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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Correspondenzen und Notizen.



Der Zvaldeck'sche Prozeß.

Waldeck frei gesprochen unter dem begeisterten Zuruf der Berliner, der Fäl-
scher Ohm in das Gefängniß zurückgeführt unter dem Bann einer neuen Klage,
welche gegen ihn und seine Complicen vom Staatsanwalt erhoben werden soll,
das war die Neuigkeit welche vou dem aufgeregten Berlin durch alle Gegenden
Dentschlands flog.

Vieles ist über den Waldeck'scheu Prozeß geschrieben und noch mehr gespro¬
chen worden und uach dem leidenschaftlichen Haß und der Liebe, welche sich dem
Angeklagten gegenüber kund gegeben hat, bildet sich allmälig ein ruhiges Urtheil,
wahrscheinlich auch in Berlin. Wer die stenographischen Berichte des Prozesses
gelesen hat, wird aus der Menge vou pikanten Scenen und aus dem Aerger über
die Schlechtigkeit Einzelner, welche in ihm blosgestellt wird, auch einige ernste
Lehren erhalten haben. An diese wollen wir uns halten.

Die öffentliche Verhandlung vor den Geschwornen verwandelt einen solchen
Prozeß in ein großes, dramatisches Ganze, welches durch die Voruntersuchung zu¬
bereitet und von dem Präsidenten des Gerichts nach der Reihenfolge seiner Mo¬
mente künstlich und methodisch für die Geschwornen arrangirt wird. Vieles, was
man für und gegen die Geschwornengerichte sagt, hat durch diesen Prozeß Bestä-
tigung erhalten. Die Wirkung, welche durch die leidenschaftliche Theilnahme des
Publikums auf Zeugen und Angeklagte, ja vielleicht selbst auf die Geschwornen und
die Richter ausgeübt wird, die Schwierigkeit dieser Art von Untersuchung den Anstrich
der Gründlichkeit zu geben, die Abhängigkeit der Geschwornen von der Persönlichkeit
des leitenden Richters, das Alles war deutlich herauszuenipfiudcn. Und doch gab
es keinen bessern Beweis für den segensreichen Einfluß dieser öffentlichen Gerichte
auf die politische Bildung der Staatsbürger, als diesen Proceß, durch ihn erst
haben die Geschwornengerichte in Preußen das Bürgerrecht gewonnen. Durch die
Macht der Oeffentlichkeit haben die schlechten Auswüchse des preußischen Beamten-
thums und die ultraconservative Partei einen Schlag erhalten, von dem sie sich
schwerlich wieder erhole" werden. Das Volk hat Verehrung vor seinen Richtern
und seinem Recht aus dem Sitzungssaal nach Hans getragen und den frivolen,
maßlosen Treiben des Berliner Völkchens war die große Verhandlung, welche im
Interesse der öffentlichen Sittlichkeit geführt wurde, eine wahrhafte Kur, deren
Vortheil sich in der nächsten Zukunft auch für den Staat zeigen muß. Ein freier


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Correspondenzen und Notizen.



Der Zvaldeck'sche Prozeß.

Waldeck frei gesprochen unter dem begeisterten Zuruf der Berliner, der Fäl-
scher Ohm in das Gefängniß zurückgeführt unter dem Bann einer neuen Klage,
welche gegen ihn und seine Complicen vom Staatsanwalt erhoben werden soll,
das war die Neuigkeit welche vou dem aufgeregten Berlin durch alle Gegenden
Dentschlands flog.

Vieles ist über den Waldeck'scheu Prozeß geschrieben und noch mehr gespro¬
chen worden und uach dem leidenschaftlichen Haß und der Liebe, welche sich dem
Angeklagten gegenüber kund gegeben hat, bildet sich allmälig ein ruhiges Urtheil,
wahrscheinlich auch in Berlin. Wer die stenographischen Berichte des Prozesses
gelesen hat, wird aus der Menge vou pikanten Scenen und aus dem Aerger über
die Schlechtigkeit Einzelner, welche in ihm blosgestellt wird, auch einige ernste
Lehren erhalten haben. An diese wollen wir uns halten.

