sie gewälzt hatte. Außerdem führte noch jede Stadt, jede Gemeinde irgend eine spezielle Klage wegen einer besonderen Bedrückung oder einer besonderen Vernach¬ lässigung, die sie von München erleiden mußte. Mit einem Worte, das Münchner oder bairische Regiment war dort so gründlich verhaßt, wie man es kaum in der Rheinpfalz antraf, die doch von jeher wegen ihrer antibairischen Gesinnung höch¬ sten Orts und mit Recht so übel berufen war. Wirklich bezogen sich anch die Beschwerden, die man jenseits des Rheins vernahm, mehr auf allgemein politische Verhältnisse, die damals eben überall in Deutschland nicht viel besser als in Baiern beschaffen waren; man hörte heftige Klagen über ScheinconstitntionaliSmnS, Tyrannei der Censur und Polizei, schlechte Verwaltung der Staatseinnahmen, Attentate gegen die Unabhängigkeit der Justiz, weniger aber eine spezielle Bedrückung und Aussaugung der Provinz. In Franken hatte man sich in jene Uebel, die in der Luft der Zeit lagen, ergeben. Was man dort dem Münchner Regiment vorwarf, waren Dinge, die in die speziellsten Verhältnisse des Landes cingriffen, welche namentlich den materiellen Wohlstand auf's Aeußerste gefährdeten, und die wirklich ohne Schaden für das ultramontan-absolutistische Prinzip des Staates hätten abgestellt werden können.
Trotzdem blieb das Land während der stürmischsten Tage des Frühjahrs 1848 verhältnißmäßig ruhig. Einige Krawatte der Bauern gegen ihre Gutsherrschaften und ihre Amtleute oder gegen die herrischen Landrichter, von denen sie bis dahin wie russische Leibeigene behandelt worden waren, wurden so wie die Versuche, förmliche Judenverfolgungen zu organisiren, ohne besondere Mühe unterdrückt. Schon zur Zeit des Vorparlaments war dies alles abgethan. Die Wahlen zum Parlament brachten zwar wieder einige Aufregung, doch uur in den Gegenden, die schon vorher jene Emeuten gehabt hatten.
Dort wählte man unter großem Halloh einige schwadronircude Advokaten, mehr um die Regierung zu ärgern, als weil man etwa radikal oder gar republikanisch gesinnt gewesen wäre. In dem größten Theil der Provinz sieben die Wahlen nach den damaligen Wünschen der Negierung ans. Diese gingen in Baiern so gut wie anderwärts bedeutend weiter links, als sie jetzt gehen würden, falls wie¬ der zu einem Reichstag gewählt werden sollte. Der gute, aber höchst confuse öl-. Eisenmann, selbst ein geborner Franke, erlebte damals die Ehre einer zehnfachen Wahl. Fast jede der größeren Städte der Provinz setzte ihn zu oberst auf ihre Kandidatenliste und nur in Bamberg unterlag er dem radikalen Advokaten Titus. Damals hatte das Land natürlich auch seine schwarzrothgoidne Zeit. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als der Reichsverweser es Ende des Juli durchzog, und die Münchner Negierung war klug genug, um diesen unschädlichen Enthusiasmus ruhig austoben zu lassen. Eine für sie gefährliche Form nahm er damals nicht an. Im Gegentheil war es merkwürdig zu sehen, wie man alle früheren Unbilden, die Lebensfragen der Provinz, eine Zeit lang ganz vergessen zu haben schien und
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sie gewälzt hatte. Außerdem führte noch jede Stadt, jede Gemeinde irgend eine spezielle Klage wegen einer besonderen Bedrückung oder einer besonderen Vernach¬ lässigung, die sie von München erleiden mußte. Mit einem Worte, das Münchner oder bairische Regiment war dort so gründlich verhaßt, wie man es kaum in der Rheinpfalz antraf, die doch von jeher wegen ihrer antibairischen Gesinnung höch¬ sten Orts und mit Recht so übel berufen war. Wirklich bezogen sich anch die Beschwerden, die man jenseits des Rheins vernahm, mehr auf allgemein politische Verhältnisse, die damals eben überall in Deutschland nicht viel besser als in Baiern beschaffen waren; man hörte heftige Klagen über ScheinconstitntionaliSmnS, Tyrannei der Censur und Polizei, schlechte Verwaltung der Staatseinnahmen, Attentate gegen die Unabhängigkeit der Justiz, weniger aber eine spezielle Bedrückung und Aussaugung der Provinz. In Franken hatte man sich in jene Uebel, die in der Luft der Zeit lagen, ergeben. Was man dort dem Münchner Regiment vorwarf, waren Dinge, die in die speziellsten Verhältnisse des Landes cingriffen, welche namentlich den materiellen Wohlstand auf's Aeußerste gefährdeten, und die wirklich ohne Schaden für das ultramontan-absolutistische Prinzip des Staates hätten abgestellt werden können.
