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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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überschauen, die Ewigkeit in einem Moment. Nicht anders war es ferner mit
der Coquetterie der Tugend, die sich darüber abquälte, ob nicht die Reinheit
des Opfers befleckt würde durch die Neigung, mit der mau es brachte; die den¬
selben Maßstab an das Urtheil über Andere legte, und, da es sehr leicht ist, bei
der Analyse anch der besten Handlungen persönliche Motive zu entdecken, weil
man nicht handeln kann, ohne persönlich betheiligt zu sein, sich endlich mit dem
Resultat befriedigte, die Welt sei aus Egoismus zusammengesetzt, und man sei
nur dadurch darüber erhaben, daß man es wisse.

Indem sich der Einzelne für den Mittelpunkt der Welt ansieht, ist ihm ideal,
was er in sich zu finden vermeint -- als Wunsch, als Frage, als Stimmung --
Vor der Realität als solcher hat er keine Ehrfurcht; er haßt die Natur, weil sie
sich seinen Launen nicht preisgibt, und eben drum auch die Gesellschaft. Aber ge¬
rade in dieser Isolirtheit ist er selber das Gegentheil des Ideals: er ist böse, er
ist unfrei und -- er ist albern. Eine bittere Wahrheit, die wir dieser anspruchs¬
vollen Charaktermaske nicht verschweigen können. Eine Analyse der Bestandtheile,
aus denen sie zusammengeflickt ist, wird es ergeben.

Der abstracte Gegensatz zwischen Geist und Natur, zwischen Idee und Wirk¬
lichkeit, der im Mittelalter noch den Reiz der Naivität an sich trug, wie das
ganze Leben, reflectirte zuerst im Zeitalter der Reformation, dann in der poeti¬
schen Sturm- und Drangpenvde des 18. Jahrhunderts. Das Jahrhundert der
Reformation erfand jene drei Masken, die Stnrmperiode dichtete sie aus, die
Romantik rundete sie zu einer Doctrin ab, und stellte sie ans ihren aus chinesischem
Spielzeug aufgestapelten Altar, wie die Jsraeliten das goldene Kalb. Unserer
Zeit ward die Aufgabe, ihn zu überwinden.

Wir überwinden den Gegensatz, indem wir ihn zerlegen.

Von den Masken, in welche sich die Blasirtheit versteckt, ist Don Juan die
handgreiflichste: der raffinirte Egoismus und die Nichtachtung sittlicher Schranken.
Mit dem Wort Egoismus verbindet unsere Romantik zwei ganz verschiedene Be¬
griffe, aus deren Vermischung die sinnlosesten Vorstellungen hervorgehn. In dem
Sinn, daß der Mensch bei allen Bestrebungen, wie ideal sie auch aussehn, sich
selbst zum Zweck hat, ist jeder Mensch Egoist, und kann es nicht anders sein,
wenn er nicht überhaupt aufhören wollte zu sein. Auch wenn man stirbt für eine
große Sache, ist es nnr, weil man sich darin betheiligt und befriedigt. Nur der
gebildete Cynismus bringt die Gesellschaft hervor und erhält sie; nur aus ihm
c"tspringen Wissenschaft und Kunst. Eine andere Sache ist es aber mit dem
künstlichen Egoismus, d. h. dem Cultus, deu man mit seiner schlechten Persön¬
lichkeit treibt, dem unruhigen Sinnen und Trachten, sich in jedem Augenblick in
werthloser Lust zu befriedigen. Je werthloser die Beschäftigung ist, in der man
sich zu genügen Pflegt, d. h. je weniger allgemein menschlichen Inhalt sie bietet,
desto raffinirter wird der Egoismus, d. h. die Sonderung der persönlichen


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überschauen, die Ewigkeit in einem Moment. Nicht anders war es ferner mit
der Coquetterie der Tugend, die sich darüber abquälte, ob nicht die Reinheit
des Opfers befleckt würde durch die Neigung, mit der mau es brachte; die den¬
selben Maßstab an das Urtheil über Andere legte, und, da es sehr leicht ist, bei
der Analyse anch der besten Handlungen persönliche Motive zu entdecken, weil
man nicht handeln kann, ohne persönlich betheiligt zu sein, sich endlich mit dem
Resultat befriedigte, die Welt sei aus Egoismus zusammengesetzt, und man sei
nur dadurch darüber erhaben, daß man es wisse.

Indem sich der Einzelne für den Mittelpunkt der Welt ansieht, ist ihm ideal,
was er in sich zu finden vermeint — als Wunsch, als Frage, als Stimmung —
Vor der Realität als solcher hat er keine Ehrfurcht; er haßt die Natur, weil sie
sich seinen Launen nicht preisgibt, und eben drum auch die Gesellschaft. Aber ge¬
rade in dieser Isolirtheit ist er selber das Gegentheil des Ideals: er ist böse, er
ist unfrei und — er ist albern. Eine bittere Wahrheit, die wir dieser anspruchs¬
vollen Charaktermaske nicht verschweigen können. Eine Analyse der Bestandtheile,
aus denen sie zusammengeflickt ist, wird es ergeben.

Der abstracte Gegensatz zwischen Geist und Natur, zwischen Idee und Wirk¬
lichkeit, der im Mittelalter noch den Reiz der Naivität an sich trug, wie das
ganze Leben, reflectirte zuerst im Zeitalter der Reformation, dann in der poeti¬
schen Sturm- und Drangpenvde des 18. Jahrhunderts. Das Jahrhundert der
Reformation erfand jene drei Masken, die Stnrmperiode dichtete sie aus, die
Romantik rundete sie zu einer Doctrin ab, und stellte sie ans ihren aus chinesischem
Spielzeug aufgestapelten Altar, wie die Jsraeliten das goldene Kalb. Unserer
Zeit ward die Aufgabe, ihn zu überwinden.

