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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Richtung in Verbindung dringen? -- "Ich sollte wohl nicht aus der Schule
schwatzen", sagte der Aristokrat mit einem schlauen Lächeln, "aber ich bin ein Mal
im Zuge aufrichtig zu sein. Lassen Sie sich nicht einfallen, Doctor, beim
polnischen Adel im Ernste einen Abfall von seinen Brüdern im gesammten Europa,
das heißt, von der europäischen Aristokratie vorauszusetzen. Wenn je ein Adel
aus der Art schlagen und ohne jedweden Hinterhalt sich mit dem Volke verbinden
sollte, wird's wohl am allerwenigsten der polnische, am ehesten der russische sein."

Der russische Adel, der unbarmherzige Gebieter seiner Leibeigenen sollte sich
zu liberale" Grundsätzen bekennen und mit dem Vol?e gemeinschaftliche Sache
machen? So wäre also wohl zuletzt eine Revolution in Rußland zu erwarten.

"Das sagte ich nicht. Außer Palastrevolutionen hat Nußland noch für lauge
keine zu befürchten. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß es uicht hinreicht einen
gleichmäßigen Druck aus ein ganzes Land auszuüben, um eine Empörung zu be¬
wirken. Zu einer Revolution gehören eigene Elemente, die im Gegentheile in weniger
despotischen Staate" eher zur Entwicklung gelangen. Ein allznstarker Druck ver¬
nichtet die Schnellkraft, es kann bei einer Despotie wie die russische von keinem
Widerstände kaum mehr die Rede sein. Ich sagte blos, daß der russische Adel,
ebeu weil er vom Knutenregimeute nicht viel weniger zu leiden hat als das Volk,
eher Sympathien für dasselbe besitzen kann, um so mehr als der Adel in Ru߬
land keine abgeschlossene Kaste bildet und sich aus dem Volke rekrutirt."

Sie glauben also, daß die polnischen Großen nnr Komödie gespielt haben
und gelegentlich wieder spielen werden, um unter dem Deckmantel der Demokratie
ihre egoistischen Pläne zur Ausführung zu bringen? Sie meinen also, daß der
polnische Adel uur deswegen die vielen Insurrektionen angefacht, damit die närri¬
schen Demokraten ihnen den Weg zur Herrschaft bahnen?

Mein Graf erschrack vor den brüsten Consequenzen seiner Aussage und suchte
wieder einzulenken. "Ich will nicht behaupte", daß der politische Adel sich seine
Absichten so scharf formulirt habe. Der Patriotismus beseelt den Adel nicht weni¬
ger als die Klassen der Gesellschaft, und die Befreiung von der Fremdherrschaft ist
wohl vor Allem ihr gemeinschaftliches Ziel."

Ich brach das Gespräch ab, was mir um so leichter ward, als der Wagen,
in dem es stattfand, vor den Wielicker Salinen hielt, wohin der gefällige
Mann mich und einige Damen meiner Bekanntschaft zu begleiten sich erboten
hatte. Wir wendeten uns an einen Beamten, und alsogleich wurde ein Berg¬
mann beauftragt, uns in die Wunder der Erdtiefe zu geleiten. Zuerst führte man
uns in ein Zimmer, wo wir alle weiße Leinwandkittel erhielten, die wir zum
Schutze gegen die Feuchtigkeit über unsere Kleider anzogen.


Richtung in Verbindung dringen? — „Ich sollte wohl nicht aus der Schule
schwatzen", sagte der Aristokrat mit einem schlauen Lächeln, „aber ich bin ein Mal
im Zuge aufrichtig zu sein. Lassen Sie sich nicht einfallen, Doctor, beim
polnischen Adel im Ernste einen Abfall von seinen Brüdern im gesammten Europa,
das heißt, von der europäischen Aristokratie vorauszusetzen. Wenn je ein Adel
aus der Art schlagen und ohne jedweden Hinterhalt sich mit dem Volke verbinden
sollte, wird's wohl am allerwenigsten der polnische, am ehesten der russische sein."

Der russische Adel, der unbarmherzige Gebieter seiner Leibeigenen sollte sich
zu liberale» Grundsätzen bekennen und mit dem Vol?e gemeinschaftliche Sache
machen? So wäre also wohl zuletzt eine Revolution in Rußland zu erwarten.

„Das sagte ich nicht. Außer Palastrevolutionen hat Nußland noch für lauge
keine zu befürchten. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß es uicht hinreicht einen
gleichmäßigen Druck aus ein ganzes Land auszuüben, um eine Empörung zu be¬
wirken. Zu einer Revolution gehören eigene Elemente, die im Gegentheile in weniger
despotischen Staate« eher zur Entwicklung gelangen. Ein allznstarker Druck ver¬
nichtet die Schnellkraft, es kann bei einer Despotie wie die russische von keinem
Widerstände kaum mehr die Rede sein. Ich sagte blos, daß der russische Adel,
ebeu weil er vom Knutenregimeute nicht viel weniger zu leiden hat als das Volk,
eher Sympathien für dasselbe besitzen kann, um so mehr als der Adel in Ru߬
land keine abgeschlossene Kaste bildet und sich aus dem Volke rekrutirt."

