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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Preußische Briefe.



Drcinndxwanzigster Vries.
Reminiscenzen der Diplomatie.

Von allen Seiten strömen die Aktenstücke zusammen, welche dem deutschen
Volk Aufklärung geben von dem, was seine Fürsten gethan, um es zum Rang
der wirklichen Nationen zu e> heben. Das Volk wird keine Freude daran haben.
So viel kleinliche Leidenschaft, solch Aufwand von Intrigue, und so wenig sitt¬
licher Ernst in einer großen Sache! Freilich hat das Volk selber kein Recht, in
moralische Entrüstung zu gerathen, es gehört auch zur Familie.

Es lohnt nicht der Mühe, für den Augenblick auf dieses Gewebe von Ränken
näher einzugehn. Von den drei Regierungen, deren Schritte bis dahin zur Publi-
cität gelangt sind, gebührt der bairischen der Preis. Das östreichische Cabinet
hat sich mit ziemlicher Consequenz auf dem naiven Standpunkt seiner Sonder¬
interessen gehalten: es will nicht, daß eine allgemeine Verfassung zu Stande
kommt, die in seinen eignen Mechanismus hemmend eingreift, und es will auch
nicht, daß durch ein Scparatbündniß an seinen Grenzen ein Staat entsteht, der
ihm unbequemer sein muß, als eine Reihe abhängiger Kleinstaaten. Vom östreichi¬
schen Standpunkt aus ist nicht viel dagegen zu sagen, und es ist nur eine Schmach
für Deutschland, daß es diesen Einflüssen keine energische Haltung entgegensetzt.
Preußen hat gleichfalls aus sehr begreiflichen Gründen den Gedanken des engern
Bundesstaats festgehalten, und wenn man ihm etwas vorwerfen muß, so ist es
zu große Nachgiebigkeit gegen einzelne unbillige Forderungen der Dynasten, zu
große Schüchternheit, wo ein sehr bestimmtes Austreten noth that, und jene an's
Fabelhafte grenzende diplomatische Ungeschicklichkeit, deren es sich seit dem Anfang
seiner Geschichte erfreut. Oestreich muß man zugestehn, daß es niemals mit der
Demokratie und der Einheitspartei coquettirt hat, daß man überall wissen konnte,
wessen man sich von ihm zu versehen hatte; Preußen, daß es wenigstens mit
einer gewissen Ehrlichkeit für die Einheitsideen arbeitete, so weit es nämlich seine
romantisch-legitimistischen Sympathien zuließen. Baiern dagegen würde man noch
zu viel Ehre anthun, wenn man sein Betragen zweideutig nennen wollte; ein
solches Machwerk von Perfidie und zugleich von Planlosigkeit, als der Bericht
seiner Regierung über die deutsche Verfassungsfrage, ist in der Geschichte noch
nicht erhört.

Für uns ist es wichtiger, zu fragen, was nun eigentlich geschehen soll. Läßt
Man die Sprache der offiziellen Aktenstücke -- von officiösen Zeitungsartikeln will


Preußische Briefe.



Drcinndxwanzigster Vries.
Reminiscenzen der Diplomatie.

Von allen Seiten strömen die Aktenstücke zusammen, welche dem deutschen
Volk Aufklärung geben von dem, was seine Fürsten gethan, um es zum Rang
der wirklichen Nationen zu e> heben. Das Volk wird keine Freude daran haben.
So viel kleinliche Leidenschaft, solch Aufwand von Intrigue, und so wenig sitt¬
licher Ernst in einer großen Sache! Freilich hat das Volk selber kein Recht, in
moralische Entrüstung zu gerathen, es gehört auch zur Familie.

