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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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teroffizier, welcher sich mit demselben auf den Platz hinter dem Palaste begab, wo
sich die Bauerburschen von einigen gemeinen Gensb'armen bewacht befanden. Nach¬
dem er den bezeichneten Burschen gefunden, ließ er ihn in der Hausflur entklei¬
den und führte ihn so, nackt vom Kopf bis zu den Zehen, vor die Commission
in den Saal. Hier nahmen die beiden Aerzte den Nackten vor, stellten ihn un¬
ters Maß, betasteten seinen Körper, und schoben ihn dann, ohne ihm über ihre
Ansicht das Geringste mitgetheilt zu habe", zur Thür hinaus. Sodann beriethen
beide Aerzte lautlos durch einige Blicke und Mienen, schrieben das Ergebniß ih¬
rer Berathung mit wenigen Worten ans ein Zettelchen, und Übergabe" dies dem
Oberstlieutenant. War der Militärpflichtige einer von de" durch Bestechung frci-
gekanften, so machte der Oberstlieutenant, wenn derselbe von den Aerzten als tüch¬
tig bezeichnet war, mit Bleistift eine Veränderung auf dem Zettel, worauf dieser
in die Hände des Commissärs überging. Es ist zu vermuthen, daß die Urtheils¬
kraft des CommissivnSchefs eine höchste Instanz zu bilden befugt war, und somit
konnte die Veränderung des ärztlichen Urtheils vielleicht nicht eine Gesetzwidrig¬
keit genannt werden. Nach den auf dein Zettel befindlichen Worten und Zeichen
füllte nun der Comnüssar die Rubriken der Cvnscriptionöliste aus und verbarg den
Zettel in seiner Tasche.

Die Aerzte erfuhren also bei diesem Verfahren nicht, wer der Conscribirte
war, dieser aber sowenig wie eine andere Person außer dem Chef und dem Com-
missär erfuhr, ob er tüchtig befunden worden oder nicht. Die Liste des Com¬
missärs, der ohnehin einen ganz abgesonderten Platz inne hatte, konnte auch kei¬
nen Verrath ausüben, da sie, jedesmal, so bald sie ausgefüllt war, schnellstens
umgewendet oder mit einem großen Löschblatte bedeckt wurde.

Der Zweck solcher Heimlichkeit ist sehr begreiflich. Noch vielmehr als die
Conscription scheuen die Militärpflichtiger die Rekrutirung, welche bisweilen einige
Monate, bisweilen sogar erst einige Vierteljahre nach der Conscription eintritt.
Wüßten die Conseribirten, daß sie tüchtig befanden, so würde man sie wahrschein¬
lich alle in der Fremde suchen müssen -- keiner bliebe in seiner Heimath.

Woher kommt diese Todesangst vor dem Kriegsdienst? Die Mühseligkeiten
des Svldcitenlebeus können nicht allein der Grund sein, denn der gemeine polnische
und russische Mann genießt in seiner Hütte keineswegs ein müheloseres und
behaglicheres Leben, als der Soldat. Seine Arbeit ist härter als die des Sol¬
daten, die Unterwürfigkeit, in welcher er sich befindet, ist nicht viel weniger herbe
als die militärische. Körperlicher Mißhandlungen hat er ans dem Felde des Edel-
herrn eben so viele zu ertragen als unter der kaiserlichen Fahne. Zur Nacht
liegt er auch nur wie der Soldat aus einem Strohlager, und auf seinem Heerde
riecht es so wenig nach Braten, wie in dem Feuerloch des Lagers. Hier und
dort ist er ein armer Sklave, und doch ist ein großer Unterschied. Der Edel¬
mann, wie sehr er sich auch als sein Tyrann zeigen mag, kann doch eine gewisse


teroffizier, welcher sich mit demselben auf den Platz hinter dem Palaste begab, wo
sich die Bauerburschen von einigen gemeinen Gensb'armen bewacht befanden. Nach¬
dem er den bezeichneten Burschen gefunden, ließ er ihn in der Hausflur entklei¬
den und führte ihn so, nackt vom Kopf bis zu den Zehen, vor die Commission
in den Saal. Hier nahmen die beiden Aerzte den Nackten vor, stellten ihn un¬
ters Maß, betasteten seinen Körper, und schoben ihn dann, ohne ihm über ihre
Ansicht das Geringste mitgetheilt zu habe», zur Thür hinaus. Sodann beriethen
beide Aerzte lautlos durch einige Blicke und Mienen, schrieben das Ergebniß ih¬
rer Berathung mit wenigen Worten ans ein Zettelchen, und Übergabe» dies dem
Oberstlieutenant. War der Militärpflichtige einer von de» durch Bestechung frci-
gekanften, so machte der Oberstlieutenant, wenn derselbe von den Aerzten als tüch¬
tig bezeichnet war, mit Bleistift eine Veränderung auf dem Zettel, worauf dieser
in die Hände des Commissärs überging. Es ist zu vermuthen, daß die Urtheils¬
kraft des CommissivnSchefs eine höchste Instanz zu bilden befugt war, und somit
konnte die Veränderung des ärztlichen Urtheils vielleicht nicht eine Gesetzwidrig¬
keit genannt werden. Nach den auf dein Zettel befindlichen Worten und Zeichen
füllte nun der Comnüssar die Rubriken der Cvnscriptionöliste aus und verbarg den
Zettel in seiner Tasche.

Die Aerzte erfuhren also bei diesem Verfahren nicht, wer der Conscribirte
war, dieser aber sowenig wie eine andere Person außer dem Chef und dem Com-
missär erfuhr, ob er tüchtig befunden worden oder nicht. Die Liste des Com¬
missärs, der ohnehin einen ganz abgesonderten Platz inne hatte, konnte auch kei¬
nen Verrath ausüben, da sie, jedesmal, so bald sie ausgefüllt war, schnellstens
umgewendet oder mit einem großen Löschblatte bedeckt wurde.

Der Zweck solcher Heimlichkeit ist sehr begreiflich. Noch vielmehr als die
Conscription scheuen die Militärpflichtiger die Rekrutirung, welche bisweilen einige
Monate, bisweilen sogar erst einige Vierteljahre nach der Conscription eintritt.
Wüßten die Conseribirten, daß sie tüchtig befanden, so würde man sie wahrschein¬
lich alle in der Fremde suchen müssen — keiner bliebe in seiner Heimath.

Woher kommt diese Todesangst vor dem Kriegsdienst? Die Mühseligkeiten
des Svldcitenlebeus können nicht allein der Grund sein, denn der gemeine polnische
und russische Mann genießt in seiner Hütte keineswegs ein müheloseres und
behaglicheres Leben, als der Soldat. Seine Arbeit ist härter als die des Sol¬
daten, die Unterwürfigkeit, in welcher er sich befindet, ist nicht viel weniger herbe
als die militärische. Körperlicher Mißhandlungen hat er ans dem Felde des Edel-
herrn eben so viele zu ertragen als unter der kaiserlichen Fahne. Zur Nacht
liegt er auch nur wie der Soldat aus einem Strohlager, und auf seinem Heerde
riecht es so wenig nach Braten, wie in dem Feuerloch des Lagers. Hier und
dort ist er ein armer Sklave, und doch ist ein großer Unterschied. Der Edel¬
mann, wie sehr er sich auch als sein Tyrann zeigen mag, kann doch eine gewisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/297>, abgerufen am 15.01.2025.