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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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hinter dem Dorfe zu entfernen, bis wenigstens einer der zu jedem Wagen gehö¬
renden Gesellschaft erschienen wäre; allein als ich bei den Wagen ankam , machte
ich die ehrenvolle, aber nicht angenehme Entdeckung, daß ich nicht zu den schnell¬
füßigsten unserer Armee gehörte; meine Kameraden hatten Gebrauch von ihrem
Rechte gemacht, und ich stand auf dem Wege mit der tröstlichen Hoffnung, von
den Hnrbanisten als gute Prise mitgenommen und auf irgend einem Opferaltar
der Libussa gebraten zu werden. Da fiel mein suchender Blick auf einen elegan¬
ten Nentitscheiner Wagen, dessen Kutscher mit ängstlichen Blicken seinen Herrn
suchte; ich sah deutlich, wie das schone Gespann in den Besitz Hnrbanö kommen
werde, nud glaubte, dem frühern Besitzer gar kein Unrecht zu thun, wenn ich
den Feinden des Vaterlandes diese Beute entreiße; in einem Nu und mit einem
Sprunge war ich ans dem Wagen und rief dem ängstlichen Kutscher zu: "fahreI"
Dieser blickte mich mit einer zweifelhaften Miene an, aber eine Bewegung meiner
Hand nach dein Säbelgriff verführte die arme Seele, und die, vielleicht zum ersten
Male gepeitschten Pferde flogen über Stock und Stein den übrigen Flüchtlingen uach.
Indessen hatte sich der größte Theil der Flüchtlinge bei den dahinrolleuden Wagen
eingefunden, und auf diese geworfen, so daß fast-jeder Wagen 10--12 Passagiere
hatte; auch meine kleine herrenlose Nentitscheinka faßte schon drei Gäste in ihrem
engen Korbe, als wir seitwärts hinter uns eine Stimme hörten, die mit äußerster
Anstrengung den Namen Janosch! Janosch! rief. Der Kutscher wendete sich bei
diesem Rufe und schrie in freudigem Schreck: .jaj urna!" O weh! mein Herr! in¬
dem er die Pferde anhielt. Die schmächtige Gestalt eines Edelmanns näherte
sich mit letzter Kraftanstrengung dem Wagen; wir zogen ihn an den Händen her¬
auf, und der Kutscher jagte im Gallopp weiter, denn unsere Verfolger waren
nahe, und viele Schüsse sanften an uusern Ohren vorbei. Ich fand es passend,
meine Entschuldigung bei dem Eigenthümer des Wagens anzubringen, aber
dieser war uicht sähig zu antworten, sondern lächelte sehr zufrieden, und
machte häufig verneinende Kopfbewegungen, welche sagen sollten: Gar kein Grund
zur Entschuldigung! Er hatte nämlich am linken Flügel gestanden, und war mit
seinein Häuflein uach der dem Wagen entgegengesetzten Richtung gesprengt worden,
er hätte also den Wagen auf der Station hinter dem Dorfe nie erreichen können;
so wurde meine Disposition sein größtes Glück und es war verständig, daß er
das einsah. Unterdeß waren wir in eonpirteö Terrain gelangt, zwischen unregel¬
mäßige, mit Gesträuch bewachsene Hügel. Unsere Verfolger waren eifrig hinter
uns her und ihre Schüsse sanften über uns und bewirkten bei Janosch und
den Pferden und der Peitsche eine unerhörte Thätigkeit. Unser Wagen war in
einen kleinen Hohlweg eingelenkt, und wir merkten die Spuren der Kugeln an
den Bäumen über uns, als plötzlich aus einer Seitengrube ein Bauernweib mit
einem langen Messer bewaffnet hervorsprang, den Pferden in die Zügel siel, das
Messer drohend gegen die Brust des einen stemmte und mit dem Ausdruck und


hinter dem Dorfe zu entfernen, bis wenigstens einer der zu jedem Wagen gehö¬
renden Gesellschaft erschienen wäre; allein als ich bei den Wagen ankam , machte
ich die ehrenvolle, aber nicht angenehme Entdeckung, daß ich nicht zu den schnell¬
füßigsten unserer Armee gehörte; meine Kameraden hatten Gebrauch von ihrem
Rechte gemacht, und ich stand auf dem Wege mit der tröstlichen Hoffnung, von
den Hnrbanisten als gute Prise mitgenommen und auf irgend einem Opferaltar
der Libussa gebraten zu werden. Da fiel mein suchender Blick auf einen elegan¬
ten Nentitscheiner Wagen, dessen Kutscher mit ängstlichen Blicken seinen Herrn
suchte; ich sah deutlich, wie das schone Gespann in den Besitz Hnrbanö kommen
werde, nud glaubte, dem frühern Besitzer gar kein Unrecht zu thun, wenn ich
den Feinden des Vaterlandes diese Beute entreiße; in einem Nu und mit einem
Sprunge war ich ans dem Wagen und rief dem ängstlichen Kutscher zu: „fahreI"
Dieser blickte mich mit einer zweifelhaften Miene an, aber eine Bewegung meiner
Hand nach dein Säbelgriff verführte die arme Seele, und die, vielleicht zum ersten
Male gepeitschten Pferde flogen über Stock und Stein den übrigen Flüchtlingen uach.
