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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Väterlichkeit nicht verleugnen. Er schützt seinen Bauer und ist für dessen Wohl¬
ergehen besorgt, denn er betrachtet ihn als ein Eigenthum, einen Theil seines Ver¬
mögens, an dessen Erhaltung ihm gelegen sei" muß. Ja, er liebt ihn sogar, er
fühlt eine gewisse zärtliche Zuneigung zu ihm, denn er ist mit seinem Bauer auf¬
gewachsen, er hat seine Kinderzeit mit ihm vertummelt, theilt jetzt die Arbeit und
die Früchte des Bodeus mit ihm, und sein Bater, Groß- und Urgroßvater, djx
Reihe seiner Vorfahren hat eben so mit den Vätern desselben Bauers gelebt. Ein
solches Verhältniß muß nothwendig Herzgefühle erwecken. Ganz anders ist es
unter den kaiserlichen Fahnen. , Hier sieht sich der Unglückliche nicht einmal eine
Spur von Menschenwürde zugestanden. Er ist ein Gegenstand, der für nichts
geachtet wird, an dessen Leben so viel als nichts liegt, er ist ein geborgtes Ding,
das man gleichgiltig dem Tode opfert, oder gleichgiltig wieder zurückgibt, wenn
seine Kräfte erschöpft sind. Er wird schlechter und verächtlicher behandelt als ein
Thier, denn das Pferd oder der Trainvchse, welche die Kibitken des Offiziercorps
oder den Fouragekarren ziehen, müssen mit Geld erkauft werden, den Soldaten hat
man umsonst.

Die Conscriptionscommisstou hatte ihr Geschäft spät begonnen und endete
es zeitig, da der Oberstlieutenant Hunger verspürte. Die Militärpflichtiger winden
in eine Scheuer geschafft, wo sie übernachteten. Für ihre Morgenbedürfuisse hat¬
ten sie selbst gesorgt, denn jeder trug ein großes Brot, in Lappen eingewickelt
auf dem Rücken und einen kvpfgrvßen polnischen Käse in der Tasche des langen
weißen wollene" Kittels, so wie ein Dütchen mit Salz hinter der Klappe der gro¬
ßen czakoförmigcn Mütze von Schafpelz.

Am anderen Tage ziemlich früh begann die Commission auf's Neue und en¬
dete ihr Geschäft am Mittwoch gegen Mittag. Das geheime Verfahren der Com¬
mission blieb nicht blos tückisch, sondern wurde dnrch den Diensteifer des Com-
missionschcfs sogar betrügerisch. Denn dieser begab sich, so oft eine Pause ein¬
trat, vor den Palast und erklärte da den Bauern, daß von denen, welche bis jetzt
die Prüfung überstände" habe", keiner, so viel er wisse, tüchtig befunden sei. Die¬
ser Betrug fand natürlich statt, um die Leute von der Flucht vor der Rekruti-
rung abzuhalten. Diese schelmische Methode wäre der Erwähnung nicht werth,
wenn ich nicht glaubte, daß sie ebenfalls geheime Vorschrift ist. Wenigstens bei
einer früheren Conscription im Gubernium Plock sah ich dasselbe Verfahren. Des
dortigen Commissionschefs, eines Obersten Manier war nur noch ein wenig spitz¬
bübischer. Er begrüßte nämlich jeden Bauer, welcher tüchtig befunden war, mit
den Worten: "danke Gott, Junge, dn längst nicht zum Soldatenstande." Dage¬
gen zuckte er vor jedem, der untüchtig befunden war, mit der Achsel und meinte:
"Es ist schön, allein es hilft nichts, du wirst dienen müssen." Dadurch wurden
gerade die zur Flucht bewogen, welche zu fliehen keine Ursache hatten, und jene
sicher gemacht, welche mau zum Heere nehmen wollte. Daß sein Kniff den Edel-


Väterlichkeit nicht verleugnen. Er schützt seinen Bauer und ist für dessen Wohl¬
ergehen besorgt, denn er betrachtet ihn als ein Eigenthum, einen Theil seines Ver¬
mögens, an dessen Erhaltung ihm gelegen sei» muß. Ja, er liebt ihn sogar, er
fühlt eine gewisse zärtliche Zuneigung zu ihm, denn er ist mit seinem Bauer auf¬
gewachsen, er hat seine Kinderzeit mit ihm vertummelt, theilt jetzt die Arbeit und
die Früchte des Bodeus mit ihm, und sein Bater, Groß- und Urgroßvater, djx
Reihe seiner Vorfahren hat eben so mit den Vätern desselben Bauers gelebt. Ein
solches Verhältniß muß nothwendig Herzgefühle erwecken. Ganz anders ist es
unter den kaiserlichen Fahnen. , Hier sieht sich der Unglückliche nicht einmal eine
Spur von Menschenwürde zugestanden. Er ist ein Gegenstand, der für nichts
geachtet wird, an dessen Leben so viel als nichts liegt, er ist ein geborgtes Ding,
das man gleichgiltig dem Tode opfert, oder gleichgiltig wieder zurückgibt, wenn
seine Kräfte erschöpft sind. Er wird schlechter und verächtlicher behandelt als ein
Thier, denn das Pferd oder der Trainvchse, welche die Kibitken des Offiziercorps
oder den Fouragekarren ziehen, müssen mit Geld erkauft werden, den Soldaten hat
man umsonst.

Die Conscriptionscommisstou hatte ihr Geschäft spät begonnen und endete
es zeitig, da der Oberstlieutenant Hunger verspürte. Die Militärpflichtiger winden
in eine Scheuer geschafft, wo sie übernachteten. Für ihre Morgenbedürfuisse hat¬
ten sie selbst gesorgt, denn jeder trug ein großes Brot, in Lappen eingewickelt
auf dem Rücken und einen kvpfgrvßen polnischen Käse in der Tasche des langen
weißen wollene» Kittels, so wie ein Dütchen mit Salz hinter der Klappe der gro¬
ßen czakoförmigcn Mütze von Schafpelz.

Am anderen Tage ziemlich früh begann die Commission auf's Neue und en¬
dete ihr Geschäft am Mittwoch gegen Mittag. Das geheime Verfahren der Com¬
mission blieb nicht blos tückisch, sondern wurde dnrch den Diensteifer des Com-
missionschcfs sogar betrügerisch. Denn dieser begab sich, so oft eine Pause ein¬
trat, vor den Palast und erklärte da den Bauern, daß von denen, welche bis jetzt
die Prüfung überstände» habe», keiner, so viel er wisse, tüchtig befunden sei. Die¬
ser Betrug fand natürlich statt, um die Leute von der Flucht vor der Rekruti-
rung abzuhalten. Diese schelmische Methode wäre der Erwähnung nicht werth,
wenn ich nicht glaubte, daß sie ebenfalls geheime Vorschrift ist. Wenigstens bei
einer früheren Conscription im Gubernium Plock sah ich dasselbe Verfahren. Des
dortigen Commissionschefs, eines Obersten Manier war nur noch ein wenig spitz¬
bübischer. Er begrüßte nämlich jeden Bauer, welcher tüchtig befunden war, mit
den Worten: „danke Gott, Junge, dn längst nicht zum Soldatenstande." Dage¬
gen zuckte er vor jedem, der untüchtig befunden war, mit der Achsel und meinte:
»Es ist schön, allein es hilft nichts, du wirst dienen müssen." Dadurch wurden
gerade die zur Flucht bewogen, welche zu fliehen keine Ursache hatten, und jene
sicher gemacht, welche mau zum Heere nehmen wollte. Daß sein Kniff den Edel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/298>, abgerufen am 15.01.2025.