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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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sinnen sie? Von was leben sie? Welche Zukunft harrt ihrer? Antwort ans diese
Fragen kann ich Ihnen in aller Kürze geben. Sie bereuen Alle, Alle, auch die
welche es nicht gestehen wollen; sie sagen: Es war noch nicht an der Zeit, das Volk ist
nicht reif für die Republik, wir haben uns übereilt. Glauben Sie aber ja nicht,
daß jetzt neue Verschwörungen angezettelt, neue Einfälle in Deutschland verab¬
redet werden. Nein, davor sind wir sicher. Physische und moralische Kraft ist
ihnen gänzlich gebrochen, und wenn ja einmal einer der Exaltirten oder eher noch
der abenteuernden Landsknechte unter ihnen einem solchen Gedanken Worte zu ge¬
ben wagt, so antwortet ihm ein bittres Hohngelächter oder ein wegwerfendes Ach¬
selzucken. Ach wie gerne möchten fast Alle wieder in's Vaterland zurückkehren
und würden in Ewigkeit zufrieden sein mit demselben, wie es ist! Mit welcher
Inbrunst würden sie die Botschaft einer allgemeinen Amnestie vernehmen! Denn
in der freien Schweiz geht es ihrer Mehrzahl, offen gesagt, herzlich schlecht.

Zwar hat die Bundesregierung jedem der deutschen Flüchtlinge ein Tagegeld
ausgesetzt, aber dieses ist, wie man zu sagen pflegt, zu viel zum Sterben, zu wenig
zum Leben. Daher sind viele rein auf den Wohlthätigkeitsfinn der vermögenderen
Genossen oder der Schweizer angewiesen, aber der Ersteren ist nur eine verschwin¬
dend kleine Zahl, und die Letzteren sind überhaupt nur selten, gegen deutsche
und zwar flüchtige Deutsche gewiß nicht sehr mildherzig. Wer daher nicht ver¬
hungern will, greift entweder zu Tagelöhnerarbcit, oder läßt sich für Neapel an¬
werben, oder läuft in die Heimath zurück, um dort über sich ergehen zu lassen,
was da will. Diejenigen, welche im Besitz von Mitteln sind und Pässe erhalten
können, wandern fast Alle über Frankreich nach Amerika aus. Gerne gingen alle
mit --- und vielleicht thäten die deutschen Regierungen wohl daran, wenn sie
diese Auswanderung durch Unterstützung begünstigten. Es ist übrigens vorauszu¬
sehen, daß die Schweiz eine so ausgedehnte Benutzung ihres Asylrechtes nicht
lange mehr gestatten wird, ebenso, daß bei der geringsten verdächtigen Bewegung
der deutsche" Verbannten die Mächte eine energische Haltung gegen die Eidge¬
nossenschaft annehmen werden. Aber es kommt hoffentlich nicht so weit -- dafür
bürgen schon die unheilbaren Spaltungen, welche unter den dentschen Flüchtlingen
entstanden sind. Denn schon stehen sich zwei Parteien feindlich und Vorwürfe im
Mund einander gegenüber -- Verführer und Verführte. Wenn nur die Letzteren
wenigstens ihrem Vaterlande wiedergegeben werden könnten, ich glaube, sie wären
geheilt von dem Fieber, das sie so unendlich elend gemacht hat.




sinnen sie? Von was leben sie? Welche Zukunft harrt ihrer? Antwort ans diese
Fragen kann ich Ihnen in aller Kürze geben. Sie bereuen Alle, Alle, auch die
welche es nicht gestehen wollen; sie sagen: Es war noch nicht an der Zeit, das Volk ist
nicht reif für die Republik, wir haben uns übereilt. Glauben Sie aber ja nicht,
daß jetzt neue Verschwörungen angezettelt, neue Einfälle in Deutschland verab¬
redet werden. Nein, davor sind wir sicher. Physische und moralische Kraft ist
ihnen gänzlich gebrochen, und wenn ja einmal einer der Exaltirten oder eher noch
der abenteuernden Landsknechte unter ihnen einem solchen Gedanken Worte zu ge¬
ben wagt, so antwortet ihm ein bittres Hohngelächter oder ein wegwerfendes Ach¬
selzucken. Ach wie gerne möchten fast Alle wieder in's Vaterland zurückkehren
und würden in Ewigkeit zufrieden sein mit demselben, wie es ist! Mit welcher
Inbrunst würden sie die Botschaft einer allgemeinen Amnestie vernehmen! Denn
in der freien Schweiz geht es ihrer Mehrzahl, offen gesagt, herzlich schlecht.

Zwar hat die Bundesregierung jedem der deutschen Flüchtlinge ein Tagegeld
ausgesetzt, aber dieses ist, wie man zu sagen pflegt, zu viel zum Sterben, zu wenig
zum Leben. Daher sind viele rein auf den Wohlthätigkeitsfinn der vermögenderen
Genossen oder der Schweizer angewiesen, aber der Ersteren ist nur eine verschwin¬
dend kleine Zahl, und die Letzteren sind überhaupt nur selten, gegen deutsche
und zwar flüchtige Deutsche gewiß nicht sehr mildherzig. Wer daher nicht ver¬
hungern will, greift entweder zu Tagelöhnerarbcit, oder läßt sich für Neapel an¬
werben, oder läuft in die Heimath zurück, um dort über sich ergehen zu lassen,
was da will. Diejenigen, welche im Besitz von Mitteln sind und Pässe erhalten
können, wandern fast Alle über Frankreich nach Amerika aus. Gerne gingen alle
mit -— und vielleicht thäten die deutschen Regierungen wohl daran, wenn sie
diese Auswanderung durch Unterstützung begünstigten. Es ist übrigens vorauszu¬
sehen, daß die Schweiz eine so ausgedehnte Benutzung ihres Asylrechtes nicht
lange mehr gestatten wird, ebenso, daß bei der geringsten verdächtigen Bewegung
der deutsche« Verbannten die Mächte eine energische Haltung gegen die Eidge¬
nossenschaft annehmen werden. Aber es kommt hoffentlich nicht so weit — dafür
bürgen schon die unheilbaren Spaltungen, welche unter den dentschen Flüchtlingen
entstanden sind. Denn schon stehen sich zwei Parteien feindlich und Vorwürfe im
Mund einander gegenüber — Verführer und Verführte. Wenn nur die Letzteren
wenigstens ihrem Vaterlande wiedergegeben werden könnten, ich glaube, sie wären
geheilt von dem Fieber, das sie so unendlich elend gemacht hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/80>, abgerufen am 15.01.2025.