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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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hergestellter Beruhigung der Gemüther zur Geltung kommen mochte. Während
der drangvollen Zeiten 1848 und 1849 hielt sich Carlowitz zurückgezogen, aber
bei den Wahlen zum Landtage als Candidat aufgestellt und für die erste Kammer
gewählt, nahm er die Wahl an, obschon er inzwischen seine sämmtlichen Güter
im Sächsischen verlauft und sich in Preußen angesiedelt hatte, also kaum noch
recht seiner bisherigen Heimath angehörte.

Dieser Mann nun, der durch Geburt und Reichthum zur höchsten Aristokratie
zählte, den diese so viele Jahre lang als ihren Führer verehrt hatte, der als
Rathgeber der Krone der Person deS Monarchen nahe gestanden, der allgemein
als der Vertreter streng conservativer Grundsätze galt, erklärte sich entschieden
gegen die Politik des Ministeriums in der deutschen Frage. Wie mau später er¬
fuhr, hatte er aus diesem Grunde im Mai 1849 den Auftrag abgelehnt, als Be¬
vollmächtigter Sachsens zu den Conferenzen in Berlin zu gehen; schon damals
traute er dem Minister des Auswärtigen "kein deutsches Herz" zu.

Die Agitation für den Bundesstaat unter Preußens Vorstand und die Oppo¬
sition gegen die, sich mehr und mehr nach Oestreich hinneigende Politik des Mini¬
steriums war bis dahin fast lediglich in den Händen von Mitgliedern und An¬
hängern der sogenannten Gothaischen Partei gewesen. Der Landeswahlausschuß,
der im Sommer 1849 uuter Mitwirkung der beiden ehemaligen Märzminister Braun
und Georgi zusammenzutreten versuchte, wollte das Programm von Gotha zu
dem seinigen machen; allein er löste sich unverrichteter Sache auf, und als die
Neste desselben im October vor. I. eine allgemeine Versammlung von Vertrauens-
mäuuern nach Riesa beriefen, da war der deutsche Gedanke so sehr vor dem
speciell sächsischen in den Hintergrund getreten, daß lediglich der letztere, nicht
jener das entscheidende Moment bei der Aufstellung von Candidaten abgab. Nur
in Leipzig hatte sich eine Partei gebildet, welche den Gedanken des deutschen
Bundesstaates mit parlamentarischer Regierung, also uuter den gegebenen Ver¬
hältnissen die Verfassung vom 26. Mai als Losungswort bei den Wahlen aus ihre
Fahne schrieb. Aber so schwach und vereinzelt war damals noch diese Richtung,
so wenig vermochte sie gegen die, nur auf Unterdrückung der Demokratie und auf
Unterstützung der Negierung um jeden Preis hiudrängende Befangenheit der con-
servativen und specifisch sächsischen Partei auszukommen, daß sie genöthigt war,
gerade diejenigen ihrer Candidaten, die sie als die entschiedensten Vertreter der
deutschen Idee vorangestellt hatte, fallen zu lassen,und neben einem einzigen sichern
und einem zweiten halbsichern Anhänger der Dreikönigsversassnng auch zwei Can¬
didaten mit in den Kauf zu nehmen und zu unterstützen, von denen der eine in
Bezug auf seiue deutsche Politik sehr zweifelhaft, der andere ein entschiedener
Großdcntscher war.

Auf dem Landtage selbst fanden die Gothaner für nothwendig, mit ihren
Wünschen etwas zurückzuhalten, um nicht ihrer eignen Sache zu schaden, wohl gar ,


hergestellter Beruhigung der Gemüther zur Geltung kommen mochte. Während
der drangvollen Zeiten 1848 und 1849 hielt sich Carlowitz zurückgezogen, aber
bei den Wahlen zum Landtage als Candidat aufgestellt und für die erste Kammer
gewählt, nahm er die Wahl an, obschon er inzwischen seine sämmtlichen Güter
im Sächsischen verlauft und sich in Preußen angesiedelt hatte, also kaum noch
recht seiner bisherigen Heimath angehörte.

Dieser Mann nun, der durch Geburt und Reichthum zur höchsten Aristokratie
zählte, den diese so viele Jahre lang als ihren Führer verehrt hatte, der als
Rathgeber der Krone der Person deS Monarchen nahe gestanden, der allgemein
als der Vertreter streng conservativer Grundsätze galt, erklärte sich entschieden
gegen die Politik des Ministeriums in der deutschen Frage. Wie mau später er¬
fuhr, hatte er aus diesem Grunde im Mai 1849 den Auftrag abgelehnt, als Be¬
vollmächtigter Sachsens zu den Conferenzen in Berlin zu gehen; schon damals
traute er dem Minister des Auswärtigen „kein deutsches Herz" zu.

Die Agitation für den Bundesstaat unter Preußens Vorstand und die Oppo¬
sition gegen die, sich mehr und mehr nach Oestreich hinneigende Politik des Mini¬
steriums war bis dahin fast lediglich in den Händen von Mitgliedern und An¬
hängern der sogenannten Gothaischen Partei gewesen. Der Landeswahlausschuß,
der im Sommer 1849 uuter Mitwirkung der beiden ehemaligen Märzminister Braun
und Georgi zusammenzutreten versuchte, wollte das Programm von Gotha zu
dem seinigen machen; allein er löste sich unverrichteter Sache auf, und als die
Neste desselben im October vor. I. eine allgemeine Versammlung von Vertrauens-
mäuuern nach Riesa beriefen, da war der deutsche Gedanke so sehr vor dem
speciell sächsischen in den Hintergrund getreten, daß lediglich der letztere, nicht
jener das entscheidende Moment bei der Aufstellung von Candidaten abgab. Nur
in Leipzig hatte sich eine Partei gebildet, welche den Gedanken des deutschen
Bundesstaates mit parlamentarischer Regierung, also uuter den gegebenen Ver¬
hältnissen die Verfassung vom 26. Mai als Losungswort bei den Wahlen aus ihre
Fahne schrieb. Aber so schwach und vereinzelt war damals noch diese Richtung,
so wenig vermochte sie gegen die, nur auf Unterdrückung der Demokratie und auf
Unterstützung der Negierung um jeden Preis hiudrängende Befangenheit der con-
servativen und specifisch sächsischen Partei auszukommen, daß sie genöthigt war,
gerade diejenigen ihrer Candidaten, die sie als die entschiedensten Vertreter der
deutschen Idee vorangestellt hatte, fallen zu lassen,und neben einem einzigen sichern
und einem zweiten halbsichern Anhänger der Dreikönigsversassnng auch zwei Can¬
didaten mit in den Kauf zu nehmen und zu unterstützen, von denen der eine in
Bezug auf seiue deutsche Politik sehr zweifelhaft, der andere ein entschiedener
Großdcntscher war.

Auf dem Landtage selbst fanden die Gothaner für nothwendig, mit ihren
Wünschen etwas zurückzuhalten, um nicht ihrer eignen Sache zu schaden, wohl gar ,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/10>, abgerufen am 01.07.2024.