Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

polnische Leidenschaftlichkeit gibt sich auch im Fuhrwesen zu erkennen. So erreichten
wir am Nachmittag und wenigstens fünf Stunden früher als wenn wir deutsch
gefahren wären, unser Ziel, ein Dörfchen am Fuße der Karpathen, dessen Gebiet
vom Dunajec bespült wird. Der Besitzer des Ortes war der Vater meines Reise¬
gefährten, eines jungen polnischen Edelmannes, der vor wenigen Tagen erst die
Universität Krakau verlassen hatte, um nach Paris zu gehen, und mir schließlich
dadurch seine Freundschaft beweisen wollte, daß er mich mit seinen Ellern bekannt
machte. Sein Vater war ein Mann von colossaler Gestalt, noch in den Jahren der
vollen Kraft. Die Physiognomie desselben erinnerte mich an die Behauptung mei¬
nes verehrten Freundes öl, Ludwig Jahr in Freiburg, welche dem polnischen
Adel das polnische Blut streitig machte und ihn dazu verdammte, tatarischen Ur¬
sprungs zu sein. Aber physiognomische Folgerungen der Art halten selten Stich.
Ich habe echte Polen mit blauen, grauen, grünen, brannen und schwarzen Augen,
mit langen und runden Gesichtern, mit hohen und niedrigen, breiten und schmalen
Stirnen kennen gelernt, manchen, dessen Kopf auf dem Rumpfe eines Tataren
eine Vollkommenheit gemacht haben würde, und manchen der seines Gesichtes we¬
gen der beste Franzose oder Deutsche sein konnte. So hatte die Gattin meines
Herrn Wirths ein Köpfchen, von welchem wir meinen, daß es nur den Italiene¬
rinnen angehöre, und doch war ihr Geschlecht ein uraltgalizisches und dem ihres
Mannes ganz nahe verwandt.

Zum ersten Male in dem Hause eines galizischen Edelmanns, fielen mir Reich¬
thum, Eleganz und Reinlichkeit auf, womit alle Zimmer ausgestattet waren. Das
Haus selbst war ungleich besser, als die welche ich bisher von polnischen Edlen
auf dem Lande bewohnt gesehen. Es hatte ein Stockwerk, Hof, Fenster, ein
Schieferdach und war von gebrochenen Steinen gebaut. Jedes Zimmer hatte seine
hängende Ampel oder einen Kronleuchter, Sopha, Secretair, Gardinen, Büsten
und Bilder, alles Dinge, die die Edelleute des Königreichs nur in einem einzigen
Zimmer ihres Hauses, dem Staatszimmer, aufzuweisen haben. Reichthum und
Eleganz sind es, wodurch sich der galizische Adel von dem übrigen polnischen unter¬
scheidet. Es scheint nicht, daß der deutsche Einfluß diese Erscheinung bewirkt
habe. Schon vor Oestreichs Herrschaft waren die Häuser der galizischen Edel¬
leute als saubere Schlösser in Polen gepriesen, und wenn in neuerer Zeit durch
die häusliche Einrichtung der vielen Deutschen, welche in das Land kamen, ein
Wetteifer erregt wurde, so konnte dieser doch nur eine Steigerung des schon Vor¬
handenen bewirken. Die Ursache mag vielmehr sein, daß in Galizien sich die vor¬
nehmsten Adelsfamilien zusammendrängten und die Sitten einführten, welche sie
in Frankreich schätzen gelernt hatten. Im übrigen Polen dagegen haben sich die
vornehmsten Häuser des Adels so zerstreut, daß sie wenig Einfluß ausüben konn¬
ten und sich die große Masse des niedrigeren Adels dem Bauernstande assimilirte.