Sie glauben also, daß die polnischen Großen nnr Komödie gespielt haben
und gelegentlich wieder spielen werden, um unter dem Deckmantel der Demokratie
ihre egoistischen Pläne zur Ausführung zu bringen? Sie meinen also, daß der
polnische Adel uur deswegen die vielen Insurrektionen angefacht, damit die närri¬
schen Demokraten ihnen den Weg zur Herrschaft bahnen?

Mein Graf erschrack vor den brüsten Consequenzen seiner Aussage und suchte
wieder einzulenken. „Ich will nicht behaupte», daß der politische Adel sich seine
Absichten so scharf formulirt habe. Der Patriotismus beseelt den Adel nicht weni¬
ger als die Klassen der Gesellschaft, und die Befreiung von der Fremdherrschaft ist
wohl vor Allem ihr gemeinschaftliches Ziel."

Ich brach das Gespräch ab, was mir um so leichter ward, als der Wagen,
in dem es stattfand, vor den Wielicker Salinen hielt, wohin der gefällige
Mann mich und einige Damen meiner Bekanntschaft zu begleiten sich erboten
hatte. Wir wendeten uns an einen Beamten, und alsogleich wurde ein Berg¬
mann beauftragt, uns in die Wunder der Erdtiefe zu geleiten. Zuerst führte man
uns in ein Zimmer, wo wir alle weiße Leinwandkittel erhielten, die wir zum
Schutze gegen die Feuchtigkeit über unsere Kleider anzogen.


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[0442] Richtung in Verbindung dringen? — „Ich sollte wohl nicht aus der Schule schwatzen", sagte der Aristokrat mit einem schlauen Lächeln, „aber ich bin ein Mal im Zuge aufrichtig zu sein. Lassen Sie sich nicht einfallen, Doctor, beim polnischen Adel im Ernste einen Abfall von seinen Brüdern im gesammten Europa, das heißt, von der europäischen Aristokratie vorauszusetzen. Wenn je ein Adel aus der Art schlagen und ohne jedweden Hinterhalt sich mit dem Volke verbinden sollte, wird's wohl am allerwenigsten der polnische, am ehesten der russische sein." Der russische Adel, der unbarmherzige Gebieter seiner Leibeigenen sollte sich zu liberale» Grundsätzen bekennen und mit dem Vol?e gemeinschaftliche Sache machen? So wäre also wohl zuletzt eine Revolution in Rußland zu erwarten. „Das sagte ich nicht. Außer Palastrevolutionen hat Nußland noch für lauge keine zu befürchten. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß es uicht hinreicht einen gleichmäßigen Druck aus ein ganzes Land auszuüben, um eine Empörung zu be¬ wirken. Zu einer Revolution gehören eigene Elemente, die im Gegentheile in weniger despotischen Staate« eher zur Entwicklung gelangen. Ein allznstarker Druck ver¬ nichtet die Schnellkraft, es kann bei einer Despotie wie die russische von keinem Widerstände kaum mehr die Rede sein. Ich sagte blos, daß der russische Adel, ebeu weil er vom Knutenregimeute nicht viel weniger zu leiden hat als das Volk, eher Sympathien für dasselbe besitzen kann, um so mehr als der Adel in Ru߬ land keine abgeschlossene Kaste bildet und sich aus dem Volke rekrutirt." Sie glauben also, daß die polnischen Großen nnr Komödie gespielt haben und gelegentlich wieder spielen werden, um unter dem Deckmantel der Demokratie ihre egoistischen Pläne zur Ausführung zu bringen? Sie meinen also, daß der polnische Adel uur deswegen die vielen Insurrektionen angefacht, damit die närri¬ schen Demokraten ihnen den Weg zur Herrschaft bahnen? Mein Graf erschrack vor den brüsten Consequenzen seiner Aussage und suchte wieder einzulenken. „Ich will nicht behaupte», daß der politische Adel sich seine Absichten so scharf formulirt habe. Der Patriotismus beseelt den Adel nicht weni¬ ger als die Klassen der Gesellschaft, und die Befreiung von der Fremdherrschaft ist wohl vor Allem ihr gemeinschaftliches Ziel." Ich brach das Gespräch ab, was mir um so leichter ward, als der Wagen, in dem es stattfand, vor den Wielicker Salinen hielt, wohin der gefällige Mann mich und einige Damen meiner Bekanntschaft zu begleiten sich erboten hatte. Wir wendeten uns an einen Beamten, und alsogleich wurde ein Berg¬ mann beauftragt, uns in die Wunder der Erdtiefe zu geleiten. Zuerst führte man uns in ein Zimmer, wo wir alle weiße Leinwandkittel erhielten, die wir zum Schutze gegen die Feuchtigkeit über unsere Kleider anzogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/442>, abgerufen am 15.01.2025.