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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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offen. "Hätte die Regierung uns einen andern Vorschlag gemacht," sagte er,
"oder würde die Negierung uns einen andern Weg geben, auf welchem dasselbe
Ziel, welches wir erstreben, erlangt werden könnte, dann würden wir dies gewiß
zu erwägen haben, wir wurden zu erwägen haben, welcher von den nun vorlie-
genden Wegen der geeignetste sei, um die Interessen des deutschen Vaterlandes,
seiner Einzelstaaten, und insbesondere auch Sachsens, vollständig wahren
zu können."

Zu den bedeutendsten Reden nicht blos dieses Tages, sondern dieser ganzen
Verhandlung gehörte die des Abgeordneten Müller von Niederloßnitz, des Füh¬
rers der eigentlichen Linken. Mit großer Zurückhaltung und Schonung, aber mit
sicherem Blick und fester Hand legte er die wunden Stellen der Politik des 26. Mai
offen. "Es müssen," sagte er, "Gründe der Praxis, der Zweckmäßigkeit da sein,
welche veranlassen könnten, dem Prinzipe untreu zu werden, nur sich ans das Ge¬
biet der vollendeten Thatsachen zu stellen. Mich dünkt, die Erfahrungen,
welche die Mitglieder der Frankfurter Mehrheit gemacht, seitdem sie dieses Ge¬
biet betreten, erregen hiergegen schwere Bedenken. Bittere Täuschungen, schmerz¬
liche Erfahrungen, Mißbehagen von oben und Mißtrauen von unten, das sind
die Früchte ihres l!ii88e/-in>,ü'<z gewesen. Es ist für den Vvlkspolitiker ein gefähr¬
licher und undankbarer Cultus, der Cultus des kalt aeoomM; undankbar, denn
die Reaction will keine Vermittlung, sondern vollständige Rückkehr zum Alten oder
noch Schlimmeres; gefährlich, denn das Volk vermag nicht sich die Schwankungen
seiner Vertreter zu erklären, welche mit dem Anerkennen der vollendeten That¬
sachen eng verbunden sind. Es hält, was Sie für Klugheit ansehen, für das
Ausgeben seines guten Rechts. Was aber hätten Sie den vollendeten Thatsachen
der Kabinette entgegenzustellen? Das Einzige wäre: die Revolution. Diese kön¬
nen und werden Sie nicht wollen. Gestehen Sie mir zu, meine Herren, daß
auf diesem Gebiete die Parthie zwischen Ihren und unsrer gemeinsamen Gegnern
allzu ungleich steht!"

Diese Anspielungen auf die Vorgänge des 7. Januar enthielten eine bittere,
schwer zurückzuweisende Wahrheit. Und leider hat auch die Nutzanwendung, die
der Redner davou in Bezug auf das Zustandebringen der Verfassung vom 26. Mai
machte, seitdem eine traurige Bewahrheitung erfahren. "Es ist wohl Niemand,
meine Herren," fuhr er fort, "der, Angesichts des Geistes, in welchem die Ver-
fassungsrevision in Berlin vollendet worden ist, glauben sollte, daß der Reichstag
zu Erfurt im Sinne des Fortschritts revidiren werde."

Auch die Schleswig-holsteinische Angelegenheit, diese wundeste Stelle der preu¬
ßischen Politik, blieb nicht unberührt.

Der Redner faßte am Schlüsse seiner und seine Partei Ansichten in der deut¬
schen Frage in folgender Parallele zusammen.

"Sie, meine Herren, erkennen den Drang des deutschen Volkes nach Ein-


offen. „Hätte die Regierung uns einen andern Vorschlag gemacht," sagte er,
„oder würde die Negierung uns einen andern Weg geben, auf welchem dasselbe
Ziel, welches wir erstreben, erlangt werden könnte, dann würden wir dies gewiß
zu erwägen haben, wir wurden zu erwägen haben, welcher von den nun vorlie-
genden Wegen der geeignetste sei, um die Interessen des deutschen Vaterlandes,
seiner Einzelstaaten, und insbesondere auch Sachsens, vollständig wahren
zu können."

Zu den bedeutendsten Reden nicht blos dieses Tages, sondern dieser ganzen
Verhandlung gehörte die des Abgeordneten Müller von Niederloßnitz, des Füh¬
rers der eigentlichen Linken. Mit großer Zurückhaltung und Schonung, aber mit
sicherem Blick und fester Hand legte er die wunden Stellen der Politik des 26. Mai
offen. „Es müssen," sagte er, „Gründe der Praxis, der Zweckmäßigkeit da sein,
welche veranlassen könnten, dem Prinzipe untreu zu werden, nur sich ans das Ge¬
biet der vollendeten Thatsachen zu stellen. Mich dünkt, die Erfahrungen,
welche die Mitglieder der Frankfurter Mehrheit gemacht, seitdem sie dieses Ge¬
biet betreten, erregen hiergegen schwere Bedenken. Bittere Täuschungen, schmerz¬
liche Erfahrungen, Mißbehagen von oben und Mißtrauen von unten, das sind
die Früchte ihres l!ii88e/-in>,ü'<z gewesen. Es ist für den Vvlkspolitiker ein gefähr¬
licher und undankbarer Cultus, der Cultus des kalt aeoomM; undankbar, denn
die Reaction will keine Vermittlung, sondern vollständige Rückkehr zum Alten oder
noch Schlimmeres; gefährlich, denn das Volk vermag nicht sich die Schwankungen
seiner Vertreter zu erklären, welche mit dem Anerkennen der vollendeten That¬
sachen eng verbunden sind. Es hält, was Sie für Klugheit ansehen, für das
Ausgeben seines guten Rechts. Was aber hätten Sie den vollendeten Thatsachen
der Kabinette entgegenzustellen? Das Einzige wäre: die Revolution. Diese kön¬
nen und werden Sie nicht wollen. Gestehen Sie mir zu, meine Herren, daß
auf diesem Gebiete die Parthie zwischen Ihren und unsrer gemeinsamen Gegnern
allzu ungleich steht!"