Man erzählte mir, es gebe in Galizien Edelsitze, deren sich Kaiser und Könige


polnische Leidenschaftlichkeit gibt sich auch im Fuhrwesen zu erkennen. So erreichten
wir am Nachmittag und wenigstens fünf Stunden früher als wenn wir deutsch
gefahren wären, unser Ziel, ein Dörfchen am Fuße der Karpathen, dessen Gebiet
vom Dunajec bespült wird. Der Besitzer des Ortes war der Vater meines Reise¬
gefährten, eines jungen polnischen Edelmannes, der vor wenigen Tagen erst die
Universität Krakau verlassen hatte, um nach Paris zu gehen, und mir schließlich
dadurch seine Freundschaft beweisen wollte, daß er mich mit seinen Ellern bekannt
machte. Sein Vater war ein Mann von colossaler Gestalt, noch in den Jahren der
vollen Kraft. Die Physiognomie desselben erinnerte mich an die Behauptung mei¬
nes verehrten Freundes öl, Ludwig Jahr in Freiburg, welche dem polnischen
Adel das polnische Blut streitig machte und ihn dazu verdammte, tatarischen Ur¬
sprungs zu sein. Aber physiognomische Folgerungen der Art halten selten Stich.
Ich habe echte Polen mit blauen, grauen, grünen, brannen und schwarzen Augen,
mit langen und runden Gesichtern, mit hohen und niedrigen, breiten und schmalen
Stirnen kennen gelernt, manchen, dessen Kopf auf dem Rumpfe eines Tataren
eine Vollkommenheit gemacht haben würde, und manchen der seines Gesichtes we¬
gen der beste Franzose oder Deutsche sein konnte. So hatte die Gattin meines
Herrn Wirths ein Köpfchen, von welchem wir meinen, daß es nur den Italiene¬
rinnen angehöre, und doch war ihr Geschlecht ein uraltgalizisches und dem ihres
Mannes ganz nahe verwandt.

Zum ersten Male in dem Hause eines galizischen Edelmanns, fielen mir Reich¬
thum, Eleganz und Reinlichkeit auf, womit alle Zimmer ausgestattet waren. Das
Haus selbst war ungleich besser, als die welche ich bisher von polnischen Edlen
auf dem Lande bewohnt gesehen. Es hatte ein Stockwerk, Hof, Fenster, ein
Schieferdach und war von gebrochenen Steinen gebaut. Jedes Zimmer hatte seine
hängende Ampel oder einen Kronleuchter, Sopha, Secretair, Gardinen, Büsten
und Bilder, alles Dinge, die die Edelleute des Königreichs nur in einem einzigen
Zimmer ihres Hauses, dem Staatszimmer, aufzuweisen haben. Reichthum und
Eleganz sind es, wodurch sich der galizische Adel von dem übrigen polnischen unter¬
scheidet. Es scheint nicht, daß der deutsche Einfluß diese Erscheinung bewirkt
habe. Schon vor Oestreichs Herrschaft waren die Häuser der galizischen Edel¬
leute als saubere Schlösser in Polen gepriesen, und wenn in neuerer Zeit durch
die häusliche Einrichtung der vielen Deutschen, welche in das Land kamen, ein
Wetteifer erregt wurde, so konnte dieser doch nur eine Steigerung des schon Vor¬
handenen bewirken. Die Ursache mag vielmehr sein, daß in Galizien sich die vor¬
nehmsten Adelsfamilien zusammendrängten und die Sitten einführten, welche sie
in Frankreich schätzen gelernt hatten. Im übrigen Polen dagegen haben sich die
vornehmsten Häuser des Adels so zerstreut, daß sie wenig Einfluß ausüben konn¬
ten und sich die große Masse des niedrigeren Adels dem Bauernstande assimilirte.