Wir überwinden den Gegensatz, indem wir ihn zerlegen.

Von den Masken, in welche sich die Blasirtheit versteckt, ist Don Juan die
handgreiflichste: der raffinirte Egoismus und die Nichtachtung sittlicher Schranken.
Mit dem Wort Egoismus verbindet unsere Romantik zwei ganz verschiedene Be¬
griffe, aus deren Vermischung die sinnlosesten Vorstellungen hervorgehn. In dem
Sinn, daß der Mensch bei allen Bestrebungen, wie ideal sie auch aussehn, sich
selbst zum Zweck hat, ist jeder Mensch Egoist, und kann es nicht anders sein,
wenn er nicht überhaupt aufhören wollte zu sein. Auch wenn man stirbt für eine
große Sache, ist es nnr, weil man sich darin betheiligt und befriedigt. Nur der
gebildete Cynismus bringt die Gesellschaft hervor und erhält sie; nur aus ihm
c»tspringen Wissenschaft und Kunst. Eine andere Sache ist es aber mit dem
künstlichen Egoismus, d. h. dem Cultus, deu man mit seiner schlechten Persön¬
lichkeit treibt, dem unruhigen Sinnen und Trachten, sich in jedem Augenblick in
werthloser Lust zu befriedigen. Je werthloser die Beschäftigung ist, in der man
sich zu genügen Pflegt, d. h. je weniger allgemein menschlichen Inhalt sie bietet,
desto raffinirter wird der Egoismus, d. h. die Sonderung der persönlichen


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[0255] überschauen, die Ewigkeit in einem Moment. Nicht anders war es ferner mit der Coquetterie der Tugend, die sich darüber abquälte, ob nicht die Reinheit des Opfers befleckt würde durch die Neigung, mit der mau es brachte; die den¬ selben Maßstab an das Urtheil über Andere legte, und, da es sehr leicht ist, bei der Analyse anch der besten Handlungen persönliche Motive zu entdecken, weil man nicht handeln kann, ohne persönlich betheiligt zu sein, sich endlich mit dem Resultat befriedigte, die Welt sei aus Egoismus zusammengesetzt, und man sei nur dadurch darüber erhaben, daß man es wisse. Indem sich der Einzelne für den Mittelpunkt der Welt ansieht, ist ihm ideal, was er in sich zu finden vermeint — als Wunsch, als Frage, als Stimmung — Vor der Realität als solcher hat er keine Ehrfurcht; er haßt die Natur, weil sie sich seinen Launen nicht preisgibt, und eben drum auch die Gesellschaft. Aber ge¬ rade in dieser Isolirtheit ist er selber das Gegentheil des Ideals: er ist böse, er ist unfrei und — er ist albern. Eine bittere Wahrheit, die wir dieser anspruchs¬ vollen Charaktermaske nicht verschweigen können. Eine Analyse der Bestandtheile, aus denen sie zusammengeflickt ist, wird es ergeben. Der abstracte Gegensatz zwischen Geist und Natur, zwischen Idee und Wirk¬ lichkeit, der im Mittelalter noch den Reiz der Naivität an sich trug, wie das ganze Leben, reflectirte zuerst im Zeitalter der Reformation, dann in der poeti¬ schen Sturm- und Drangpenvde des 18. Jahrhunderts. Das Jahrhundert der Reformation erfand jene drei Masken, die Stnrmperiode dichtete sie aus, die Romantik rundete sie zu einer Doctrin ab, und stellte sie ans ihren aus chinesischem Spielzeug aufgestapelten Altar, wie die Jsraeliten das goldene Kalb. Unserer Zeit ward die Aufgabe, ihn zu überwinden. Wir überwinden den Gegensatz, indem wir ihn zerlegen. Von den Masken, in welche sich die Blasirtheit versteckt, ist Don Juan die handgreiflichste: der raffinirte Egoismus und die Nichtachtung sittlicher Schranken. Mit dem Wort Egoismus verbindet unsere Romantik zwei ganz verschiedene Be¬ griffe, aus deren Vermischung die sinnlosesten Vorstellungen hervorgehn. In dem Sinn, daß der Mensch bei allen Bestrebungen, wie ideal sie auch aussehn, sich selbst zum Zweck hat, ist jeder Mensch Egoist, und kann es nicht anders sein, wenn er nicht überhaupt aufhören wollte zu sein. Auch wenn man stirbt für eine große Sache, ist es nnr, weil man sich darin betheiligt und befriedigt. Nur der gebildete Cynismus bringt die Gesellschaft hervor und erhält sie; nur aus ihm c»tspringen Wissenschaft und Kunst. Eine andere Sache ist es aber mit dem künstlichen Egoismus, d. h. dem Cultus, deu man mit seiner schlechten Persön¬ lichkeit treibt, dem unruhigen Sinnen und Trachten, sich in jedem Augenblick in werthloser Lust zu befriedigen. Je werthloser die Beschäftigung ist, in der man sich zu genügen Pflegt, d. h. je weniger allgemein menschlichen Inhalt sie bietet, desto raffinirter wird der Egoismus, d. h. die Sonderung der persönlichen 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/255>, abgerufen am 15.01.2025.