Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Werkzeug. Wie es den Adel als Stand demüthigte und zugleich den Adeligen
als Individuum im Heer nud in der Bureaukratie dem Bürgerlichen auf den
Nacken setzte, so zügelte es die Selbstständigkeit des Clerus, benützte ihn aber als
pädagogisch-politische Waffe zur Entmannung der Geister. Vor dem Rückfall in
diese Sunde hat sich die Regierung besonders zu hüten. Die heiligen Bater ent¬
wickeln in den Provinzen eine staunenswerthe Thätigkeit, die Nedcmtoristcn ver¬
anstalten Missionen und faseln dem Landvolk Mirakel vor, welche glücklicherweise
oft sehr abgeschmackt sind; die Reorganisation des Erziehungswesens würde auch
bei größerem Eifer der Regierung und bei einem anständigeren Budget des Cultuö-
departements -- l'/s Millionen Gulden bei einer Bevölkerung von 35 Millionen
Seelen -- nur langsam fortschreiten, weil fabelhaft Viel nachzuholen ist. Die
Regierung hat also hohe Zeit, ihrerseits Missionen zu veranstalten und die Missio-
näre im Nothfall dutzendweise aus Deutschland kommen zu lassen. Leider jedoch
hört man, daß Gras Thun, welcher nicht eben zu den Feinden der Kirche zählt,
in seiner Carriere als Kultusminister von früh bis Abend gegen pfäffische Barri¬
kaden zu kämpfen hat, und von der Negierung so schwach unterstützt wird, daß er
das Portefeuille niederlegen will.

Um den Theresienorden, von dem jüngst 22 Glieder der Armee verschiedene
Grade erhielten, waren nicht weniger als 126 Gesuche eingelaufen. Der Orden
wird, seineu Statuten gemäß, nur sür eine in ihren Folgen entscheidende That
persönlicher Tapferkeit, die der Krieger unterlassen konnte, ohne seiner Pflicht und
Ehre zu vergeben, also nnr für einen Act von seltenem und glückgekröntem Herois¬
mus und nur auf ausdrückliche Bewerbung des Ordenökandidaten verliehen. Unter
den 22 Heroen befindet sich neben Haynan Fürst Windischgrätz, "wegen der ge¬
lungenen Unterwerfung von Prag und Wien", eben so ein zweiundzwanzigjähriger
Officier Montenouvo. Das neidische Militär will von den Heldenthaten, durch
die Moutenouvo das Vaterland gerettet habe, Nichts wissen und behauptet, der
Ordensritter habe bis jetzt kein anderes Verdienst als das, ein Sohn Marie Loui-
sens und des Grasen Nenpperg zu sein.




"Aus Ungarn" von Max Schlesinger.

Wie in England, so wachsen anch in Deutschland die Schriften über den
ungarischen Krieg zu eiuer Bibliothek heran. Nach vielem Schlechten und Mittel¬
mäßigen und einigem Bessern erscheinen jetzt Arbeiten von größerem Werth. Von
den Memoiren der Fran Therese Pulszky ist der erste Band erschienen, die Me¬
moiren von Klapka werden täglich erwartet; das Neueste ist das Werk, dessen


Werkzeug. Wie es den Adel als Stand demüthigte und zugleich den Adeligen
als Individuum im Heer nud in der Bureaukratie dem Bürgerlichen auf den
Nacken setzte, so zügelte es die Selbstständigkeit des Clerus, benützte ihn aber als
pädagogisch-politische Waffe zur Entmannung der Geister. Vor dem Rückfall in
diese Sunde hat sich die Regierung besonders zu hüten. Die heiligen Bater ent¬
wickeln in den Provinzen eine staunenswerthe Thätigkeit, die Nedcmtoristcn ver¬
anstalten Missionen und faseln dem Landvolk Mirakel vor, welche glücklicherweise
oft sehr abgeschmackt sind; die Reorganisation des Erziehungswesens würde auch
bei größerem Eifer der Regierung und bei einem anständigeren Budget des Cultuö-
departements — l'/s Millionen Gulden bei einer Bevölkerung von 35 Millionen
Seelen — nur langsam fortschreiten, weil fabelhaft Viel nachzuholen ist. Die
Regierung hat also hohe Zeit, ihrerseits Missionen zu veranstalten und die Missio-
näre im Nothfall dutzendweise aus Deutschland kommen zu lassen. Leider jedoch
hört man, daß Gras Thun, welcher nicht eben zu den Feinden der Kirche zählt,
in seiner Carriere als Kultusminister von früh bis Abend gegen pfäffische Barri¬
kaden zu kämpfen hat, und von der Negierung so schwach unterstützt wird, daß er
das Portefeuille niederlegen will.

