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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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nicht zu schämen brauchten. Als ich in der Folge Lauzat, ein Schloß der gräf¬
lich Potockischen Familie gesehen, hörte ich ans jene Behauptung zu bezweifeln.

Wirth und Wirthin hatten uns Gästen ein reiches Mahl bereitet und wir
waren eben dabei, als sich vor meinen Augen eine Scene gestaltete, die mir zwar
nicht neu war, welche ich aber doch in Galizien nicht erwartet hätte, wo die Re¬
gierung, nach meinem Glauben, aus dem Bauernstande ein anderes Geschlecht
gemacht hatte. Der Kammerdiener meldete ein Brautpaar an. "Wollen Sie ein
hübsches Mädchen sehen, so kommen Sie mit mir!" sagte der Wirth. In der
Hausflur fanden wir die Angemeldeten, einen munteren Burschen und eine blü¬
hende junge Dirne, beide fast noch Kinder. Der Bräutigam hielt mehrere Ka¬
pauen, deren Füße zusammengebunden waren, in der Hand, die Braut einen
Korb voll Eier. Sobald das Paar den Edelherrn vor sich erblickte, fiel es ihm
zu Füßen. Die Braut blieb, mit den Armen die Füße des Herrn umschlungen,
liegen, der Bräutigam dagegen richtete sich auf und überreichte die erwähnten
Dinge mit den Worten: "Gnädigster gebietender Herr, nimm dieses Geschenk von
uns an, Deinen demüthigen Unterthanen, an, und gestatte, daß wir uns heira-
then." Die Wirthschafte"!! trug die Gaben bei Seite und der Edelmann erwie¬
derte, zum Scherzen aufgelegt: "ich habe nichts dagegen und wünsche Euch viele
Kinder," worauf das Brautpaar dem gnädigen Herrn noch die Kniee küßte und
von dannen ging. Also noch ganz die Formen, welche die alte Zeit zurückrufen.

Damals war der Bauer das vollkommenste Eigenthum des Herrn. Er gebot über ihn
wie der Vater über das Kind, leider nur zu oft auch wie der Herr über den Hund.
Alles, was der Bauer besaß, gehörte dem Herrn, seine Hütte, sein Feld, sein Vieh,
sein Pflug, sein Kittel, seine Zeit, sein Leib, seine Seele. Ohne den Willen des
Edelmanns konnte der Bauer nichts thun, weder seinen Wohnsitz verändern, noch
heirathen, ja nicht einmal beichten und communiciren, denn der Geistliche, selbst
dem Adel angehörend und für dessen Rechte arbeitend, uneben die Beichte nicht an
ohne einen Erlaubnißschein des Edelmanns.

Die berühmte Konstitution vom 3. Mai 1791 hob die Leibeigenschaft des
Bauernstandes auf und versetzte denselben in die Classen der freien Staatsbürger.
Das Verhältniß war nicht ganz bedingungsfrei und es läßt sich am treffendsten
mit den Worten bezeichnen: Der Bauer wurde frei als Person. Allein der Bauer
erfuhr von seinem neuen Zustande nichts und betrachtete sich sorr und fort für eine
Waare seines Herrn. Im Königreich Polen ist dieser Zustand geblieben bis auf den
heutigen Tag, die russische Negierung hat es nicht sür Mühe lohnend oder gut gehal¬
ten, dem Bauer von seiner Freiheit zu unterrichten, der Edelmann hat geflissentlich
dafür gearbeitet, daß der Bauer seine Freiheit nicht kennen lerne, wo dies aber
nicht verhindert werden konnte, z. B. in der Nähe der deutschen Kolonien, nützte
dem Bauer doch die Kenntniß seiner Freiheit nichts, da seine Snbsisteuzmittel sort
und fort der Gnade und dem Besitzthum des Edelmanns entspringen mußten. So


nicht zu schämen brauchten. Als ich in der Folge Lauzat, ein Schloß der gräf¬
lich Potockischen Familie gesehen, hörte ich ans jene Behauptung zu bezweifeln.

Wirth und Wirthin hatten uns Gästen ein reiches Mahl bereitet und wir
waren eben dabei, als sich vor meinen Augen eine Scene gestaltete, die mir zwar
nicht neu war, welche ich aber doch in Galizien nicht erwartet hätte, wo die Re¬
gierung, nach meinem Glauben, aus dem Bauernstande ein anderes Geschlecht
gemacht hatte. Der Kammerdiener meldete ein Brautpaar an. „Wollen Sie ein
hübsches Mädchen sehen, so kommen Sie mit mir!" sagte der Wirth. In der
Hausflur fanden wir die Angemeldeten, einen munteren Burschen und eine blü¬
hende junge Dirne, beide fast noch Kinder. Der Bräutigam hielt mehrere Ka¬
pauen, deren Füße zusammengebunden waren, in der Hand, die Braut einen
Korb voll Eier. Sobald das Paar den Edelherrn vor sich erblickte, fiel es ihm
zu Füßen. Die Braut blieb, mit den Armen die Füße des Herrn umschlungen,
liegen, der Bräutigam dagegen richtete sich auf und überreichte die erwähnten
Dinge mit den Worten: „Gnädigster gebietender Herr, nimm dieses Geschenk von
uns an, Deinen demüthigen Unterthanen, an, und gestatte, daß wir uns heira-
then." Die Wirthschafte«!! trug die Gaben bei Seite und der Edelmann erwie¬
derte, zum Scherzen aufgelegt: „ich habe nichts dagegen und wünsche Euch viele
Kinder," worauf das Brautpaar dem gnädigen Herrn noch die Kniee küßte und
von dannen ging. Also noch ganz die Formen, welche die alte Zeit zurückrufen.

Damals war der Bauer das vollkommenste Eigenthum des Herrn. Er gebot über ihn
wie der Vater über das Kind, leider nur zu oft auch wie der Herr über den Hund.
Alles, was der Bauer besaß, gehörte dem Herrn, seine Hütte, sein Feld, sein Vieh,
sein Pflug, sein Kittel, seine Zeit, sein Leib, seine Seele. Ohne den Willen des
Edelmanns konnte der Bauer nichts thun, weder seinen Wohnsitz verändern, noch
heirathen, ja nicht einmal beichten und communiciren, denn der Geistliche, selbst
dem Adel angehörend und für dessen Rechte arbeitend, uneben die Beichte nicht an
ohne einen Erlaubnißschein des Edelmanns.

Die berühmte Konstitution vom 3. Mai 1791 hob die Leibeigenschaft des
Bauernstandes auf und versetzte denselben in die Classen der freien Staatsbürger.
Das Verhältniß war nicht ganz bedingungsfrei und es läßt sich am treffendsten
mit den Worten bezeichnen: Der Bauer wurde frei als Person. Allein der Bauer
erfuhr von seinem neuen Zustande nichts und betrachtete sich sorr und fort für eine
Waare seines Herrn. Im Königreich Polen ist dieser Zustand geblieben bis auf den
heutigen Tag, die russische Negierung hat es nicht sür Mühe lohnend oder gut gehal¬
ten, dem Bauer von seiner Freiheit zu unterrichten, der Edelmann hat geflissentlich
dafür gearbeitet, daß der Bauer seine Freiheit nicht kennen lerne, wo dies aber
nicht verhindert werden konnte, z. B. in der Nähe der deutschen Kolonien, nützte
dem Bauer doch die Kenntniß seiner Freiheit nichts, da seine Snbsisteuzmittel sort
und fort der Gnade und dem Besitzthum des Edelmanns entspringen mußten. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/60>, abgerufen am 15.01.2025.