Man erzählte mir, es gebe in Galizien Edelsitze, deren sich Kaiser und Könige


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279607"/>
          <p xml:id="ID_186" prev="#ID_185"> polnische Leidenschaftlichkeit gibt sich auch im Fuhrwesen zu erkennen. So erreichten<lb/>
wir am Nachmittag und wenigstens fünf Stunden früher als wenn wir deutsch<lb/>
gefahren wären, unser Ziel, ein Dörfchen am Fuße der Karpathen, dessen Gebiet<lb/>
vom Dunajec bespült wird. Der Besitzer des Ortes war der Vater meines Reise¬<lb/>
gefährten, eines jungen polnischen Edelmannes, der vor wenigen Tagen erst die<lb/>
Universität Krakau verlassen hatte, um nach Paris zu gehen, und mir schließlich<lb/>
dadurch seine Freundschaft beweisen wollte, daß er mich mit seinen Ellern bekannt<lb/>
machte. Sein Vater war ein Mann von colossaler Gestalt, noch in den Jahren der<lb/>
vollen Kraft. Die Physiognomie desselben erinnerte mich an die Behauptung mei¬<lb/>
nes verehrten Freundes öl, Ludwig Jahr in Freiburg, welche dem polnischen<lb/>
Adel das polnische Blut streitig machte und ihn dazu verdammte, tatarischen Ur¬<lb/>
sprungs zu sein. Aber physiognomische Folgerungen der Art halten selten Stich.<lb/>
Ich habe echte Polen mit blauen, grauen, grünen, brannen und schwarzen Augen,<lb/>
mit langen und runden Gesichtern, mit hohen und niedrigen, breiten und schmalen<lb/>
Stirnen kennen gelernt, manchen, dessen Kopf auf dem Rumpfe eines Tataren<lb/>
eine Vollkommenheit gemacht haben würde, und manchen der seines Gesichtes we¬<lb/>
gen der beste Franzose oder Deutsche sein konnte. So hatte die Gattin meines<lb/>
Herrn Wirths ein Köpfchen, von welchem wir meinen, daß es nur den Italiene¬<lb/>
rinnen angehöre, und doch war ihr Geschlecht ein uraltgalizisches und dem ihres<lb/>
Mannes ganz nahe verwandt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_187" next="#ID_188"> Zum ersten Male in dem Hause eines galizischen Edelmanns, fielen mir Reich¬<lb/>
thum, Eleganz und Reinlichkeit auf, womit alle Zimmer ausgestattet waren. Das<lb/>
Haus selbst war ungleich besser, als die welche ich bisher von polnischen Edlen<lb/>
auf dem Lande bewohnt gesehen. Es hatte ein Stockwerk, Hof, Fenster, ein<lb/>
Schieferdach und war von gebrochenen Steinen gebaut. Jedes Zimmer hatte seine<lb/>
hängende Ampel oder einen Kronleuchter, Sopha, Secretair, Gardinen, Büsten<lb/>
und Bilder, alles Dinge, die die Edelleute des Königreichs nur in einem einzigen<lb/>
Zimmer ihres Hauses, dem Staatszimmer, aufzuweisen haben. Reichthum und<lb/>
Eleganz sind es, wodurch sich der galizische Adel von dem übrigen polnischen unter¬<lb/>
scheidet. Es scheint nicht, daß der deutsche Einfluß diese Erscheinung bewirkt<lb/>
habe. Schon vor Oestreichs Herrschaft waren die Häuser der galizischen Edel¬<lb/>
leute als saubere Schlösser in Polen gepriesen, und wenn in neuerer Zeit durch<lb/>
die häusliche Einrichtung der vielen Deutschen, welche in das Land kamen, ein<lb/>
Wetteifer erregt wurde, so konnte dieser doch nur eine Steigerung des schon Vor¬<lb/>
handenen bewirken. Die Ursache mag vielmehr sein, daß in Galizien sich die vor¬<lb/>
nehmsten Adelsfamilien zusammendrängten und die Sitten einführten, welche sie<lb/>
in Frankreich schätzen gelernt hatten. Im übrigen Polen dagegen haben sich die<lb/>
vornehmsten Häuser des Adels so zerstreut, daß sie wenig Einfluß ausüben konn¬<lb/>
