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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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intelligenter Richterstand, ein Volk, welches vor dem Gesetz Achtung und Sehen
hat, das sind zwei Pfeiler des Staates, deren Kräftigung wir zunächst ersehnen
müssen und jetzt hoffen dürfen.

Ueber Ohm, den kläglichen Schelm und seinen Verführer, Gödsche, ist we¬
nig mehr zu sagen; wir dürfen nicht wünschen, daß der letztere die Mitschuld an
der Fälschung der d'Estcr'schen Briefe trage, wir sind überzeugt, daß wenn er
derselben überwiesen wird, die Geschwornen ihn nicht mit sentimentalen Mitleid
behandeln werden. Wohl aber fordert die Stimmung des Berliner Publikums
zu einer Bemerkung heraus. Wie tugendhaft ist auf einmal die Demokratie von
1848 und wie streng tugendhaft ist anch das Berliner Publikum geworden. Alle
Behauptungen, daß eine demokratische Verschwörung gegen den Staat stattgefun¬
den habe, sind auf einmal aus der Luft gegriffen, Ohm hat sie erfunden, die
neue Preußische hat sie dem Hinkeldey, und Hinkeldey hat sie den Ministern
hinterbracht. Ohm und die Preußische sind Schuld an dem Belagerungszustände,
an dem Nenommv der Demokratie u. s. w. Das ist zu viel Tugend und Un¬
schuld gegenüber den Aufständen im westlichen Deutschland, der Beraubung des
Zeughauses, dem Abend vor dem Schauspielhause und dem wüsten Treiben auf
den Straßen Berlins, - vor Allem gegenüber der notorischen Unwürdigkeit der
meisten Demvt'ratenhänpiliuge. Wir glauben weder, daß die Organisation der
Demokratie so vollkommen gewesen sei, als vou ihren Gegnern dargestellt wird,
noch daß die Verschwörungspraxis der Berliner Demokratensnhrer jene Virtuosität
und Energie erreicht habe, welche wir an den Süddeutschen bewundern, aber daß
in Briefen und Reden eine Menge von wüsten, verbrecherischen Plänen und An¬
schlägen verfertigt wurden, daß eine sehr große und sehr.abgeschmackte Korrespon¬
denz voll von "Hochverrätherischen" Dingen zwischen Berlin und andern hoffnungs¬
vollen Städten hin und herlief, soll man doch willig zugeben; vielleicht auch zu¬
geben, daß sich grade die Pläne der Berliner Helden durch ungeheuern Leichtsinn,
durch ungeschickte Selbstüberschätzung und jede Art von Abenteuerlichkeit auszeich¬
neten. -- Deal dies liegt eben so sehr im Wesen des Bcrlinerthnms, als der
Umstand, daß dieselben Pläne zur Zeit der Ausführung schneller und vollständiger
in ihrer Nichtigkeit erkannt wurden, als irgend wo anders. All dies elende und
jammervolle Treiben, durch welches wir Alle so sehr gelitten haben, soll man ans
dem Jahre 48 nicht wegstreichen, es war die Schattenseite einer kritischen Zeit,
der wir trotz alledem das Prädikat einer großen nicht verweigern dürfen. --
Sehr beschämend aber für uns Deutsche ist der Umstand, daß wir uus noch jetzt
vor den Gespenstern dieser Vergangenheit wie erschreckte Kinder fürchten. Die
gegenwärtige preußische Regierung hat gerade das nicht gethan, was in der That
ein Zeichen von Größe und Kraft gewesen wäre, sie hat für die Verirrungen des
vorigen Jahres noch kein königliches Gnadenwort, keine Amnestie gefunden. Man
kann darüber uneinig sein, wie weit eine solche Amnestie auszudehnen gewesen


intelligenter Richterstand, ein Volk, welches vor dem Gesetz Achtung und Sehen
hat, das sind zwei Pfeiler des Staates, deren Kräftigung wir zunächst ersehnen
müssen und jetzt hoffen dürfen.

