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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Volksnamen, als z. B. Pnsniaken (die ältesten Bewohner des Landes), Gorali,
Slomaki n. a. entgegen. Diese Stämme sind sämmtlich slawischen Ursprungs, doch
in Sitten und zum Theil selbst im religiösen Glauben von einander unterschieden.
Die polnische Republik sparte keine Mühe sie zu polonisiren. Mit einigen gelang
es ihr völlig, mit anderen zum Theil. Alle ohne Ausnahme aber brachte sie unter
diejenigen gesellschaftlichen Formen, welche im polnischen Reiche herrschend waren
und dies mag die wichtigste Ursache davon sein, daß sich jene Völkerschaften selbst
bis zu den Schichten der Gebildeteren hinaus für echt polnische halten und bis in
die neueste Zeit das lebendigste Interesse an dem Schicksal des polnischen Reichs
genommen haben; das aber verhinderte die östreichische Regierung zu Bekämpfung
des ihr gefährlichen polnischen Elements, die Stammverschiedenheit der Völkerschaf¬
ten zu einem Hilfsmittel zu machen, und bewog sie, sich für eine Operation zu
entscheiden, welche nicht auf das Nationalwescn, sondern auf den gesellschaftlichen
Zustand direct einzuwirken hatte. Eine andere wichtige Folge davon, daß die ge¬
fährlichsten Kriege der untergegangenen Republik in Galizien ausgefochten wurden,
war, daß sich hier der vornehmste und reichste Adel des kriegerischen Volks nie¬
derließ, oder wenigstens bedeutende Besitzungen erwarb. So findet man in Ga¬
lizien die alten fürstlichen und gräflichen Häuser der Jablonowski, Labomirski,
Starbck, Zaluski, Kraflnski, Potocki, Lawicki, Stadnicki, Ankiewicz, DembinSki,
Wrzelaczönski, Wodzinski u. a. Auch die ursprünglich aus Lithauen stammenden
Familien der Sapieha und Czartoryiski haben hier Grundbesitz erworben. Adel
und Bauernstand umfassen Galiziens Ureinwohnersehaft, die Hauptmasse der Be¬
völkerung und geben dem Lande seine politische Bedeutung. Die Juden sind frühe
Einwanderer, aber sie haben keinen Einfluß anf jene gehabt. Von den Deutschen
dagegen, welche eine Menge Kolonien und eine dicke Schicht im Bürgerstande ge¬
bildet haben, möchte Gleiches nicht behauptet werden können, wenn auch ihr Ein¬
fluß bei der ihnen eigenthümlichen Gewohnheit, sich zu isoliren und mit sich selbst
zu beschäftigen, kein großes Gewicht erlangen konnte.

Wir fuhren auf der Straße nach Bochnia dahin. Die polnischen Landleute
waren aus den Feldern beschäftigt, hier mit dem Pflug, dort mit der Sichel.
Allenthalben sahen wir sie in großer Menge beisammen und überzeugten uus da¬
durch, daß ihr Verhältniß zum Grundherrn noch dasselbe sei, wie in alter Zeit
oder wenigstens nicht sehr von dem unterschieden. "Ein Finger gebührt dem Bauer
für sich, neun für den Herrn," ist ein polnisches Sprichwort. Daß es noch in
Oestreich gilt, konnte uns in Verwunderung setzen, da man uns gesagt, die öst¬
reichische Regierung begünstige den Bauernstand ungemein. Es schien da eine
Erläuterung nöthig.

Wir fuhren ziemlich scharf. Auch in Galizien ist man gewöhnt, pfeilschnell
zu sein. Ob Ebene, steigender oder fallender Berg bleibt sich ganz gleich, die


Volksnamen, als z. B. Pnsniaken (die ältesten Bewohner des Landes), Gorali,
Slomaki n. a. entgegen. Diese Stämme sind sämmtlich slawischen Ursprungs, doch
in Sitten und zum Theil selbst im religiösen Glauben von einander unterschieden.
Die polnische Republik sparte keine Mühe sie zu polonisiren. Mit einigen gelang
es ihr völlig, mit anderen zum Theil. Alle ohne Ausnahme aber brachte sie unter
diejenigen gesellschaftlichen Formen, welche im polnischen Reiche herrschend waren
und dies mag die wichtigste Ursache davon sein, daß sich jene Völkerschaften selbst
bis zu den Schichten der Gebildeteren hinaus für echt polnische halten und bis in
die neueste Zeit das lebendigste Interesse an dem Schicksal des polnischen Reichs
genommen haben; das aber verhinderte die östreichische Regierung zu Bekämpfung
des ihr gefährlichen polnischen Elements, die Stammverschiedenheit der Völkerschaf¬
ten zu einem Hilfsmittel zu machen, und bewog sie, sich für eine Operation zu
entscheiden, welche nicht auf das Nationalwescn, sondern auf den gesellschaftlichen
Zustand direct einzuwirken hatte. Eine andere wichtige Folge davon, daß die ge¬
fährlichsten Kriege der untergegangenen Republik in Galizien ausgefochten wurden,
war, daß sich hier der vornehmste und reichste Adel des kriegerischen Volks nie¬
derließ, oder wenigstens bedeutende Besitzungen erwarb. So findet man in Ga¬
lizien die alten fürstlichen und gräflichen Häuser der Jablonowski, Labomirski,
Starbck, Zaluski, Kraflnski, Potocki, Lawicki, Stadnicki, Ankiewicz, DembinSki,
Wrzelaczönski, Wodzinski u. a. Auch die ursprünglich aus Lithauen stammenden
Familien der Sapieha und Czartoryiski haben hier Grundbesitz erworben. Adel
und Bauernstand umfassen Galiziens Ureinwohnersehaft, die Hauptmasse der Be¬
völkerung und geben dem Lande seine politische Bedeutung. Die Juden sind frühe
Einwanderer, aber sie haben keinen Einfluß anf jene gehabt. Von den Deutschen
dagegen, welche eine Menge Kolonien und eine dicke Schicht im Bürgerstande ge¬
bildet haben, möchte Gleiches nicht behauptet werden können, wenn auch ihr Ein¬
fluß bei der ihnen eigenthümlichen Gewohnheit, sich zu isoliren und mit sich selbst
zu beschäftigen, kein großes Gewicht erlangen konnte.

Wir fuhren auf der Straße nach Bochnia dahin. Die polnischen Landleute
waren aus den Feldern beschäftigt, hier mit dem Pflug, dort mit der Sichel.
Allenthalben sahen wir sie in großer Menge beisammen und überzeugten uus da¬
durch, daß ihr Verhältniß zum Grundherrn noch dasselbe sei, wie in alter Zeit
oder wenigstens nicht sehr von dem unterschieden. „Ein Finger gebührt dem Bauer
für sich, neun für den Herrn," ist ein polnisches Sprichwort. Daß es noch in
Oestreich gilt, konnte uns in Verwunderung setzen, da man uns gesagt, die öst¬
reichische Regierung begünstige den Bauernstand ungemein. Es schien da eine
Erläuterung nöthig.

Wir fuhren ziemlich scharf. Auch in Galizien ist man gewöhnt, pfeilschnell
zu sein. Ob Ebene, steigender oder fallender Berg bleibt sich ganz gleich, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/58>, abgerufen am 15.01.2025.