Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

persönlicher Absichten beargwohnt zu werden. Zwar zeigten sich unter den Ab¬
geordneten stärkere und verbreiteter" Sympathien für den Bundesstaat, als man
anfänglich geglaubt; allein die Meisten schienen Bedenken zu tragen, damit offen
und entschlossen hervorzutreten; sie wünschten die Entscheidung so lauge als möglich
hinauszuschieben, und sahen es nicht gern, wenn Jemand sie zu einem festen Ent¬
schlüsse drängte. Die deutsche Frage ward daher im Club der Rechten während
der ersten Zeit wie ein Mu, inngere behandelt; ihretwegen hauptsächlich
unterblieb die Abfassung einer Adresse, weil man durch vorzeitiges Anrühren
dieser Frage deren Erfolg zu gefährden fürchtete. Auch "nachher wartete und
wartete mau, täglich dem Eintreffen der von der Regierung verheißenen
Vorlagen entgegensehend. Da warf Carlowitz, wie zwei zündende Bomben,
erst seine Jnterpellation wegen dieser Vorlagen, dann seineu Antrag aus Wiedcr-
beschickung des Verwaltungsrathes und sofortige Wahlen zum Reichstage in
die überraschten Kammern hinein. Carlowitz hatte sich geflissentlich von der
Partei der Rechten fern gehalten, daher auch Niemand in den Kammern von
seiner Absicht vorher in Kenntniß gesetzt war. Schon zuvor verlautete, daß die
Regierung ihre Vorlage zunächst an die erste Kammer bringen werde. Dies ge¬
schah nun auch bald nach Einbringung des Carlowiiz'schen Antrags. Das Mini¬
sterium mochte wohl seine guten Gründe Habens weshalb es der ersten Kammer
die Priorität in dieser Frage zuschob; es hatte, wie sich später auswies, nur zu
sicher berechnet, um wie viel besser seine Actien dort ständen als in der zweiten
Kammer. Die Bundesstaatspartei war mit ihrem Calcul nicht so im Reinen; auch
erschien das Vorangehen des Herrn v. Carlowii; als ein für das Gelingen der
Sache so wichtiges Ereigniß, daß man darüber vergaß, ob es nicht besser wäre,
der andern Kammer den Vortritt in dieser Sache zu verschaffen. Der Autoritäts¬
glaube und die Rücksichtnahme nach obenhin, zwei in Sachsen vorzugsweise ver¬
breitete Eigenschaften, fanden im entschlossenen Austreten eines so hochgestellten
Mannes in dieser Frage eine starke Ermuthigung zum Betreten desselben Weges
und eine Beschwichtigung der eignen Bedenken. Die Verdächtigung, welche bisher
rücksichtslos die Anhänger des Bundesstaats als verkappte "Wühler" oder als
"müßige, ehrgeizige Köpfe" verfolgt hatte, verstummte gegenüber einem Manne,
dessen conservative Gesinnung nicht wohl in Zweifel zu ziehen und dessen bürger¬
liche Stellung und politische Vergangenheit von der Art war, daß mau ihm eigen¬
süchtige, ehrgeizige Hintergedanken kaum unterlegen konnte.

So überließen denn die Verfechter' der Bundesstaatsidee in der zweiten
Kammer gern und neidlos diesem so erwünschten Bundesgenossen den Vortritt in
der gemeinsamen Sache. Nur um die Nachfolge der zweiten Kammer zu be¬
schleunigen, wählte man hier fast gleichzeitig mit der ersten Kammer einen außer-
ordentlichen Ausschuß für die deutsche Frage.