Diese Anspielungen auf die Vorgänge des 7. Januar enthielten eine bittere,
schwer zurückzuweisende Wahrheit. Und leider hat auch die Nutzanwendung, die
der Redner davou in Bezug auf das Zustandebringen der Verfassung vom 26. Mai
machte, seitdem eine traurige Bewahrheitung erfahren. „Es ist wohl Niemand,
meine Herren," fuhr er fort, „der, Angesichts des Geistes, in welchem die Ver-
fassungsrevision in Berlin vollendet worden ist, glauben sollte, daß der Reichstag
zu Erfurt im Sinne des Fortschritts revidiren werde."

Auch die Schleswig-holsteinische Angelegenheit, diese wundeste Stelle der preu¬
ßischen Politik, blieb nicht unberührt.

Der Redner faßte am Schlüsse seiner und seine Partei Ansichten in der deut¬
schen Frage in folgender Parallele zusammen.

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[0135] offen. „Hätte die Regierung uns einen andern Vorschlag gemacht," sagte er, „oder würde die Negierung uns einen andern Weg geben, auf welchem dasselbe Ziel, welches wir erstreben, erlangt werden könnte, dann würden wir dies gewiß zu erwägen haben, wir wurden zu erwägen haben, welcher von den nun vorlie- genden Wegen der geeignetste sei, um die Interessen des deutschen Vaterlandes, seiner Einzelstaaten, und insbesondere auch Sachsens, vollständig wahren zu können." Zu den bedeutendsten Reden nicht blos dieses Tages, sondern dieser ganzen Verhandlung gehörte die des Abgeordneten Müller von Niederloßnitz, des Füh¬ rers der eigentlichen Linken. Mit großer Zurückhaltung und Schonung, aber mit sicherem Blick und fester Hand legte er die wunden Stellen der Politik des 26. Mai offen. „Es müssen," sagte er, „Gründe der Praxis, der Zweckmäßigkeit da sein, welche veranlassen könnten, dem Prinzipe untreu zu werden, nur sich ans das Ge¬ biet der vollendeten Thatsachen zu stellen. Mich dünkt, die Erfahrungen, welche die Mitglieder der Frankfurter Mehrheit gemacht, seitdem sie dieses Ge¬ biet betreten, erregen hiergegen schwere Bedenken. Bittere Täuschungen, schmerz¬ liche Erfahrungen, Mißbehagen von oben und Mißtrauen von unten, das sind die Früchte ihres l!ii88e/-in>,ü'<z gewesen. Es ist für den Vvlkspolitiker ein gefähr¬ licher und undankbarer Cultus, der Cultus des kalt aeoomM; undankbar, denn die Reaction will keine Vermittlung, sondern vollständige Rückkehr zum Alten oder noch Schlimmeres; gefährlich, denn das Volk vermag nicht sich die Schwankungen seiner Vertreter zu erklären, welche mit dem Anerkennen der vollendeten That¬ sachen eng verbunden sind. Es hält, was Sie für Klugheit ansehen, für das Ausgeben seines guten Rechts. Was aber hätten Sie den vollendeten Thatsachen der Kabinette entgegenzustellen? Das Einzige wäre: die Revolution. Diese kön¬ nen und werden Sie nicht wollen. Gestehen Sie mir zu, meine Herren, daß auf diesem Gebiete die Parthie zwischen Ihren und unsrer gemeinsamen Gegnern allzu ungleich steht!" Diese Anspielungen auf die Vorgänge des 7. Januar enthielten eine bittere, schwer zurückzuweisende Wahrheit. Und leider hat auch die Nutzanwendung, die der Redner davou in Bezug auf das Zustandebringen der Verfassung vom 26. Mai machte, seitdem eine traurige Bewahrheitung erfahren. „Es ist wohl Niemand, meine Herren," fuhr er fort, „der, Angesichts des Geistes, in welchem die Ver- fassungsrevision in Berlin vollendet worden ist, glauben sollte, daß der Reichstag zu Erfurt im Sinne des Fortschritts revidiren werde." Auch die Schleswig-holsteinische Angelegenheit, diese wundeste Stelle der preu¬ ßischen Politik, blieb nicht unberührt. Der Redner faßte am Schlüsse seiner und seine Partei Ansichten in der deut¬ schen Frage in folgender Parallele zusammen. „Sie, meine Herren, erkennen den Drang des deutschen Volkes nach Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/135>, abgerufen am 25.08.2024.