Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Der Fanatismus eine Krankheit. Das Auftauchen des politischen Fanatismus in Deutschland und die Vielleicht erregt es Verwunderung, daß ich als Arzt dieses Thema zu be¬ Das "Wesen des Fanatismus." Fanatismus ist eine heftig ge¬ Zum Wesen des Fanatismus gehört also zunächst das Vorhandensein einer Grenzboten, lo. 1849. 22
Der Fanatismus eine Krankheit. Das Auftauchen des politischen Fanatismus in Deutschland und die Vielleicht erregt es Verwunderung, daß ich als Arzt dieses Thema zu be¬ Das „Wesen des Fanatismus." Fanatismus ist eine heftig ge¬ Zum Wesen des Fanatismus gehört also zunächst das Vorhandensein einer Grenzboten, lo. 1849. 22
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Der Fanatismus eine Krankheit.
Das Auftauchen des politischen Fanatismus in Deutschland und die
reiche Gelegenheit denselben in der Nähe zu beobachten, welche sich jedem Den¬
kenden in dem verflossenen Jahre (1848—49) dargeboten hat, gibt dieser Erschei¬
nung des geistigen Volkslebens ein Interesse, wie es neuauftauchenden Weltseuchen,
der Cholera, der Influenza, seiner Zeit gewidmet wurde. Wer hätte dem deut¬
schen Volke, dessen politische Unempfindlichkeit sprichwörtlich geworden war, zuge¬
traut, daß dasselbe von einer solchen fanatischen Gluth ergriffen werden könne?
Und doch war dies keine Abnormität. Wer das Volksleben im Spiegel der Ge¬
schichte studirt, weiß, daß ein Element des Fanatismus im Grundcharakter des
deutschen Volkes schlummert. Die Kreuzzüge, die Reformation und der unselige
30jährige Krieg! Damals opferten die deutschen Fürsten und Völker, mit einer
dem heutigen Bildungszustand unbegreiflichen Wuth und Hartnäckigkeit für ihren
religiösen Glauben, das Beste, was ein Volk besitzen kann: Bildung und
Wohlstand, Freiheit, Ehre und Vaterland! Jene Erfahrung muß uns ernähren,
die Symptome des auftauchenden politischen Fanatismus in unserem Volke, nicht
gering zu achten. Es kann immer noch wiederkommen, daß, wie vor Zeiten, die
verblendete Menge Freiheit, Ehre und Vaterland opfert, sei es zu Gunsten der
„Volksherrlichkeit" oder „einer starken Regierung," sei es an die Franzosen oder
an die Russen.
Vielleicht erregt es Verwunderung, daß ich als Arzt dieses Thema zu be¬
sprechen wage. Politik ist allerdings nicht mein Fach. Allem die Räthsel des
Fanatismus zu lösen, ist eine Aufgabe der Lebenswissenschast, der Physiologie,
welche die Grundlage der wissenschaftlichen Heilkunde bildet. Und der Verlauf
soll beweisen, daß wir es mit einer ganz eigentlich ärztlichen Aufgabe, mit einem
Abschnitt aus der Gesundheits- und Krankheitslehre des menschlichen
Geistes zu thun haben. „Der Fanatismus ist eine Krankheit, und so¬
wohl seine wissenschaftliche Zergliederung, als seine praktische Behandlung unter¬
liegt den Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Kunst."
Das „Wesen des Fanatismus." Fanatismus ist eine heftig ge¬
steigerte und einseitige Gemüths- und Willensrichtung ans Ver¬
wirklichung von Glaubenssätzen.
Zum Wesen des Fanatismus gehört also zunächst das Vorhandensein einer
intensiv gläubigen Geistesrichtung. Nur in Glaubensfragen gibt es
Fanatiker, daher vorzugsweise in der Religion und in der Politik. Das Wesen
Grenzboten, lo. 1849. 22
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