Trotzdem blieb das Land während der stürmischsten Tage des Frühjahrs 1848 verhältnißmäßig ruhig. Einige Krawatte der Bauern gegen ihre Gutsherrschaften und ihre Amtleute oder gegen die herrischen Landrichter, von denen sie bis dahin wie russische Leibeigene behandelt worden waren, wurden so wie die Versuche, förmliche Judenverfolgungen zu organisiren, ohne besondere Mühe unterdrückt. Schon zur Zeit des Vorparlaments war dies alles abgethan. Die Wahlen zum Parlament brachten zwar wieder einige Aufregung, doch uur in den Gegenden, die schon vorher jene Emeuten gehabt hatten.
Dort wählte man unter großem Halloh einige schwadronircude Advokaten, mehr um die Regierung zu ärgern, als weil man etwa radikal oder gar republikanisch gesinnt gewesen wäre. In dem größten Theil der Provinz sieben die Wahlen nach den damaligen Wünschen der Negierung ans. Diese gingen in Baiern so gut wie anderwärts bedeutend weiter links, als sie jetzt gehen würden, falls wie¬ der zu einem Reichstag gewählt werden sollte. Der gute, aber höchst confuse öl-. Eisenmann, selbst ein geborner Franke, erlebte damals die Ehre einer zehnfachen Wahl. Fast jede der größeren Städte der Provinz setzte ihn zu oberst auf ihre Kandidatenliste und nur in Bamberg unterlag er dem radikalen Advokaten Titus. Damals hatte das Land natürlich auch seine schwarzrothgoidne Zeit. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als der Reichsverweser es Ende des Juli durchzog, und die Münchner Negierung war klug genug, um diesen unschädlichen Enthusiasmus ruhig austoben zu lassen. Eine für sie gefährliche Form nahm er damals nicht an. Im Gegentheil war es merkwürdig zu sehen, wie man alle früheren Unbilden, die Lebensfragen der Provinz, eine Zeit lang ganz vergessen zu haben schien und
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oder bairische Regiment war dort so gründlich verhaßt, wie man es kaum in der
Rheinpfalz antraf, die doch von jeher wegen ihrer antibairischen Gesinnung höch¬
sten Orts und mit Recht so übel berufen war. Wirklich bezogen sich anch die
Beschwerden, die man jenseits des Rheins vernahm, mehr auf allgemein politische
Verhältnisse, die damals eben überall in Deutschland nicht viel besser als in
Baiern beschaffen waren; man hörte heftige Klagen über ScheinconstitntionaliSmnS,
Tyrannei der Censur und Polizei, schlechte Verwaltung der Staatseinnahmen,
Attentate gegen die Unabhängigkeit der Justiz, weniger aber eine spezielle Bedrückung
und Aussaugung der Provinz. In Franken hatte man sich in jene Uebel, die in
der Luft der Zeit lagen, ergeben. Was man dort dem Münchner Regiment
vorwarf, waren Dinge, die in die speziellsten Verhältnisse des Landes cingriffen,
welche namentlich den materiellen Wohlstand auf's Aeußerste gefährdeten, und die
wirklich ohne Schaden für das ultramontan-absolutistische Prinzip des Staates
hätten abgestellt werden können.
Trotzdem blieb das Land während der stürmischsten Tage des Frühjahrs 1848
verhältnißmäßig ruhig. Einige Krawatte der Bauern gegen ihre Gutsherrschaften
und ihre Amtleute oder gegen die herrischen Landrichter, von denen sie bis dahin
wie russische Leibeigene behandelt worden waren, wurden so wie die Versuche,
förmliche Judenverfolgungen zu organisiren, ohne besondere Mühe unterdrückt.
Schon zur Zeit des Vorparlaments war dies alles abgethan. Die Wahlen zum
Parlament brachten zwar wieder einige Aufregung, doch uur in den Gegenden,
die schon vorher jene Emeuten gehabt hatten.
Dort wählte man unter großem Halloh einige schwadronircude Advokaten, mehr
um die Regierung zu ärgern, als weil man etwa radikal oder gar republikanisch
gesinnt gewesen wäre. In dem größten Theil der Provinz sieben die Wahlen
nach den damaligen Wünschen der Negierung ans. Diese gingen in Baiern so
gut wie anderwärts bedeutend weiter links, als sie jetzt gehen würden, falls wie¬
der zu einem Reichstag gewählt werden sollte. Der gute, aber höchst confuse öl-.
Eisenmann, selbst ein geborner Franke, erlebte damals die Ehre einer zehnfachen
Wahl. Fast jede der größeren Städte der Provinz setzte ihn zu oberst auf ihre
Kandidatenliste und nur in Bamberg unterlag er dem radikalen Advokaten Titus.
Damals hatte das Land natürlich auch seine schwarzrothgoidne Zeit. Sie erreichte
ihren Höhepunkt, als der Reichsverweser es Ende des Juli durchzog, und die
Münchner Negierung war klug genug, um diesen unschädlichen Enthusiasmus ruhig
austoben zu lassen. Eine für sie gefährliche Form nahm er damals nicht an. Im
Gegentheil war es merkwürdig zu sehen, wie man alle früheren Unbilden, die
Lebensfragen der Provinz, eine Zeit lang ganz vergessen zu haben schien und
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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/374>, abgerufen am 24.01.2025.
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