Es lohnt nicht der Mühe, für den Augenblick auf dieses Gewebe von Ränken
näher einzugehn. Von den drei Regierungen, deren Schritte bis dahin zur Publi-
cität gelangt sind, gebührt der bairischen der Preis. Das östreichische Cabinet
hat sich mit ziemlicher Consequenz auf dem naiven Standpunkt seiner Sonder¬
interessen gehalten: es will nicht, daß eine allgemeine Verfassung zu Stande
kommt, die in seinen eignen Mechanismus hemmend eingreift, und es will auch
nicht, daß durch ein Scparatbündniß an seinen Grenzen ein Staat entsteht, der
ihm unbequemer sein muß, als eine Reihe abhängiger Kleinstaaten. Vom östreichi¬
schen Standpunkt aus ist nicht viel dagegen zu sagen, und es ist nur eine Schmach
für Deutschland, daß es diesen Einflüssen keine energische Haltung entgegensetzt.
Preußen hat gleichfalls aus sehr begreiflichen Gründen den Gedanken des engern
Bundesstaats festgehalten, und wenn man ihm etwas vorwerfen muß, so ist es
zu große Nachgiebigkeit gegen einzelne unbillige Forderungen der Dynasten, zu
große Schüchternheit, wo ein sehr bestimmtes Austreten noth that, und jene an's
Fabelhafte grenzende diplomatische Ungeschicklichkeit, deren es sich seit dem Anfang
seiner Geschichte erfreut. Oestreich muß man zugestehn, daß es niemals mit der
Demokratie und der Einheitspartei coquettirt hat, daß man überall wissen konnte,
wessen man sich von ihm zu versehen hatte; Preußen, daß es wenigstens mit
einer gewissen Ehrlichkeit für die Einheitsideen arbeitete, so weit es nämlich seine
romantisch-legitimistischen Sympathien zuließen. Baiern dagegen würde man noch
zu viel Ehre anthun, wenn man sein Betragen zweideutig nennen wollte; ein
solches Machwerk von Perfidie und zugleich von Planlosigkeit, als der Bericht
seiner Regierung über die deutsche Verfassungsfrage, ist in der Geschichte noch
nicht erhört.

Für uns ist es wichtiger, zu fragen, was nun eigentlich geschehen soll. Läßt
Man die Sprache der offiziellen Aktenstücke — von officiösen Zeitungsartikeln will


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[0081] Preußische Briefe. Drcinndxwanzigster Vries. Reminiscenzen der Diplomatie. Von allen Seiten strömen die Aktenstücke zusammen, welche dem deutschen Volk Aufklärung geben von dem, was seine Fürsten gethan, um es zum Rang der wirklichen Nationen zu e> heben. Das Volk wird keine Freude daran haben. So viel kleinliche Leidenschaft, solch Aufwand von Intrigue, und so wenig sitt¬ licher Ernst in einer großen Sache! Freilich hat das Volk selber kein Recht, in moralische Entrüstung zu gerathen, es gehört auch zur Familie. Es lohnt nicht der Mühe, für den Augenblick auf dieses Gewebe von Ränken näher einzugehn. Von den drei Regierungen, deren Schritte bis dahin zur Publi- cität gelangt sind, gebührt der bairischen der Preis. Das östreichische Cabinet hat sich mit ziemlicher Consequenz auf dem naiven Standpunkt seiner Sonder¬ interessen gehalten: es will nicht, daß eine allgemeine Verfassung zu Stande kommt, die in seinen eignen Mechanismus hemmend eingreift, und es will auch nicht, daß durch ein Scparatbündniß an seinen Grenzen ein Staat entsteht, der ihm unbequemer sein muß, als eine Reihe abhängiger Kleinstaaten. Vom östreichi¬ schen Standpunkt aus ist nicht viel dagegen zu sagen, und es ist nur eine Schmach für Deutschland, daß es diesen Einflüssen keine energische Haltung entgegensetzt. Preußen hat gleichfalls aus sehr begreiflichen Gründen den Gedanken des engern Bundesstaats festgehalten, und wenn man ihm etwas vorwerfen muß, so ist es zu große Nachgiebigkeit gegen einzelne unbillige Forderungen der Dynasten, zu große Schüchternheit, wo ein sehr bestimmtes Austreten noth that, und jene an's Fabelhafte grenzende diplomatische Ungeschicklichkeit, deren es sich seit dem Anfang seiner Geschichte erfreut. Oestreich muß man zugestehn, daß es niemals mit der Demokratie und der Einheitspartei coquettirt hat, daß man überall wissen konnte, wessen man sich von ihm zu versehen hatte; Preußen, daß es wenigstens mit einer gewissen Ehrlichkeit für die Einheitsideen arbeitete, so weit es nämlich seine romantisch-legitimistischen Sympathien zuließen. Baiern dagegen würde man noch zu viel Ehre anthun, wenn man sein Betragen zweideutig nennen wollte; ein solches Machwerk von Perfidie und zugleich von Planlosigkeit, als der Bericht seiner Regierung über die deutsche Verfassungsfrage, ist in der Geschichte noch nicht erhört. Für uns ist es wichtiger, zu fragen, was nun eigentlich geschehen soll. Läßt Man die Sprache der offiziellen Aktenstücke — von officiösen Zeitungsartikeln will

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/81>, abgerufen am 15.01.2025.