Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.es nur Bestimmtes wollte, suchte, fragte, und daher um einen endlichen Schmerz Als aber die Lehre aufgestellt wurde, daß der Mensch, d. h. der Einzelne, Ich darf nicht erst daran erinnern, daß das Christenthum es war, welches So lange nun die Menschen beim Glauben blieben, verlegten sie die Erfül¬ Als der Fortschritt der Wissenschaft dem Jenseits einen Raum nach dem an¬ es nur Bestimmtes wollte, suchte, fragte, und daher um einen endlichen Schmerz Als aber die Lehre aufgestellt wurde, daß der Mensch, d. h. der Einzelne, Ich darf nicht erst daran erinnern, daß das Christenthum es war, welches So lange nun die Menschen beim Glauben blieben, verlegten sie die Erfül¬ Als der Fortschritt der Wissenschaft dem Jenseits einen Raum nach dem an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279802"/> <p xml:id="ID_884" prev="#ID_883"> es nur Bestimmtes wollte, suchte, fragte, und daher um einen endlichen Schmerz<lb/> empfinden konnte, nicht den wüsten Traum des sogenannten Weltschmerzes, weil<lb/> es die Götter, d. h. die Weltmacht ehrte, auch wo es sie nicht verstand.</p><lb/> <p xml:id="ID_885"> Als aber die Lehre aufgestellt wurde, daß der Mensch, d. h. der Einzelne,<lb/> der Mittelpunkt sei, um den die Welt, vorsehend und versuchend, sich drehe, als<lb/> jeder Lump sich zum speciellen Zweck Gottes hinaufschraubte, und die Natur zum<lb/> Gegenstand seiner egoistischen Neigungen herabsetzte, da wurde es möglich, daß»<lb/> die Unendlichkeit der sogenannten geistigen Ansprüche im Kontrast mit der Be¬<lb/> stimmtheit und also Endlichkeit der Welt zu jenem kranken Glauben führte, die<lb/> Welt mit ihrem Gesetz sei ein Jammerthal, eine Lüge, sie sei geradezu der Feind<lb/> des Menschen, das Reich des Teufels.</p><lb/> <p xml:id="ID_886"> Ich darf nicht erst daran erinnern, daß das Christenthum es war, welches<lb/> jene Lehre zum Glauben der Welt erhob.</p><lb/> <p xml:id="ID_887"> So lange nun die Menschen beim Glauben blieben, verlegten sie die Erfül¬<lb/> lung ihrer maßlosen und widersprechenden Wünsche ins Jenseits, und quälte» sich<lb/> damit ab, den Widerspruch derselben, die Natur, im eignen Fleisch zu verfolgen.<lb/> Sie fanden die Befriedigung ihres Selbstgefühls in einer grenzenlosen Demüthi-<lb/> gung, sie traten ihre irdischen Freuden, ihren irdischen Verstand, ihre irdische<lb/> Neigung in den Koth, nur um ihrer eigentlichen Bestimmung durch den Contrast<lb/> ein glänzendes Relief zu geben. Wie ein Wurm wand sich der Mensch im Staube<lb/> vor seinem Gott, und rechtete doch mit ihm in seinen Werken, quälte ihn mit<lb/> den leidenschaftlichen Forderungen seiner Sehnsucht. Ich erinnere beiläufig daran,<lb/> daß der Uebergang von raffinirter Sinnlichkeit zur raffinirten Pönitenz, daß die<lb/> Gestalt der Magdalena ausschließlich dem Christenthum angehört. Deu Griechen<lb/> war sie unbekannt. Aber die Sünderin und die Büßende fallen in ihrem wesent¬<lb/> lichen Inhalt zusammen; erst war der maßlose Genuß unmittelbar, dann sollte er<lb/> für die Ewigkeit erkauft werden durch maßloses Leiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Als der Fortschritt der Wissenschaft dem Jenseits einen Raum nach dem an¬<lb/> dern streitig machte, als der Himmel sich ganz in dunkle Ferne verlor, blieb die<lb/> Maßlosigkeit der Ansprüche und der Einbildungen, und folglich die Verachtung der<lb/> Wirklichkeit, die ihnen nicht gerecht wurde. Daß mau sich wünschte, alle Weiber<lb/> der Welt hätten nur Einen Mund, um-in Einem Kuß unendliche Seligkeit zu<lb/> erschöpfen, das kam allenfalls auch schon zu deu Zeiten des Nero vor, der im<lb/> Uebermaß der Macht zuletzt uicht mehr wußte, was er sich für einen Wunsch er¬<lb/> sinnen sollte, um einmal zu wechseln; aber daß man diesen Wunsch als einen<lb/> Rechtsanspruch der Natur ins Gesicht schleuderte, und indignirt darüber war, daß<lb/> sie ihn nicht acceptirte, das blieb dem romantischen Zeitalter vorbehalten. Eben<lb/> so war es mit dem sogenannten Wissensdrang, der darauf herauskam, daß man<lb/> sich mit seinem ganzen Ich in ein kugelrundes Auge verwandeln, und die gesammte<lb/> Welt in einer Kugelfläche sich gegenüberstellen wollte, um sie mit Einem Blick z»</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0254]
es nur Bestimmtes wollte, suchte, fragte, und daher um einen endlichen Schmerz
empfinden konnte, nicht den wüsten Traum des sogenannten Weltschmerzes, weil
es die Götter, d. h. die Weltmacht ehrte, auch wo es sie nicht verstand.