Ueber Ohm, den kläglichen Schelm und seinen Verführer, Gödsche, ist we¬
nig mehr zu sagen; wir dürfen nicht wünschen, daß der letztere die Mitschuld an
der Fälschung der d'Estcr'schen Briefe trage, wir sind überzeugt, daß wenn er
derselben überwiesen wird, die Geschwornen ihn nicht mit sentimentalen Mitleid
behandeln werden. Wohl aber fordert die Stimmung des Berliner Publikums
zu einer Bemerkung heraus. Wie tugendhaft ist auf einmal die Demokratie von
1848 und wie streng tugendhaft ist anch das Berliner Publikum geworden. Alle
Behauptungen, daß eine demokratische Verschwörung gegen den Staat stattgefun¬
den habe, sind auf einmal aus der Luft gegriffen, Ohm hat sie erfunden, die
neue Preußische hat sie dem Hinkeldey, und Hinkeldey hat sie den Ministern
hinterbracht. Ohm und die Preußische sind Schuld an dem Belagerungszustände,
an dem Nenommv der Demokratie u. s. w. Das ist zu viel Tugend und Un¬
schuld gegenüber den Aufständen im westlichen Deutschland, der Beraubung des
Zeughauses, dem Abend vor dem Schauspielhause und dem wüsten Treiben auf
den Straßen Berlins, - vor Allem gegenüber der notorischen Unwürdigkeit der
meisten Demvt'ratenhänpiliuge. Wir glauben weder, daß die Organisation der
Demokratie so vollkommen gewesen sei, als vou ihren Gegnern dargestellt wird,
noch daß die Verschwörungspraxis der Berliner Demokratensnhrer jene Virtuosität
und Energie erreicht habe, welche wir an den Süddeutschen bewundern, aber daß
in Briefen und Reden eine Menge von wüsten, verbrecherischen Plänen und An¬
schlägen verfertigt wurden, daß eine sehr große und sehr.abgeschmackte Korrespon¬
denz voll von „Hochverrätherischen" Dingen zwischen Berlin und andern hoffnungs¬
vollen Städten hin und herlief, soll man doch willig zugeben; vielleicht auch zu¬
geben, daß sich grade die Pläne der Berliner Helden durch ungeheuern Leichtsinn,
durch ungeschickte Selbstüberschätzung und jede Art von Abenteuerlichkeit auszeich¬
neten. — Deal dies liegt eben so sehr im Wesen des Bcrlinerthnms, als der
Umstand, daß dieselben Pläne zur Zeit der Ausführung schneller und vollständiger
in ihrer Nichtigkeit erkannt wurden, als irgend wo anders. All dies elende und
jammervolle Treiben, durch welches wir Alle so sehr gelitten haben, soll man ans
dem Jahre 48 nicht wegstreichen, es war die Schattenseite einer kritischen Zeit,
der wir trotz alledem das Prädikat einer großen nicht verweigern dürfen. —
Sehr beschämend aber für uns Deutsche ist der Umstand, daß wir uus noch jetzt
vor den Gespenstern dieser Vergangenheit wie erschreckte Kinder fürchten. Die
gegenwärtige preußische Regierung hat gerade das nicht gethan, was in der That
ein Zeichen von Größe und Kraft gewesen wäre, sie hat für die Verirrungen des
vorigen Jahres noch kein königliches Gnadenwort, keine Amnestie gefunden. Man
kann darüber uneinig sein, wie weit eine solche Amnestie auszudehnen gewesen


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[0447] intelligenter Richterstand, ein Volk, welches vor dem Gesetz Achtung und Sehen hat, das sind zwei Pfeiler des Staates, deren Kräftigung wir zunächst ersehnen müssen und jetzt hoffen dürfen. Ueber Ohm, den kläglichen Schelm und seinen Verführer, Gödsche, ist we¬ nig mehr zu sagen; wir dürfen nicht wünschen, daß der letztere die Mitschuld an der Fälschung der d'Estcr'schen Briefe trage, wir sind überzeugt, daß wenn er derselben überwiesen wird, die Geschwornen ihn nicht mit sentimentalen Mitleid behandeln werden. Wohl aber fordert die Stimmung des Berliner Publikums zu einer Bemerkung heraus. Wie tugendhaft ist auf einmal die Demokratie von 1848 und wie streng tugendhaft ist anch das Berliner Publikum geworden. Alle Behauptungen, daß eine demokratische Verschwörung gegen den Staat stattgefun¬ den habe, sind auf einmal aus der Luft gegriffen, Ohm hat sie erfunden, die neue Preußische hat sie dem Hinkeldey, und Hinkeldey hat sie den Ministern hinterbracht. Ohm und die Preußische sind Schuld an dem Belagerungszustände, an dem Nenommv der Demokratie u. s. w. Das ist zu viel Tugend und Un¬ schuld gegenüber den Aufständen im westlichen Deutschland, der Beraubung des Zeughauses, dem Abend vor dem Schauspielhause und dem wüsten Treiben auf den Straßen Berlins, - vor Allem gegenüber der notorischen Unwürdigkeit der meisten Demvt'ratenhänpiliuge. Wir glauben weder, daß die Organisation der Demokratie so vollkommen gewesen sei, als vou ihren Gegnern dargestellt wird, noch daß die Verschwörungspraxis der Berliner Demokratensnhrer jene Virtuosität und Energie erreicht habe, welche wir an den Süddeutschen bewundern, aber daß in Briefen und Reden eine Menge von wüsten, verbrecherischen Plänen und An¬ schlägen verfertigt wurden, daß eine sehr große und sehr.abgeschmackte Korrespon¬ denz voll von „Hochverrätherischen" Dingen zwischen Berlin und andern hoffnungs¬ vollen Städten hin und herlief, soll man doch willig zugeben; vielleicht auch zu¬ geben, daß sich grade die Pläne der Berliner Helden durch ungeheuern Leichtsinn, durch ungeschickte Selbstüberschätzung und jede Art von Abenteuerlichkeit auszeich¬ neten. — Deal dies liegt eben so sehr im Wesen des Bcrlinerthnms, als der Umstand, daß dieselben Pläne zur Zeit der Ausführung schneller und vollständiger in ihrer Nichtigkeit erkannt wurden, als irgend wo anders. All dies elende und jammervolle Treiben, durch welches wir Alle so sehr gelitten haben, soll man ans dem Jahre 48 nicht wegstreichen, es war die Schattenseite einer kritischen Zeit, der wir trotz alledem das Prädikat einer großen nicht verweigern dürfen. — Sehr beschämend aber für uns Deutsche ist der Umstand, daß wir uus noch jetzt vor den Gespenstern dieser Vergangenheit wie erschreckte Kinder fürchten. Die gegenwärtige preußische Regierung hat gerade das nicht gethan, was in der That ein Zeichen von Größe und Kraft gewesen wäre, sie hat für die Verirrungen des vorigen Jahres noch kein königliches Gnadenwort, keine Amnestie gefunden. Man kann darüber uneinig sein, wie weit eine solche Amnestie auszudehnen gewesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/447>, abgerufen am 15.01.2025.