Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.leuten viel Schaden anrichtete, weil er sie um alle jungen Arbeiter brachte, küm¬ Es kamen während der Conscription eine Menge Scenen vor, so rührend Nachdem die Bauern mit den täuschenden Trostworten deö Oberstlieutenants Erst sechs Monate später, im October, trat die Recrutirung, und zwar so leuten viel Schaden anrichtete, weil er sie um alle jungen Arbeiter brachte, küm¬ Es kamen während der Conscription eine Menge Scenen vor, so rührend Nachdem die Bauern mit den täuschenden Trostworten deö Oberstlieutenants Erst sechs Monate später, im October, trat die Recrutirung, und zwar so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279847"/> <p xml:id="ID_1056" prev="#ID_1055"> leuten viel Schaden anrichtete, weil er sie um alle jungen Arbeiter brachte, küm¬<lb/> merte den russischen Obersten nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1057"> Es kamen während der Conscription eine Menge Scenen vor, so rührend<lb/> und komisch und wieder so widerlich als möglich. So kannte sich ein Bursch un¬<lb/> ter dem Maße zusammen und war selbst dnrch Schläge nicht zu bewege», sich mes¬<lb/> sen zu lasse». Wie es mir schien, wurde er gerade dem Hecrdieust verschrieben<lb/> und seine Körperhöhe nach dem Augenmaß aufgezeichnet. Ein anderer wollte aus<lb/> Schamgefühl »icht nackend in deu Saal treten und bat: „der erlauchte Herr Of¬<lb/> fizier solle doch mit dein Maße in die Hausflur herauskommen." Er war uur<lb/> dnrch Gewalt herumzubringen. Bei einem Spazierritt «ach dem Mittagsmahle<lb/> wurde der Oberstlieutenant von einem gräßlich schreienden Weibe angefallen, ihren<lb/> Sohn nicht zum Soldaten zu machen. Da der Oberstlieutenant rasch davonja¬<lb/> gen wollte, ergriff die Frau den Steigbügel und ließ sich wohl zwei hundert<lb/> Schritte von dein Pferde fortziehen, bis sie zurücksank. — Neben einem nackten<lb/> Conseribirten drängte sich ein junges Weib mit zwei kleinen Kindern in den Saal.<lb/> Sie siel dem Oberstlieutenant zu Füßen und erklärte, indem sie ans den nackten<lb/> Burschen zeigte: der Bauer da sei ihr Mann und der Bater vou deu beiden.Kin¬<lb/> dern; man solle ihn um Gotteswillen nicht ausheben; auch wisse sie sehr wohl,<lb/> daß der Kaiser keine Familienväter im Heere haben wolle. Ein rohes Geläch¬<lb/> ter der ganzen Commission antwortete ihr. Den ganzen moralischen Zustand des<lb/> Volles innerhalb der russischen Grenzen empfand man ans dieser Scene heraus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1058"> Nachdem die Bauern mit den täuschenden Trostworten deö Oberstlieutenants<lb/> nach Hanse gewiesen und die Liste der Conseribirten für den Herrn Chef dnplirt,<lb/> auch die »othgedrnugeue Gastfreundschaft des Grafen bei einem langen Mahle<lb/> tüchtig in Anspruch genommen worden war, begab sich die Commission nach der<lb/> Obwodschaftöstadt zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_1059" next="#ID_1060"> Erst sechs Monate später, im October, trat die Recrutirung, und zwar so<lb/> geheimnißvoll und überraschend ein, wie früher die Conscription. Am Donnerstag<lb/> erhielt der Graf als VVi>)'t,-(Zu'in^ eine Liste der Conseribirten seines Bezirks mit<lb/> dem Befehle^ dieselben schon am Sonnabend bei dem Militärkommando der Stadt<lb/> I. einbringen zu lassen. Einen gleichen Befehl mit dem nöthigen Auszuge der<lb/> Liste förderte nun der Graf weiter an die Edelleute seines Amtsbezirks, und von<lb/> da ab lastete wieder alle Verantwortlichkeit für die richtige Einbringung der Ne-<lb/> crnteiil auf den Edelleuten. Die erwähnte Fluchtfertigkeit der Bauern nöthigte<lb/> die Edelleute abermals zu einem heimlichen, gewaltsamen Verfahren. Der Graf<lb/> ließ diejenigen seiner Bauern, welche aufgehoben waren, für den nächsten Tag<lb/> zum Strvhbindcn in eine Scheuer bestellen. Die harmlosen vier Burschen folgten<lb/> der herrschaftlichen Ordre und befanden sich in eifrigster Thätigkeit, als hinter<lb/> ihnen plötzlich das Thor des Gebäudes geschlossen wurde. Sie mochten die Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
leuten viel Schaden anrichtete, weil er sie um alle jungen Arbeiter brachte, küm¬
merte den russischen Obersten nicht.
