Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.vorbereitete, war die große Ausdehnung der Oper und ihr Heraustreten aus dem Seit Talma's Tod war die Bühne verwaist, und nnr eine neue Kunst konnte In das Trauerspiel dagegen trat durch die neue Ansicht von der Kunst eine Dieser salonfähigen Tragödie wurde von der neuen Schule das historische vorbereitete, war die große Ausdehnung der Oper und ihr Heraustreten aus dem Seit Talma's Tod war die Bühne verwaist, und nnr eine neue Kunst konnte In das Trauerspiel dagegen trat durch die neue Ansicht von der Kunst eine Dieser salonfähigen Tragödie wurde von der neuen Schule das historische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280041"/> <p xml:id="ID_1707" prev="#ID_1706"> vorbereitete, war die große Ausdehnung der Oper und ihr Heraustreten aus dem<lb/> lyrischen Charakter, den sie in den Zeiten Metastasio's bewahrt. Ein Publikum,<lb/> das an die phantastischen Sprünge und die willkürlichen Combinationen der Libret¬<lb/> to's gewöhnt ist, wird durch keine Unnatürlichkeit mehr in Erstaunen gesetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1708"> Seit Talma's Tod war die Bühne verwaist, und nnr eine neue Kunst konnte<lb/> sie wieder beleben. Die Neuerung — ein freierer Gang in der Handlung und<lb/> die Ersetzung des Conventionellen durch das Charakteristische — mußte sich mehr<lb/> auf die tragische Kunst beziehn als auf das Lustspiel. Denn die Komödie hat<lb/> immer eine satyrische Ader, und muß diese Beziehung auf bestimmte sittliche Ver¬<lb/> hältnisse durch Darstellung derselbe» begründen, sie ist also ihrer Natur nach auf<lb/> das Charakteristische angewiesen, und wenn wir den drin^o»!« ^ontilliommo von<lb/> Molivre, den Figaro von Beaumarchais und im« alium<- von Scribe mit einander<lb/> vergleichen, so finden wir eine naturgemäße Entwickelung der Kunst, so schnell<lb/> sich auch der Horizont erweitert. Außerdem beschneidet das Lustspiel, so wenig<lb/> es eine steifleinene Logik begünstigt, schon durch seinen Gegenstand die Willkür<lb/> des Dichters; denn mit den Verhältnissen der Gegenwart ist das Publikum ver¬<lb/> traut, und würde nicht zugeben, daß man einen Robert den Teufel, eine Bern¬<lb/> steinhexe oder einen standhaften Prinzen in den modernen Salon oder in die<lb/> Chaumiore einführte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1709"> In das Trauerspiel dagegen trat durch die neue Ansicht von der Kunst eine<lb/> vollständig entgegengesetzte Richtung ein. Zwar hatten auch die älteren französi¬<lb/> schen Dichter nicht immer streng an ihrem Aristoteles festgehalten. Schon von<lb/> dem großen Corneille kann die Kritik nur vier im Geist der Kunst gehaltene Tra¬<lb/> gödien anführen (Cid, Polyeucte, Ciuua und Horace); die übrigen stehen unter<lb/> dem Einfluß des spanischen Theaters, und gehen mehr darauf aus, die Handlung<lb/> durch widerstreitende Intriguen und unmotivirte Zufälligkeiten zu verwickeln, als<lb/> sie durch Einen großen Zug zu zwingen. Aber im Ganzen war dieses doch der<lb/> Sinn des französischen Theaters: einen von vornherein deutlich entwickelten Con¬<lb/> flict zu seiner Lösung zu führen, durch keine andern Mittel, als die in der<lb/> Exposition angegebenen, und in diesem einfachen Gange die Aufmerksamkeit in<lb/> Einer bestimmten Spannung zu fesseln. Die andern Regeln, obgleich sie in pe¬<lb/> dantische Formalien ausarteten, gehen alle auf diesen Einen Zweck; z. B. das<lb/> Festhalten desselben Tones, das Vermeiden aller Episoden, welche die Aufmerk¬<lb/> samkeit zerstreuen, aller Figuren, auf die mau nicht von vornherein bei der Ex¬<lb/> position aufmerksam gemacht ist; die leichte Zeichnung der Nebenfiguren, die blos<lb/> als Ergänzung des Dialogs angewandt werden, die sorgfältige Motivirung — wo¬<lb/> mit die sogenannte Einheit der Zeit zusammenhängt; die Gleichgilttgkcit gegen die<lb/> Localität und das Costüm — Einheit des Orts. U. s. w.</p><lb/> <p xml:id="ID_1710" next="#ID_1711"> Dieser salonfähigen Tragödie wurde von der neuen Schule das historische<lb/> Drama — die Tragikomödie entgegengesetzt. Cromwell (l827) war nur die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
vorbereitete, war die große Ausdehnung der Oper und ihr Heraustreten aus dem
lyrischen Charakter, den sie in den Zeiten Metastasio's bewahrt. Ein Publikum,
das an die phantastischen Sprünge und die willkürlichen Combinationen der Libret¬
to's gewöhnt ist, wird durch keine Unnatürlichkeit mehr in Erstaunen gesetzt.