Die öffentliche Verhandlung vor den Geschwornen verwandelt einen solchen
Prozeß in ein großes, dramatisches Ganze, welches durch die Voruntersuchung zu¬
bereitet und von dem Präsidenten des Gerichts nach der Reihenfolge seiner Mo¬
mente künstlich und methodisch für die Geschwornen arrangirt wird. Vieles, was
man für und gegen die Geschwornengerichte sagt, hat durch diesen Prozeß Bestä-
tigung erhalten. Die Wirkung, welche durch die leidenschaftliche Theilnahme des
Publikums auf Zeugen und Angeklagte, ja vielleicht selbst auf die Geschwornen und
die Richter ausgeübt wird, die Schwierigkeit dieser Art von Untersuchung den Anstrich
der Gründlichkeit zu geben, die Abhängigkeit der Geschwornen von der Persönlichkeit
des leitenden Richters, das Alles war deutlich herauszuenipfiudcn. Und doch gab
es keinen bessern Beweis für den segensreichen Einfluß dieser öffentlichen Gerichte
auf die politische Bildung der Staatsbürger, als diesen Proceß, durch ihn erst
haben die Geschwornengerichte in Preußen das Bürgerrecht gewonnen. Durch die
Macht der Oeffentlichkeit haben die schlechten Auswüchse des preußischen Beamten-
thums und die ultraconservative Partei einen Schlag erhalten, von dem sie sich
schwerlich wieder erhole» werden. Das Volk hat Verehrung vor seinen Richtern
und seinem Recht aus dem Sitzungssaal nach Hans getragen und den frivolen,
maßlosen Treiben des Berliner Völkchens war die große Verhandlung, welche im
Interesse der öffentlichen Sittlichkeit geführt wurde, eine wahrhafte Kur, deren
Vortheil sich in der nächsten Zukunft auch für den Staat zeigen muß. Ein freier


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[0446] Correspondenzen und Notizen. Der Zvaldeck'sche Prozeß. Waldeck frei gesprochen unter dem begeisterten Zuruf der Berliner, der Fäl- scher Ohm in das Gefängniß zurückgeführt unter dem Bann einer neuen Klage, welche gegen ihn und seine Complicen vom Staatsanwalt erhoben werden soll, das war die Neuigkeit welche vou dem aufgeregten Berlin durch alle Gegenden Dentschlands flog. Vieles ist über den Waldeck'scheu Prozeß geschrieben und noch mehr gespro¬ chen worden und uach dem leidenschaftlichen Haß und der Liebe, welche sich dem Angeklagten gegenüber kund gegeben hat, bildet sich allmälig ein ruhiges Urtheil, wahrscheinlich auch in Berlin. Wer die stenographischen Berichte des Prozesses gelesen hat, wird aus der Menge vou pikanten Scenen und aus dem Aerger über die Schlechtigkeit Einzelner, welche in ihm blosgestellt wird, auch einige ernste Lehren erhalten haben. An diese wollen wir uns halten. Die öffentliche Verhandlung vor den Geschwornen verwandelt einen solchen Prozeß in ein großes, dramatisches Ganze, welches durch die Voruntersuchung zu¬ bereitet und von dem Präsidenten des Gerichts nach der Reihenfolge seiner Mo¬ mente künstlich und methodisch für die Geschwornen arrangirt wird. Vieles, was man für und gegen die Geschwornengerichte sagt, hat durch diesen Prozeß Bestä- tigung erhalten. Die Wirkung, welche durch die leidenschaftliche Theilnahme des Publikums auf Zeugen und Angeklagte, ja vielleicht selbst auf die Geschwornen und die Richter ausgeübt wird, die Schwierigkeit dieser Art von Untersuchung den Anstrich der Gründlichkeit zu geben, die Abhängigkeit der Geschwornen von der Persönlichkeit des leitenden Richters, das Alles war deutlich herauszuenipfiudcn. Und doch gab es keinen bessern Beweis für den segensreichen Einfluß dieser öffentlichen Gerichte auf die politische Bildung der Staatsbürger, als diesen Proceß, durch ihn erst haben die Geschwornengerichte in Preußen das Bürgerrecht gewonnen. Durch die Macht der Oeffentlichkeit haben die schlechten Auswüchse des preußischen Beamten- thums und die ultraconservative Partei einen Schlag erhalten, von dem sie sich schwerlich wieder erhole» werden. Das Volk hat Verehrung vor seinen Richtern und seinem Recht aus dem Sitzungssaal nach Hans getragen und den frivolen, maßlosen Treiben des Berliner Völkchens war die große Verhandlung, welche im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit geführt wurde, eine wahrhafte Kur, deren Vortheil sich in der nächsten Zukunft auch für den Staat zeigen muß. Ein freier 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/446>, abgerufen am 15.01.2025.