Als aber die Lehre aufgestellt wurde, daß der Mensch, d. h. der Einzelne,
der Mittelpunkt sei, um den die Welt, vorsehend und versuchend, sich drehe, als
jeder Lump sich zum speciellen Zweck Gottes hinaufschraubte, und die Natur zum
Gegenstand seiner egoistischen Neigungen herabsetzte, da wurde es möglich, daß»
die Unendlichkeit der sogenannten geistigen Ansprüche im Kontrast mit der Be¬
stimmtheit und also Endlichkeit der Welt zu jenem kranken Glauben führte, die
Welt mit ihrem Gesetz sei ein Jammerthal, eine Lüge, sie sei geradezu der Feind
des Menschen, das Reich des Teufels.
Ich darf nicht erst daran erinnern, daß das Christenthum es war, welches
jene Lehre zum Glauben der Welt erhob.
So lange nun die Menschen beim Glauben blieben, verlegten sie die Erfül¬
lung ihrer maßlosen und widersprechenden Wünsche ins Jenseits, und quälte» sich
damit ab, den Widerspruch derselben, die Natur, im eignen Fleisch zu verfolgen.
Sie fanden die Befriedigung ihres Selbstgefühls in einer grenzenlosen Demüthi-
gung, sie traten ihre irdischen Freuden, ihren irdischen Verstand, ihre irdische
Neigung in den Koth, nur um ihrer eigentlichen Bestimmung durch den Contrast
ein glänzendes Relief zu geben. Wie ein Wurm wand sich der Mensch im Staube
vor seinem Gott, und rechtete doch mit ihm in seinen Werken, quälte ihn mit
den leidenschaftlichen Forderungen seiner Sehnsucht. Ich erinnere beiläufig daran,
daß der Uebergang von raffinirter Sinnlichkeit zur raffinirten Pönitenz, daß die
Gestalt der Magdalena ausschließlich dem Christenthum angehört. Deu Griechen
war sie unbekannt. Aber die Sünderin und die Büßende fallen in ihrem wesent¬
lichen Inhalt zusammen; erst war der maßlose Genuß unmittelbar, dann sollte er
für die Ewigkeit erkauft werden durch maßloses Leiden.
Als der Fortschritt der Wissenschaft dem Jenseits einen Raum nach dem an¬
dern streitig machte, als der Himmel sich ganz in dunkle Ferne verlor, blieb die
Maßlosigkeit der Ansprüche und der Einbildungen, und folglich die Verachtung der
Wirklichkeit, die ihnen nicht gerecht wurde. Daß mau sich wünschte, alle Weiber
der Welt hätten nur Einen Mund, um-in Einem Kuß unendliche Seligkeit zu
erschöpfen, das kam allenfalls auch schon zu deu Zeiten des Nero vor, der im
Uebermaß der Macht zuletzt uicht mehr wußte, was er sich für einen Wunsch er¬
sinnen sollte, um einmal zu wechseln; aber daß man diesen Wunsch als einen
Rechtsanspruch der Natur ins Gesicht schleuderte, und indignirt darüber war, daß
sie ihn nicht acceptirte, das blieb dem romantischen Zeitalter vorbehalten. Eben
so war es mit dem sogenannten Wissensdrang, der darauf herauskam, daß man
sich mit seinem ganzen Ich in ein kugelrundes Auge verwandeln, und die gesammte
Welt in einer Kugelfläche sich gegenüberstellen wollte, um sie mit Einem Blick z»
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