Bald jedoch stellte sich als ziemlich zweifellos heraus, daß in der ersten


1 5

persönlicher Absichten beargwohnt zu werden. Zwar zeigten sich unter den Ab¬
geordneten stärkere und verbreiteter« Sympathien für den Bundesstaat, als man
anfänglich geglaubt; allein die Meisten schienen Bedenken zu tragen, damit offen
und entschlossen hervorzutreten; sie wünschten die Entscheidung so lauge als möglich
hinauszuschieben, und sahen es nicht gern, wenn Jemand sie zu einem festen Ent¬
schlüsse drängte. Die deutsche Frage ward daher im Club der Rechten während
der ersten Zeit wie ein Mu, inngere behandelt; ihretwegen hauptsächlich
unterblieb die Abfassung einer Adresse, weil man durch vorzeitiges Anrühren
dieser Frage deren Erfolg zu gefährden fürchtete. Auch "nachher wartete und
wartete mau, täglich dem Eintreffen der von der Regierung verheißenen
Vorlagen entgegensehend. Da warf Carlowitz, wie zwei zündende Bomben,
erst seine Jnterpellation wegen dieser Vorlagen, dann seineu Antrag aus Wiedcr-
beschickung des Verwaltungsrathes und sofortige Wahlen zum Reichstage in
die überraschten Kammern hinein. Carlowitz hatte sich geflissentlich von der
Partei der Rechten fern gehalten, daher auch Niemand in den Kammern von
seiner Absicht vorher in Kenntniß gesetzt war. Schon zuvor verlautete, daß die
Regierung ihre Vorlage zunächst an die erste Kammer bringen werde. Dies ge¬
schah nun auch bald nach Einbringung des Carlowiiz'schen Antrags. Das Mini¬
sterium mochte wohl seine guten Gründe Habens weshalb es der ersten Kammer
die Priorität in dieser Frage zuschob; es hatte, wie sich später auswies, nur zu
sicher berechnet, um wie viel besser seine Actien dort ständen als in der zweiten
Kammer. Die Bundesstaatspartei war mit ihrem Calcul nicht so im Reinen; auch
erschien das Vorangehen des Herrn v. Carlowii; als ein für das Gelingen der
Sache so wichtiges Ereigniß, daß man darüber vergaß, ob es nicht besser wäre,
der andern Kammer den Vortritt in dieser Sache zu verschaffen. Der Autoritäts¬
glaube und die Rücksichtnahme nach obenhin, zwei in Sachsen vorzugsweise ver¬
breitete Eigenschaften, fanden im entschlossenen Austreten eines so hochgestellten
Mannes in dieser Frage eine starke Ermuthigung zum Betreten desselben Weges
und eine Beschwichtigung der eignen Bedenken. Die Verdächtigung, welche bisher
rücksichtslos die Anhänger des Bundesstaats als verkappte „Wühler" oder als
„müßige, ehrgeizige Köpfe" verfolgt hatte, verstummte gegenüber einem Manne,
dessen conservative Gesinnung nicht wohl in Zweifel zu ziehen und dessen bürger¬
liche Stellung und politische Vergangenheit von der Art war, daß mau ihm eigen¬
süchtige, ehrgeizige Hintergedanken kaum unterlegen konnte.

So überließen denn die Verfechter' der Bundesstaatsidee in der zweiten
Kammer gern und neidlos diesem so erwünschten Bundesgenossen den Vortritt in
der gemeinsamen Sache. Nur um die Nachfolge der zweiten Kammer zu be¬
schleunigen, wählte man hier fast gleichzeitig mit der ersten Kammer einen außer-
ordentlichen Ausschuß für die deutsche Frage.

