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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Sachsen und die deutsche Frage.



Offenes Sendschreiben an den ^-Korrespondenten der Leipziger
Zeitung.

Die öffentliche Meinung steht in Ihnen ein Organ des sächsischen Ministeri¬
ums, und legt demnach Ihren Ansichten eine Wichtigkeit bei, die sie als blos
literarische Versuche eines Privatmanns nicht haben würden. Sollte die öffentliche
Meinung wirklich ein Recht sein, so stände es schlimm um Sachsen.

Sie wenden Sich in einem Ihrer Aufsätze an die "conservative" Partei, und
wachen ihr den Vorwurf, sie gäbe durch ihre Uneinigkeit bei den Wahlen den
Demokraten neuen Spielraum. Ich berühre hier nur den Theil des Vorwurfs,
der sich auf die Centren erstreckt, denn Ihre Meinungsdifferenz mit den Absolute¬
sten, die uach Ihrer eigenen Erklärung deshalb vor der Wahl gemäßigter Männer
warnen, um die Negierung zu einer rettenden That zu nöthigen, diese mögen Sie
en fiimlllv ausmachen.

Wenn Sie unsere Partei aber deshalb tadeln, daß sie "ehrenwerthe" Männer
zurückweist, weil sie ..Großdeutsche" sind, so ist das ein seltsamer Vorwurf. Die
Kammer ist doch nicht eine Sinecur für "ehrenwerthe" Männer, sondern eine
Versammlung von Repräsentanten, die in den wesentlichen Fragen des Staatslebens
die Ansicht ihrer Committenten darstellen, und es wäre höchst zweckwidrig, wenn
wir unser Mandat an Männer übertragen sollten, die in diesen wesentlichen Fra¬
gen sich mit uns in diametralem Gegensatz befinden, mögen sie sonst so ehrenwerth
sein, wie sie wollen.

Denn täuschen Sie sich darüber nicht! Was Sie conservative Partei nennen,
existirt nicht mehr! In den Zeiten der allgemeinen Gefahr, als dnrch eine wüste
Demagogie nicht nur der Staat, sondern die Gesellschaft bedroht wurde, als die
Regierung zu schwach oder zu unentschlossen war, diesem Unwesen zu steuern, da¬
mals verband sich alles, was irgend noch ein positives Interesse an der Aufrecht¬
haltung der Ordnung hatte, Liberale, Absolutisten, Lichtfreunde, Jesuiten u. s. w.,
um nur für den Augenblick die Anarchie zu unterdrücken. Diese Verbindung ent-


Grenzboten. lo. 184S. 11
Sachsen und die deutsche Frage.



Offenes Sendschreiben an den ^-Korrespondenten der Leipziger
Zeitung.

Die öffentliche Meinung steht in Ihnen ein Organ des sächsischen Ministeri¬
ums, und legt demnach Ihren Ansichten eine Wichtigkeit bei, die sie als blos
literarische Versuche eines Privatmanns nicht haben würden. Sollte die öffentliche
Meinung wirklich ein Recht sein, so stände es schlimm um Sachsen.

Sie wenden Sich in einem Ihrer Aufsätze an die „conservative" Partei, und
wachen ihr den Vorwurf, sie gäbe durch ihre Uneinigkeit bei den Wahlen den
Demokraten neuen Spielraum. Ich berühre hier nur den Theil des Vorwurfs,
der sich auf die Centren erstreckt, denn Ihre Meinungsdifferenz mit den Absolute¬
sten, die uach Ihrer eigenen Erklärung deshalb vor der Wahl gemäßigter Männer
warnen, um die Negierung zu einer rettenden That zu nöthigen, diese mögen Sie
en fiimlllv ausmachen.

Wenn Sie unsere Partei aber deshalb tadeln, daß sie „ehrenwerthe" Männer
zurückweist, weil sie ..Großdeutsche" sind, so ist das ein seltsamer Vorwurf. Die
Kammer ist doch nicht eine Sinecur für „ehrenwerthe" Männer, sondern eine
Versammlung von Repräsentanten, die in den wesentlichen Fragen des Staatslebens
die Ansicht ihrer Committenten darstellen, und es wäre höchst zweckwidrig, wenn
wir unser Mandat an Männer übertragen sollten, die in diesen wesentlichen Fra¬
gen sich mit uns in diametralem Gegensatz befinden, mögen sie sonst so ehrenwerth
sein, wie sie wollen.

Denn täuschen Sie sich darüber nicht! Was Sie conservative Partei nennen,
existirt nicht mehr! In den Zeiten der allgemeinen Gefahr, als dnrch eine wüste
Demagogie nicht nur der Staat, sondern die Gesellschaft bedroht wurde, als die
Regierung zu schwach oder zu unentschlossen war, diesem Unwesen zu steuern, da¬
mals verband sich alles, was irgend noch ein positives Interesse an der Aufrecht¬
haltung der Ordnung hatte, Liberale, Absolutisten, Lichtfreunde, Jesuiten u. s. w.,
um nur für den Augenblick die Anarchie zu unterdrücken. Diese Verbindung ent-


Grenzboten. lo. 184S. 11
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[0085] Sachsen und die deutsche Frage. Offenes Sendschreiben an den ^-Korrespondenten der Leipziger Zeitung. Die öffentliche Meinung steht in Ihnen ein Organ des sächsischen Ministeri¬ ums, und legt demnach Ihren Ansichten eine Wichtigkeit bei, die sie als blos literarische Versuche eines Privatmanns nicht haben würden. Sollte die öffentliche Meinung wirklich ein Recht sein, so stände es schlimm um Sachsen. Sie wenden Sich in einem Ihrer Aufsätze an die „conservative" Partei, und wachen ihr den Vorwurf, sie gäbe durch ihre Uneinigkeit bei den Wahlen den Demokraten neuen Spielraum. Ich berühre hier nur den Theil des Vorwurfs, der sich auf die Centren erstreckt, denn Ihre Meinungsdifferenz mit den Absolute¬ sten, die uach Ihrer eigenen Erklärung deshalb vor der Wahl gemäßigter Männer warnen, um die Negierung zu einer rettenden That zu nöthigen, diese mögen Sie en fiimlllv ausmachen. Wenn Sie unsere Partei aber deshalb tadeln, daß sie „ehrenwerthe" Männer zurückweist, weil sie ..Großdeutsche" sind, so ist das ein seltsamer Vorwurf. Die Kammer ist doch nicht eine Sinecur für „ehrenwerthe" Männer, sondern eine Versammlung von Repräsentanten, die in den wesentlichen Fragen des Staatslebens die Ansicht ihrer Committenten darstellen, und es wäre höchst zweckwidrig, wenn wir unser Mandat an Männer übertragen sollten, die in diesen wesentlichen Fra¬ gen sich mit uns in diametralem Gegensatz befinden, mögen sie sonst so ehrenwerth sein, wie sie wollen. Denn täuschen Sie sich darüber nicht! Was Sie conservative Partei nennen, existirt nicht mehr! In den Zeiten der allgemeinen Gefahr, als dnrch eine wüste Demagogie nicht nur der Staat, sondern die Gesellschaft bedroht wurde, als die Regierung zu schwach oder zu unentschlossen war, diesem Unwesen zu steuern, da¬ mals verband sich alles, was irgend noch ein positives Interesse an der Aufrecht¬ haltung der Ordnung hatte, Liberale, Absolutisten, Lichtfreunde, Jesuiten u. s. w., um nur für den Augenblick die Anarchie zu unterdrücken. Diese Verbindung ent- Grenzboten. lo. 184S. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/85>, abgerufen am 15.01.2025.