Um den Theresienorden, von dem jüngst 22 Glieder der Armee verschiedene
Grade erhielten, waren nicht weniger als 126 Gesuche eingelaufen. Der Orden
wird, seineu Statuten gemäß, nur sür eine in ihren Folgen entscheidende That
persönlicher Tapferkeit, die der Krieger unterlassen konnte, ohne seiner Pflicht und
Ehre zu vergeben, also nnr für einen Act von seltenem und glückgekröntem Herois¬
mus und nur auf ausdrückliche Bewerbung des Ordenökandidaten verliehen. Unter
den 22 Heroen befindet sich neben Haynan Fürst Windischgrätz, „wegen der ge¬
lungenen Unterwerfung von Prag und Wien", eben so ein zweiundzwanzigjähriger
Officier Montenouvo. Das neidische Militär will von den Heldenthaten, durch
die Moutenouvo das Vaterland gerettet habe, Nichts wissen und behauptet, der
Ordensritter habe bis jetzt kein anderes Verdienst als das, ein Sohn Marie Loui-
sens und des Grasen Nenpperg zu sein.




„Aus Ungarn" von Max Schlesinger.

Wie in England, so wachsen anch in Deutschland die Schriften über den
ungarischen Krieg zu eiuer Bibliothek heran. Nach vielem Schlechten und Mittel¬
mäßigen und einigem Bessern erscheinen jetzt Arbeiten von größerem Werth. Von
den Memoiren der Fran Therese Pulszky ist der erste Band erschienen, die Me¬
moiren von Klapka werden täglich erwartet; das Neueste ist das Werk, dessen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185494"/>
          <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441"> Werkzeug. Wie es den Adel als Stand demüthigte und zugleich den Adeligen<lb/>
als Individuum im Heer nud in der Bureaukratie dem Bürgerlichen auf den<lb/>
Nacken setzte, so zügelte es die Selbstständigkeit des Clerus, benützte ihn aber als<lb/>
pädagogisch-politische Waffe zur Entmannung der Geister. Vor dem Rückfall in<lb/>
diese Sunde hat sich die Regierung besonders zu hüten. Die heiligen Bater ent¬<lb/>
wickeln in den Provinzen eine staunenswerthe Thätigkeit, die Nedcmtoristcn ver¬<lb/>
anstalten Missionen und faseln dem Landvolk Mirakel vor, welche glücklicherweise<lb/>
oft sehr abgeschmackt sind; die Reorganisation des Erziehungswesens würde auch<lb/>
bei größerem Eifer der Regierung und bei einem anständigeren Budget des Cultuö-<lb/>
departements &#x2014; l'/s Millionen Gulden bei einer Bevölkerung von 35 Millionen<lb/>
Seelen &#x2014; nur langsam fortschreiten, weil fabelhaft Viel nachzuholen ist. Die<lb/>
Regierung hat also hohe Zeit, ihrerseits Missionen zu veranstalten und die Missio-<lb/>
näre im Nothfall dutzendweise aus Deutschland kommen zu lassen. Leider jedoch<lb/>
hört man, daß Gras Thun, welcher nicht eben zu den Feinden der Kirche zählt,<lb/>
in seiner Carriere als Kultusminister von früh bis Abend gegen pfäffische Barri¬<lb/>
kaden zu kämpfen hat, und von der Negierung so schwach unterstützt wird, daß er<lb/>
das Portefeuille niederlegen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_443"> Um den Theresienorden, von dem jüngst 22 Glieder der Armee verschiedene<lb/>
Grade erhielten, waren nicht weniger als 126 Gesuche eingelaufen. Der Orden<lb/>
wird, seineu Statuten gemäß, nur sür eine in ihren Folgen entscheidende That<lb/>
persönlicher Tapferkeit, die der Krieger unterlassen konnte, ohne seiner Pflicht und<lb/>
Ehre zu vergeben, also nnr für einen Act von seltenem und glückgekröntem Herois¬<lb/>
mus und nur auf ausdrückliche Bewerbung des Ordenökandidaten verliehen. Unter<lb/>
den 22 Heroen befindet sich neben Haynan Fürst Windischgrätz, &#x201E;wegen der ge¬<lb/>
lungenen Unterwerfung von Prag und Wien", eben so ein zweiundzwanzigjähriger<lb/>