Bald jedoch stellte sich als ziemlich zweifellos heraus, daß in der ersten


1 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185347"/>
          <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> persönlicher Absichten beargwohnt zu werden. Zwar zeigten sich unter den Ab¬<lb/>
geordneten stärkere und verbreiteter« Sympathien für den Bundesstaat, als man<lb/>
anfänglich geglaubt; allein die Meisten schienen Bedenken zu tragen, damit offen<lb/>
und entschlossen hervorzutreten; sie wünschten die Entscheidung so lauge als möglich<lb/>
hinauszuschieben, und sahen es nicht gern, wenn Jemand sie zu einem festen Ent¬<lb/>
schlüsse drängte. Die deutsche Frage ward daher im Club der Rechten während<lb/>
der ersten Zeit wie ein Mu, inngere behandelt; ihretwegen hauptsächlich<lb/>
unterblieb die Abfassung einer Adresse, weil man durch vorzeitiges Anrühren<lb/>
dieser Frage deren Erfolg zu gefährden fürchtete. Auch "nachher wartete und<lb/>
wartete mau, täglich dem Eintreffen der von der Regierung verheißenen<lb/>
Vorlagen entgegensehend. Da warf Carlowitz, wie zwei zündende Bomben,<lb/>
erst seine Jnterpellation wegen dieser Vorlagen, dann seineu Antrag aus Wiedcr-<lb/>
beschickung des Verwaltungsrathes und sofortige Wahlen zum Reichstage in<lb/>
die überraschten Kammern hinein. Carlowitz hatte sich geflissentlich von der<lb/>
Partei der Rechten fern gehalten, daher auch Niemand in den Kammern von<lb/>
seiner Absicht vorher in Kenntniß gesetzt war. Schon zuvor verlautete, daß die<lb/>
Regierung ihre Vorlage zunächst an die erste Kammer bringen werde. Dies ge¬<lb/>
schah nun auch bald nach Einbringung des Carlowiiz'schen Antrags. Das Mini¬<lb/>
sterium mochte wohl seine guten Gründe Habens weshalb es der ersten Kammer<lb/>
die Priorität in dieser Frage zuschob; es hatte, wie sich später auswies, nur zu<lb/>
sicher berechnet, um wie viel besser seine Actien dort ständen als in der zweiten<lb/>
Kammer. Die Bundesstaatspartei war mit ihrem Calcul nicht so im Reinen; auch<lb/>
erschien das Vorangehen des Herrn v. Carlowii; als ein für das Gelingen der<lb/>
Sache so wichtiges Ereigniß, daß man darüber vergaß, ob es nicht besser wäre,<lb/>
der andern Kammer den Vortritt in dieser Sache zu verschaffen. Der Autoritäts¬<lb/>
glaube und die Rücksichtnahme nach obenhin, zwei in Sachsen vorzugsweise ver¬<lb/>
breitete Eigenschaften, fanden im entschlossenen Austreten eines so hochgestellten<lb/>
Mannes in dieser Frage eine starke Ermuthigung zum Betreten desselben Weges<lb/>
und eine Beschwichtigung der eignen Bedenken. Die Verdächtigung, welche bisher<lb/>
rücksichtslos die Anhänger des Bundesstaats als verkappte &#x201E;Wühler" oder als<lb/>
&#x201E;müßige, ehrgeizige Köpfe" verfolgt hatte, verstummte gegenüber einem Manne,<lb/>
dessen conservative Gesinnung nicht wohl in Zweifel zu ziehen und dessen bürger¬<lb/>
liche Stellung und politische Vergangenheit von der Art war, daß mau ihm eigen¬<lb/>
süchtige, ehrgeizige Hintergedanken kaum unterlegen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15"> So überließen denn die Verfechter' der Bundesstaatsidee in der zweiten<lb/>
Kammer gern und neidlos diesem so erwünschten Bundesgenossen den Vortritt in<lb/>
der gemeinsamen Sache. Nur um die Nachfolge der zweiten Kammer zu be¬<lb/>
schleunigen, wählte man hier fast gleichzeitig mit der ersten Kammer einen außer-<lb/>
ordentlichen Ausschuß für die deutsche Frage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Bald jedoch stellte sich als ziemlich zweifellos heraus, daß in der ersten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 1 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] persönlicher Absichten beargwohnt zu werden. Zwar zeigten sich unter den Ab¬ geordneten stärkere und verbreiteter« Sympathien für den Bundesstaat, als man anfänglich geglaubt; allein die Meisten schienen Bedenken zu tragen, damit offen und entschlossen hervorzutreten; sie wünschten die Entscheidung so lauge als möglich hinauszuschieben, und sahen es nicht gern, wenn Jemand sie zu einem festen Ent¬ schlüsse drängte. Die deutsche Frage ward daher im Club der Rechten während der ersten Zeit wie ein Mu, inngere behandelt; ihretwegen hauptsächlich unterblieb die Abfassung einer Adresse, weil man durch vorzeitiges Anrühren dieser Frage deren Erfolg zu gefährden fürchtete. Auch "nachher wartete und wartete mau, täglich dem Eintreffen der von der Regierung verheißenen Vorlagen entgegensehend. Da warf Carlowitz, wie zwei zündende Bomben, erst seine Jnterpellation wegen dieser Vorlagen, dann seineu Antrag aus Wiedcr- beschickung des Verwaltungsrathes und sofortige Wahlen zum Reichstage in die überraschten Kammern hinein. Carlowitz hatte sich geflissentlich von der Partei der Rechten fern gehalten, daher auch Niemand in den Kammern von seiner Absicht vorher in Kenntniß gesetzt war. Schon zuvor verlautete, daß die Regierung ihre Vorlage zunächst an die erste Kammer bringen werde. Dies ge¬ schah nun auch bald nach Einbringung des Carlowiiz'schen Antrags. Das Mini¬ sterium mochte wohl seine guten Gründe Habens weshalb es der ersten Kammer die Priorität in dieser Frage zuschob; es hatte, wie sich später auswies, nur zu sicher berechnet, um wie viel besser seine Actien dort ständen als in der zweiten Kammer. Die Bundesstaatspartei war mit ihrem Calcul nicht so im Reinen; auch erschien das Vorangehen des Herrn v. Carlowii; als ein für das Gelingen der Sache so wichtiges Ereigniß, daß man darüber vergaß, ob es nicht besser wäre, der andern Kammer den Vortritt in dieser Sache zu verschaffen. Der Autoritäts¬ glaube und die Rücksichtnahme nach obenhin, zwei in Sachsen vorzugsweise ver¬ breitete Eigenschaften, fanden im entschlossenen Austreten eines so hochgestellten Mannes in dieser Frage eine starke Ermuthigung zum Betreten desselben Weges und eine Beschwichtigung der eignen Bedenken. Die Verdächtigung, welche bisher rücksichtslos die Anhänger des Bundesstaats als verkappte „Wühler" oder als „müßige, ehrgeizige Köpfe" verfolgt hatte, verstummte gegenüber einem Manne, dessen conservative Gesinnung nicht wohl in Zweifel zu ziehen und dessen bürger¬ liche Stellung und politische Vergangenheit von der Art war, daß mau ihm eigen¬ süchtige, ehrgeizige Hintergedanken kaum unterlegen konnte. So überließen denn die Verfechter' der Bundesstaatsidee in der zweiten Kammer gern und neidlos diesem so erwünschten Bundesgenossen den Vortritt in der gemeinsamen Sache. Nur um die Nachfolge der zweiten Kammer zu be¬ schleunigen, wählte man hier fast gleichzeitig mit der ersten Kammer einen außer- ordentlichen Ausschuß für die deutsche Frage. Bald jedoch stellte sich als ziemlich zweifellos heraus, daß in der ersten 1 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/11>, abgerufen am 01.10.2024.