ten und sich die große Masse des niedrigeren Adels dem Bauernstande assimilirte.<lb/>
Man erzählte mir, es gebe in Galizien Edelsitze, deren sich Kaiser und Könige</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] polnische Leidenschaftlichkeit gibt sich auch im Fuhrwesen zu erkennen. So erreichten wir am Nachmittag und wenigstens fünf Stunden früher als wenn wir deutsch gefahren wären, unser Ziel, ein Dörfchen am Fuße der Karpathen, dessen Gebiet vom Dunajec bespült wird. Der Besitzer des Ortes war der Vater meines Reise¬ gefährten, eines jungen polnischen Edelmannes, der vor wenigen Tagen erst die Universität Krakau verlassen hatte, um nach Paris zu gehen, und mir schließlich dadurch seine Freundschaft beweisen wollte, daß er mich mit seinen Ellern bekannt machte. Sein Vater war ein Mann von colossaler Gestalt, noch in den Jahren der vollen Kraft. Die Physiognomie desselben erinnerte mich an die Behauptung mei¬ nes verehrten Freundes öl, Ludwig Jahr in Freiburg, welche dem polnischen Adel das polnische Blut streitig machte und ihn dazu verdammte, tatarischen Ur¬ sprungs zu sein. Aber physiognomische Folgerungen der Art halten selten Stich. Ich habe echte Polen mit blauen, grauen, grünen, brannen und schwarzen Augen, mit langen und runden Gesichtern, mit hohen und niedrigen, breiten und schmalen Stirnen kennen gelernt, manchen, dessen Kopf auf dem Rumpfe eines Tataren eine Vollkommenheit gemacht haben würde, und manchen der seines Gesichtes we¬ gen der beste Franzose oder Deutsche sein konnte. So hatte die Gattin meines Herrn Wirths ein Köpfchen, von welchem wir meinen, daß es nur den Italiene¬ rinnen angehöre, und doch war ihr Geschlecht ein uraltgalizisches und dem ihres Mannes ganz nahe verwandt. Zum ersten Male in dem Hause eines galizischen Edelmanns, fielen mir Reich¬ thum, Eleganz und Reinlichkeit auf, womit alle Zimmer ausgestattet waren. Das Haus selbst war ungleich besser, als die welche ich bisher von polnischen Edlen auf dem Lande bewohnt gesehen. Es hatte ein Stockwerk, Hof, Fenster, ein Schieferdach und war von gebrochenen Steinen gebaut. Jedes Zimmer hatte seine hängende Ampel oder einen Kronleuchter, Sopha, Secretair, Gardinen, Büsten und Bilder, alles Dinge, die die Edelleute des Königreichs nur in einem einzigen Zimmer ihres Hauses, dem Staatszimmer, aufzuweisen haben. Reichthum und Eleganz sind es, wodurch sich der galizische Adel von dem übrigen polnischen unter¬ scheidet. Es scheint nicht, daß der deutsche Einfluß diese Erscheinung bewirkt habe. Schon vor Oestreichs Herrschaft waren die Häuser der galizischen Edel¬ leute als saubere Schlösser in Polen gepriesen, und wenn in neuerer Zeit durch die häusliche Einrichtung der vielen Deutschen, welche in das Land kamen, ein Wetteifer erregt wurde, so konnte dieser doch nur eine Steigerung des schon Vor¬ handenen bewirken. Die Ursache mag vielmehr sein, daß in Galizien sich die vor¬ nehmsten Adelsfamilien zusammendrängten und die Sitten einführten, welche sie in Frankreich schätzen gelernt hatten. Im übrigen Polen dagegen haben sich die vornehmsten Häuser des Adels so zerstreut, daß sie wenig Einfluß ausüben konn¬ ten und sich die große Masse des niedrigeren Adels dem Bauernstande assimilirte. Man erzählte mir, es gebe in Galizien Edelsitze, deren sich Kaiser und Könige

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/59
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/59>, abgerufen am 15.01.2025.