine Geschichte der Revolution zu schreiben, jetzt wo noch vieles Einzelne dunkel und die Gemüther in Haß und Liebe befangen sind, unmöglich sein dürste; es ist daher natürlich, daß alle besseren Schriften in der Form von Memoiren oder Skizzen erscheinen. In dieser genrehasten Dar¬ stellung ist Schlesinger Meister und wir Deutsche lernen in ihm ein merkwürdiges Talent für künstlerische Anordnung eines gegebenen Stoffes.kennen. Er versteht nämlich mit großer Kunst einzelne Momente oder Zustände kräftig und imponirend herauszuheben, und durch eine Masse vou partienlaristrtcn Anschauungen lebendig und dramatisch zu machen, und wieder, wo eS darauf ankommt, durch kurze Striche Persollen und Begebenheiten scharf zu umreißen. So groß ist dies Talent der Darstellung, daß die brillante Malerei dem Leser hier und da als Haupt¬ sache erscheinen wird, die Thatsachen als die Masse, aus welcher der Künstler mit Freiheit bildet. Die Ansichten über die Berechtigung und den Werth solcher Auf¬ fassung geschichtlicher Zustände dürften sehr verschieden sein, sicher ist, daß sie Vielen ein -richtigeres Bild vou dem originellen Leben des fremden Volkes geben, als lange seelenlose Beschreibungen und daß sie, mit solcher Virtuosität ausgeführt, den Leser ans jeder Seite des Buches anregen. Da dieses Buch, so viel wir wissen, die erste größere Arbeit ist, mit welcher Schlesinger in der Oeffentlichkeit erscheint, so knüpft sich an die Lectüre auch ein neugieriges Interesse an den Verfasser, nicht nnr an dein warmen ungarischen Patrioten, sondern anch an der Tragweite seines künstlerischen Talentes. Unzweifelhaft ist eine productive Kraft bei Schlesinger Vorhanden. Leicht und mühelos kristallisirt sich ihm der kolossale Stoff zu eiuer Reihe vou abgeschlossenen epischen Scenen, für jede weiß er im Styl die zweckmäßige Diktion, in der Ausführung die wirksamste Färbung zu finden. Seine Darstellungen der Landschaften, der Husaren, der Czikose, einzelner geschichtlicher Momente, sind in der That kleine Kunstwerke. Für uns, die Leser, und ihn selbst entsteht min die interessante Frage, ob er die Fähigkeit und Lust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/159>, abgerufen am 01.07.2024.