Es kamen während der Conscription eine Menge Scenen vor, so rührend
und komisch und wieder so widerlich als möglich. So kannte sich ein Bursch un¬
ter dem Maße zusammen und war selbst dnrch Schläge nicht zu bewege», sich mes¬
sen zu lasse». Wie es mir schien, wurde er gerade dem Hecrdieust verschrieben
und seine Körperhöhe nach dem Augenmaß aufgezeichnet. Ein anderer wollte aus
Schamgefühl »icht nackend in deu Saal treten und bat: „der erlauchte Herr Of¬
fizier solle doch mit dein Maße in die Hausflur herauskommen." Er war uur
dnrch Gewalt herumzubringen. Bei einem Spazierritt «ach dem Mittagsmahle
wurde der Oberstlieutenant von einem gräßlich schreienden Weibe angefallen, ihren
Sohn nicht zum Soldaten zu machen. Da der Oberstlieutenant rasch davonja¬
gen wollte, ergriff die Frau den Steigbügel und ließ sich wohl zwei hundert
Schritte von dein Pferde fortziehen, bis sie zurücksank. — Neben einem nackten
Conseribirten drängte sich ein junges Weib mit zwei kleinen Kindern in den Saal.
Sie siel dem Oberstlieutenant zu Füßen und erklärte, indem sie ans den nackten
Burschen zeigte: der Bauer da sei ihr Mann und der Bater vou deu beiden.Kin¬
dern; man solle ihn um Gotteswillen nicht ausheben; auch wisse sie sehr wohl,
daß der Kaiser keine Familienväter im Heere haben wolle. Ein rohes Geläch¬
ter der ganzen Commission antwortete ihr. Den ganzen moralischen Zustand des
Volles innerhalb der russischen Grenzen empfand man ans dieser Scene heraus.
Nachdem die Bauern mit den täuschenden Trostworten deö Oberstlieutenants
nach Hanse gewiesen und die Liste der Conseribirten für den Herrn Chef dnplirt,
auch die »othgedrnugeue Gastfreundschaft des Grafen bei einem langen Mahle
tüchtig in Anspruch genommen worden war, begab sich die Commission nach der
Obwodschaftöstadt zurück.
Erst sechs Monate später, im October, trat die Recrutirung, und zwar so
geheimnißvoll und überraschend ein, wie früher die Conscription. Am Donnerstag
erhielt der Graf als VVi>)'t,-(Zu'in^ eine Liste der Conseribirten seines Bezirks mit
dem Befehle^ dieselben schon am Sonnabend bei dem Militärkommando der Stadt
I. einbringen zu lassen. Einen gleichen Befehl mit dem nöthigen Auszuge der
Liste förderte nun der Graf weiter an die Edelleute seines Amtsbezirks, und von
da ab lastete wieder alle Verantwortlichkeit für die richtige Einbringung der Ne-
crnteiil auf den Edelleuten. Die erwähnte Fluchtfertigkeit der Bauern nöthigte
die Edelleute abermals zu einem heimlichen, gewaltsamen Verfahren. Der Graf
ließ diejenigen seiner Bauern, welche aufgehoben waren, für den nächsten Tag
zum Strvhbindcn in eine Scheuer bestellen. Die harmlosen vier Burschen folgten
der herrschaftlichen Ordre und befanden sich in eifrigster Thätigkeit, als hinter
ihnen plötzlich das Thor des Gebäudes geschlossen wurde. Sie mochten die Be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |