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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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heit und Freiheit, aber Sie sind im Begriffe, ihn durch einige constitutionelle
Formen für befriedigt zu erklären. Wir glauben, daß es besser sei, das deutsche
Neichsverfassuugswerk unverfälscht als unantastbaren Hort der Zukunft niederzu¬
legen in der Brust des deutscheu Volkes zum ewigen Gedächtniß. Denn, meine
Herren, täuschen wir uns darüber nicht! in der Praxis erreichen wir beide gegen¬
wärtig dasselbe, d. h. Nichts." -- "Möge das deutsche Volk das stammverwandte
Jnselvolk sich zum Muster nehmen! möge es bedenken, daß noch niemals einer
Nation Freiheit, Recht und Stärke beschieden ward ohne Anstrengung, ohne
schwere Mühe, ohne eisernen Willen. Das deutsche Volk möge dessen eingedenk
sein, und es wird doch frei und einig werden" (Bravoruf).

Wie die Linke durch Müller, so ward die äußerste Linke durch Cramer
vertreten (Dieskau war durch Krankheit ferngehalten) -- den Herausgeber der
Vaterlandsblätter. Er legte sein Glaubensbekenntnis-in den Worten ab: "Mir
kommt es uicht darauf an, ob das Band, welches um die deutschen Stämme ge¬
schlungen werden soll, etwas fester oder lockerer sei, mir kommt es darauf an, daß
die deutschen Stämme beisammen bleiben, daß sie Leid und Freude mit einander
tragen, und daß sie eine mit deu nöthige" Befugnissen ausgerüstete, aus freien
Wahlen hervorgehende Volksvertretung um die oberste Regierung Deutschlands
stellen. Ans die eigentliche, erbliche Spitze kommt es mir nicht an, ich bin zufrie¬
den, wenn die oberste Regierung Deutschlands in anderer Weise gebildet wird."
Daher erklärte er, selbst für den allgemeinen Antrag des Ausschusses nicht stimmen
zu tonnen -- er sehe darin nur eine Brücke, um darauf nach Erfurt zu gelangen.
Lieber stimme er für den Friesenschen Antrag, weil dieser das ganze Deutschland
zusammenhalten wolle.

So wiederholte sich hier das eigentliche Schauspiel von Frankfurt -- eine
Vereinigung der äußerstem Demokratie mit der östreichische" Partei auf dem
Boden deö gemeinsamen Hasses gegen den einheitlichen, monarchischen Bundes-
staat. Der gleiche äußere Zweck bei durchaus verschiedenen inneren Absichten.
Die Demokratie hoffte dnrch die Volksvertretung die lockere, in sich gespaltene
Spitze bald über deu Haufen zu werfen; die Direktorialpartei tröstete sich mit
der sichern Erwartung, daß eine Volksvertretung neben einem Direktorium nur
eine leere Form sein werde. In dieser stillen Hoffnung gegenseitiger Ueberlistung
stimmten unterdessen beide gemeinschaftlich für Verwerfung des Bundesstaates.

Noch eine dritte Partei zweigte sich von der Linken ab -- sie wollte die
Entscheidung verschieben, abwarten, nicht pessimistisch, sondern in der Hoffnung
einer Lösung der Frage auf dem Wege diplomatischer Verständigung. Vicepräsi-
dent Hab erkor" war es, der eine" dahinzielenden Antrag einbrachte. Von
dieser Seite mußte ein solches Entgegenkommen gegen die Wünsche der Regierungen
allerdings doppelt überraschen.


heit und Freiheit, aber Sie sind im Begriffe, ihn durch einige constitutionelle
Formen für befriedigt zu erklären. Wir glauben, daß es besser sei, das deutsche
Neichsverfassuugswerk unverfälscht als unantastbaren Hort der Zukunft niederzu¬
legen in der Brust des deutscheu Volkes zum ewigen Gedächtniß. Denn, meine
Herren, täuschen wir uns darüber nicht! in der Praxis erreichen wir beide gegen¬
wärtig dasselbe, d. h. Nichts." — „Möge das deutsche Volk das stammverwandte
Jnselvolk sich zum Muster nehmen! möge es bedenken, daß noch niemals einer
Nation Freiheit, Recht und Stärke beschieden ward ohne Anstrengung, ohne
schwere Mühe, ohne eisernen Willen. Das deutsche Volk möge dessen eingedenk
sein, und es wird doch frei und einig werden" (Bravoruf).

Wie die Linke durch Müller, so ward die äußerste Linke durch Cramer
vertreten (Dieskau war durch Krankheit ferngehalten) — den Herausgeber der
Vaterlandsblätter. Er legte sein Glaubensbekenntnis-in den Worten ab: „Mir
kommt es uicht darauf an, ob das Band, welches um die deutschen Stämme ge¬
schlungen werden soll, etwas fester oder lockerer sei, mir kommt es darauf an, daß
die deutschen Stämme beisammen bleiben, daß sie Leid und Freude mit einander
tragen, und daß sie eine mit deu nöthige» Befugnissen ausgerüstete, aus freien
Wahlen hervorgehende Volksvertretung um die oberste Regierung Deutschlands
stellen. Ans die eigentliche, erbliche Spitze kommt es mir nicht an, ich bin zufrie¬
den, wenn die oberste Regierung Deutschlands in anderer Weise gebildet wird."
Daher erklärte er, selbst für den allgemeinen Antrag des Ausschusses nicht stimmen
zu tonnen — er sehe darin nur eine Brücke, um darauf nach Erfurt zu gelangen.
Lieber stimme er für den Friesenschen Antrag, weil dieser das ganze Deutschland
zusammenhalten wolle.

So wiederholte sich hier das eigentliche Schauspiel von Frankfurt — eine
Vereinigung der äußerstem Demokratie mit der östreichische» Partei auf dem
Boden deö gemeinsamen Hasses gegen den einheitlichen, monarchischen Bundes-
staat. Der gleiche äußere Zweck bei durchaus verschiedenen inneren Absichten.
Die Demokratie hoffte dnrch die Volksvertretung die lockere, in sich gespaltene
Spitze bald über deu Haufen zu werfen; die Direktorialpartei tröstete sich mit
der sichern Erwartung, daß eine Volksvertretung neben einem Direktorium nur
eine leere Form sein werde. In dieser stillen Hoffnung gegenseitiger Ueberlistung
stimmten unterdessen beide gemeinschaftlich für Verwerfung des Bundesstaates.

Noch eine dritte Partei zweigte sich von der Linken ab — sie wollte die
Entscheidung verschieben, abwarten, nicht pessimistisch, sondern in der Hoffnung
einer Lösung der Frage auf dem Wege diplomatischer Verständigung. Vicepräsi-
dent Hab erkor» war es, der eine» dahinzielenden Antrag einbrachte. Von
dieser Seite mußte ein solches Entgegenkommen gegen die Wünsche der Regierungen
allerdings doppelt überraschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/136>, abgerufen am 25.08.2024.