Indessen hatte sich der größte Theil der Flüchtlinge bei den dahinrolleuden Wagen
eingefunden, und auf diese geworfen, so daß fast-jeder Wagen 10—12 Passagiere
hatte; auch meine kleine herrenlose Nentitscheinka faßte schon drei Gäste in ihrem
engen Korbe, als wir seitwärts hinter uns eine Stimme hörten, die mit äußerster
Anstrengung den Namen Janosch! Janosch! rief. Der Kutscher wendete sich bei
diesem Rufe und schrie in freudigem Schreck: .jaj urna!" O weh! mein Herr! in¬
dem er die Pferde anhielt. Die schmächtige Gestalt eines Edelmanns näherte
sich mit letzter Kraftanstrengung dem Wagen; wir zogen ihn an den Händen her¬
auf, und der Kutscher jagte im Gallopp weiter, denn unsere Verfolger waren
nahe, und viele Schüsse sanften an uusern Ohren vorbei. Ich fand es passend,
meine Entschuldigung bei dem Eigenthümer des Wagens anzubringen, aber
dieser war uicht sähig zu antworten, sondern lächelte sehr zufrieden, und
machte häufig verneinende Kopfbewegungen, welche sagen sollten: Gar kein Grund
zur Entschuldigung! Er hatte nämlich am linken Flügel gestanden, und war mit
seinein Häuflein uach der dem Wagen entgegengesetzten Richtung gesprengt worden,
er hätte also den Wagen auf der Station hinter dem Dorfe nie erreichen können;
so wurde meine Disposition sein größtes Glück und es war verständig, daß er
das einsah. Unterdeß waren wir in eonpirteö Terrain gelangt, zwischen unregel¬
mäßige, mit Gesträuch bewachsene Hügel. Unsere Verfolger waren eifrig hinter
uns her und ihre Schüsse sanften über uns und bewirkten bei Janosch und
den Pferden und der Peitsche eine unerhörte Thätigkeit. Unser Wagen war in
einen kleinen Hohlweg eingelenkt, und wir merkten die Spuren der Kugeln an
den Bäumen über uns, als plötzlich aus einer Seitengrube ein Bauernweib mit
einem langen Messer bewaffnet hervorsprang, den Pferden in die Zügel siel, das
Messer drohend gegen die Brust des einen stemmte und mit dem Ausdruck und


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[0149] hinter dem Dorfe zu entfernen, bis wenigstens einer der zu jedem Wagen gehö¬ renden Gesellschaft erschienen wäre; allein als ich bei den Wagen ankam , machte ich die ehrenvolle, aber nicht angenehme Entdeckung, daß ich nicht zu den schnell¬ füßigsten unserer Armee gehörte; meine Kameraden hatten Gebrauch von ihrem Rechte gemacht, und ich stand auf dem Wege mit der tröstlichen Hoffnung, von den Hnrbanisten als gute Prise mitgenommen und auf irgend einem Opferaltar der Libussa gebraten zu werden. Da fiel mein suchender Blick auf einen elegan¬ ten Nentitscheiner Wagen, dessen Kutscher mit ängstlichen Blicken seinen Herrn suchte; ich sah deutlich, wie das schone Gespann in den Besitz Hnrbanö kommen werde, nud glaubte, dem frühern Besitzer gar kein Unrecht zu thun, wenn ich den Feinden des Vaterlandes diese Beute entreiße; in einem Nu und mit einem Sprunge war ich ans dem Wagen und rief dem ängstlichen Kutscher zu: „fahreI" Dieser blickte mich mit einer zweifelhaften Miene an, aber eine Bewegung meiner Hand nach dein Säbelgriff verführte die arme Seele, und die, vielleicht zum ersten Male gepeitschten Pferde flogen über Stock und Stein den übrigen Flüchtlingen uach. Indessen hatte sich der größte Theil der Flüchtlinge bei den dahinrolleuden Wagen eingefunden, und auf diese geworfen, so daß fast-jeder Wagen 10—12 Passagiere hatte; auch meine kleine herrenlose Nentitscheinka faßte schon drei Gäste in ihrem engen Korbe, als wir seitwärts hinter uns eine Stimme hörten, die mit äußerster Anstrengung den Namen Janosch! Janosch! rief. Der Kutscher wendete sich bei diesem Rufe und schrie in freudigem Schreck: .jaj urna!" O weh! mein Herr! in¬ dem er die Pferde anhielt. Die schmächtige Gestalt eines Edelmanns näherte sich mit letzter Kraftanstrengung dem Wagen; wir zogen ihn an den Händen her¬ auf, und der Kutscher jagte im Gallopp weiter, denn unsere Verfolger waren nahe, und viele Schüsse sanften an uusern Ohren vorbei. Ich fand es passend, meine Entschuldigung bei dem Eigenthümer des Wagens anzubringen, aber dieser war uicht sähig zu antworten, sondern lächelte sehr zufrieden, und machte häufig verneinende Kopfbewegungen, welche sagen sollten: Gar kein Grund zur Entschuldigung! Er hatte nämlich am linken Flügel gestanden, und war mit seinein Häuflein uach der dem Wagen entgegengesetzten Richtung gesprengt worden, er hätte also den Wagen auf der Station hinter dem Dorfe nie erreichen können; so wurde meine Disposition sein größtes Glück und es war verständig, daß er das einsah. Unterdeß waren wir in eonpirteö Terrain gelangt, zwischen unregel¬ mäßige, mit Gesträuch bewachsene Hügel. Unsere Verfolger waren eifrig hinter uns her und ihre Schüsse sanften über uns und bewirkten bei Janosch und den Pferden und der Peitsche eine unerhörte Thätigkeit. Unser Wagen war in einen kleinen Hohlweg eingelenkt, und wir merkten die Spuren der Kugeln an den Bäumen über uns, als plötzlich aus einer Seitengrube ein Bauernweib mit einem langen Messer bewaffnet hervorsprang, den Pferden in die Zügel siel, das Messer drohend gegen die Brust des einen stemmte und mit dem Ausdruck und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/149>, abgerufen am 01.07.2024.