Seit Talma's Tod war die Bühne verwaist, und nnr eine neue Kunst konnte
sie wieder beleben. Die Neuerung — ein freierer Gang in der Handlung und
die Ersetzung des Conventionellen durch das Charakteristische — mußte sich mehr
auf die tragische Kunst beziehn als auf das Lustspiel. Denn die Komödie hat
immer eine satyrische Ader, und muß diese Beziehung auf bestimmte sittliche Ver¬
hältnisse durch Darstellung derselbe» begründen, sie ist also ihrer Natur nach auf
das Charakteristische angewiesen, und wenn wir den drin^o»!« ^ontilliommo von
Molivre, den Figaro von Beaumarchais und im« alium<- von Scribe mit einander
vergleichen, so finden wir eine naturgemäße Entwickelung der Kunst, so schnell
sich auch der Horizont erweitert. Außerdem beschneidet das Lustspiel, so wenig
es eine steifleinene Logik begünstigt, schon durch seinen Gegenstand die Willkür
des Dichters; denn mit den Verhältnissen der Gegenwart ist das Publikum ver¬
traut, und würde nicht zugeben, daß man einen Robert den Teufel, eine Bern¬
steinhexe oder einen standhaften Prinzen in den modernen Salon oder in die
Chaumiore einführte.
In das Trauerspiel dagegen trat durch die neue Ansicht von der Kunst eine
vollständig entgegengesetzte Richtung ein. Zwar hatten auch die älteren französi¬
schen Dichter nicht immer streng an ihrem Aristoteles festgehalten. Schon von
dem großen Corneille kann die Kritik nur vier im Geist der Kunst gehaltene Tra¬
gödien anführen (Cid, Polyeucte, Ciuua und Horace); die übrigen stehen unter
dem Einfluß des spanischen Theaters, und gehen mehr darauf aus, die Handlung
durch widerstreitende Intriguen und unmotivirte Zufälligkeiten zu verwickeln, als
sie durch Einen großen Zug zu zwingen. Aber im Ganzen war dieses doch der
Sinn des französischen Theaters: einen von vornherein deutlich entwickelten Con¬
flict zu seiner Lösung zu führen, durch keine andern Mittel, als die in der
Exposition angegebenen, und in diesem einfachen Gange die Aufmerksamkeit in
Einer bestimmten Spannung zu fesseln. Die andern Regeln, obgleich sie in pe¬
dantische Formalien ausarteten, gehen alle auf diesen Einen Zweck; z. B. das
Festhalten desselben Tones, das Vermeiden aller Episoden, welche die Aufmerk¬
samkeit zerstreuen, aller Figuren, auf die mau nicht von vornherein bei der Ex¬
position aufmerksam gemacht ist; die leichte Zeichnung der Nebenfiguren, die blos
als Ergänzung des Dialogs angewandt werden, die sorgfältige Motivirung — wo¬
mit die sogenannte Einheit der Zeit zusammenhängt; die Gleichgilttgkcit gegen die
Localität und das Costüm — Einheit des Orts. U. s. w.
Dieser salonfähigen Tragödie wurde von der neuen Schule das historische
Drama — die Tragikomödie entgegengesetzt. Cromwell (l827) war nur die
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