Officier Montenouvo. Das neidische Militär will von den Heldenthaten, durch<lb/>
die Moutenouvo das Vaterland gerettet habe, Nichts wissen und behauptet, der<lb/>
Ordensritter habe bis jetzt kein anderes Verdienst als das, ein Sohn Marie Loui-<lb/>
sens und des Grasen Nenpperg zu sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> &#x201E;Aus Ungarn" von Max Schlesinger.<lb/></head><lb/>
          <p xml:id="ID_444" next="#ID_445"> Wie in England, so wachsen anch in Deutschland die Schriften über den<lb/>
ungarischen Krieg zu eiuer Bibliothek heran. Nach vielem Schlechten und Mittel¬<lb/>
mäßigen und einigem Bessern erscheinen jetzt Arbeiten von größerem Werth. Von<lb/>
den Memoiren der Fran Therese Pulszky ist der erste Band erschienen, die Me¬<lb/>
moiren von Klapka werden täglich erwartet; das Neueste ist das Werk, dessen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Werkzeug. Wie es den Adel als Stand demüthigte und zugleich den Adeligen als Individuum im Heer nud in der Bureaukratie dem Bürgerlichen auf den Nacken setzte, so zügelte es die Selbstständigkeit des Clerus, benützte ihn aber als pädagogisch-politische Waffe zur Entmannung der Geister. Vor dem Rückfall in diese Sunde hat sich die Regierung besonders zu hüten. Die heiligen Bater ent¬ wickeln in den Provinzen eine staunenswerthe Thätigkeit, die Nedcmtoristcn ver¬ anstalten Missionen und faseln dem Landvolk Mirakel vor, welche glücklicherweise oft sehr abgeschmackt sind; die Reorganisation des Erziehungswesens würde auch bei größerem Eifer der Regierung und bei einem anständigeren Budget des Cultuö- departements — l'/s Millionen Gulden bei einer Bevölkerung von 35 Millionen Seelen — nur langsam fortschreiten, weil fabelhaft Viel nachzuholen ist. Die Regierung hat also hohe Zeit, ihrerseits Missionen zu veranstalten und die Missio- näre im Nothfall dutzendweise aus Deutschland kommen zu lassen. Leider jedoch hört man, daß Gras Thun, welcher nicht eben zu den Feinden der Kirche zählt, in seiner Carriere als Kultusminister von früh bis Abend gegen pfäffische Barri¬ kaden zu kämpfen hat, und von der Negierung so schwach unterstützt wird, daß er das Portefeuille niederlegen will. Um den Theresienorden, von dem jüngst 22 Glieder der Armee verschiedene Grade erhielten, waren nicht weniger als 126 Gesuche eingelaufen. Der Orden wird, seineu Statuten gemäß, nur sür eine in ihren Folgen entscheidende That persönlicher Tapferkeit, die der Krieger unterlassen konnte, ohne seiner Pflicht und Ehre zu vergeben, also nnr für einen Act von seltenem und glückgekröntem Herois¬ mus und nur auf ausdrückliche Bewerbung des Ordenökandidaten verliehen. Unter den 22 Heroen befindet sich neben Haynan Fürst Windischgrätz, „wegen der ge¬ lungenen Unterwerfung von Prag und Wien", eben so ein zweiundzwanzigjähriger Officier Montenouvo. Das neidische Militär will von den Heldenthaten, durch die Moutenouvo das Vaterland gerettet habe, Nichts wissen und behauptet, der Ordensritter habe bis jetzt kein anderes Verdienst als das, ein Sohn Marie Loui- sens und des Grasen Nenpperg zu sein. „Aus Ungarn" von Max Schlesinger. Wie in England, so wachsen anch in Deutschland die Schriften über den ungarischen Krieg zu eiuer Bibliothek heran. Nach vielem Schlechten und Mittel¬ mäßigen und einigem Bessern erscheinen jetzt Arbeiten von größerem Werth. Von den Memoiren der Fran Therese Pulszky ist der erste Band erschienen, die Me¬ moiren von Klapka werden täglich erwartet; das Neueste ist das Werk, dessen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/158>, abgerufen am 29.06.2024.