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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Wir wollen damit keine Verdächtigung aussprechen; wir sind weit davon
entfernt, der Deutschen Reform constitutionelle Gesinnungen unterschieben zu wollen.
Im Gegentheil! Wenn hente Graf Brandenburg decretirt, es solle allerdings
eine ständische Verfassung bestehen, aber die Abgeordneren soll der König aus¬
wählen, so wird sie sagen: das ist zwar eine formale Rechtsverletzung, aber es
ist gut! sehr recht! es ist eine höhere politische Nothwendigkeit! Sie wird viel¬
leicht hinzusetzen, die Negierung hat früher sehr verkehrt, sehr ungesetzlich gebar--
dell, als sie einem Andern die Wahl der Abgeordneten übertrug, als dem ge¬
bornen Repräsentanten der Nation, dem Könige, sie wird vielleicht zum Beleg
ihrer Behauptung den Aristoteles citiren, aber das alles sind Redensarten, die
einem Unterthanen nicht anstehn; historische Nothwendigkeit, Aristoteles und alles
das gehören nicht in die Bibliothek eines loyalen Journalisten, höchstens der
Katechismus.

Eins möchte ich wissen. Unter den vielen Geschenken, womit das theure
Ministerium uns beglückt hat, ist ja auch das provisorische Prcßgesetz. In dem¬
selben ist nicht nnr die Kritik der Amtsthätigkeit aller offiziellen menschlichen Wesen
bis zum Nachtwächter herunter bei so und so viel monatlicher Zuchthausstrafe
untersagt, sondern auch die Kritik der Amtsthätigkeit der Deputirten. Nun ist
zwar zu hoffen, daß in die neuen Kammern die alte Opposition nicht eintritt,
aber wenn nnn doch Ausnahmen stattfanden? Wenn Freund Dierschke doch seinen
Platz in der Oberwallstraße finden sollte? Oder ich will sagen, wenn einer von
der alten Rechten, wie es schon in der letzten Zeit geschah, etwa Herr Immer-
mann oder wer sonst, die Dreistigkeit haben sollte, der Regierung zu wider¬
sprechen? Sollte es da nicht die Pflicht eines treuen Unterthans sein, den frechen
Lästerer gehörig zurechtzuweisen? Und das darf denn doch die Deutsche Reform
nicht! Wenn sie Dierschke lästert, kommt sie ins Zuchthaus, Vielleicht wird es
ihr "süß und anständig" sein, für die gute Sache zu leiden, denn das Zuchthaus
erwartet auch den flüchtigen Mann und verschont weder die unkriegerischen Knie¬
kehlen der conservativen Liberalen, noch ihren schüchternen Rücken.




Politische Broschüren.



1) Die beiden Reichs Verfassungen, mit Erläuterungen vom Herausgeber der
Grundrechte in der G. Wigand'schen Ausgabe. Leipzig, G. Wigand.

Eine geistvolle kleine Schrift, die wir der Aufmerksamkeit des Publikums
empfehlen, obgleich sie, nach gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Thatsachen,
zu ganz andern Resultaten gela.rgt, als wir.


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Wir wollen damit keine Verdächtigung aussprechen; wir sind weit davon
entfernt, der Deutschen Reform constitutionelle Gesinnungen unterschieben zu wollen.
Im Gegentheil! Wenn hente Graf Brandenburg decretirt, es solle allerdings
eine ständische Verfassung bestehen, aber die Abgeordneren soll der König aus¬
wählen, so wird sie sagen: das ist zwar eine formale Rechtsverletzung, aber es
ist gut! sehr recht! es ist eine höhere politische Nothwendigkeit! Sie wird viel¬
leicht hinzusetzen, die Negierung hat früher sehr verkehrt, sehr ungesetzlich gebar--
dell, als sie einem Andern die Wahl der Abgeordneten übertrug, als dem ge¬
bornen Repräsentanten der Nation, dem Könige, sie wird vielleicht zum Beleg
ihrer Behauptung den Aristoteles citiren, aber das alles sind Redensarten, die
einem Unterthanen nicht anstehn; historische Nothwendigkeit, Aristoteles und alles
das gehören nicht in die Bibliothek eines loyalen Journalisten, höchstens der
Katechismus.

Eins möchte ich wissen. Unter den vielen Geschenken, womit das theure
Ministerium uns beglückt hat, ist ja auch das provisorische Prcßgesetz. In dem¬
selben ist nicht nnr die Kritik der Amtsthätigkeit aller offiziellen menschlichen Wesen
bis zum Nachtwächter herunter bei so und so viel monatlicher Zuchthausstrafe
untersagt, sondern auch die Kritik der Amtsthätigkeit der Deputirten. Nun ist
zwar zu hoffen, daß in die neuen Kammern die alte Opposition nicht eintritt,
aber wenn nnn doch Ausnahmen stattfanden? Wenn Freund Dierschke doch seinen
Platz in der Oberwallstraße finden sollte? Oder ich will sagen, wenn einer von
der alten Rechten, wie es schon in der letzten Zeit geschah, etwa Herr Immer-
mann oder wer sonst, die Dreistigkeit haben sollte, der Regierung zu wider¬
sprechen? Sollte es da nicht die Pflicht eines treuen Unterthans sein, den frechen
Lästerer gehörig zurechtzuweisen? Und das darf denn doch die Deutsche Reform
nicht! Wenn sie Dierschke lästert, kommt sie ins Zuchthaus, Vielleicht wird es
ihr „süß und anständig" sein, für die gute Sache zu leiden, denn das Zuchthaus
erwartet auch den flüchtigen Mann und verschont weder die unkriegerischen Knie¬
kehlen der conservativen Liberalen, noch ihren schüchternen Rücken.




Politische Broschüren.



1) Die beiden Reichs Verfassungen, mit Erläuterungen vom Herausgeber der
Grundrechte in der G. Wigand'schen Ausgabe. Leipzig, G. Wigand.

Eine geistvolle kleine Schrift, die wir der Aufmerksamkeit des Publikums
empfehlen, obgleich sie, nach gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Thatsachen,
zu ganz andern Resultaten gela.rgt, als wir.


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[0099] Wir wollen damit keine Verdächtigung aussprechen; wir sind weit davon entfernt, der Deutschen Reform constitutionelle Gesinnungen unterschieben zu wollen. Im Gegentheil! Wenn hente Graf Brandenburg decretirt, es solle allerdings eine ständische Verfassung bestehen, aber die Abgeordneren soll der König aus¬ wählen, so wird sie sagen: das ist zwar eine formale Rechtsverletzung, aber es ist gut! sehr recht! es ist eine höhere politische Nothwendigkeit! Sie wird viel¬ leicht hinzusetzen, die Negierung hat früher sehr verkehrt, sehr ungesetzlich gebar-- dell, als sie einem Andern die Wahl der Abgeordneten übertrug, als dem ge¬ bornen Repräsentanten der Nation, dem Könige, sie wird vielleicht zum Beleg ihrer Behauptung den Aristoteles citiren, aber das alles sind Redensarten, die einem Unterthanen nicht anstehn; historische Nothwendigkeit, Aristoteles und alles das gehören nicht in die Bibliothek eines loyalen Journalisten, höchstens der Katechismus. Eins möchte ich wissen. Unter den vielen Geschenken, womit das theure Ministerium uns beglückt hat, ist ja auch das provisorische Prcßgesetz. In dem¬ selben ist nicht nnr die Kritik der Amtsthätigkeit aller offiziellen menschlichen Wesen bis zum Nachtwächter herunter bei so und so viel monatlicher Zuchthausstrafe untersagt, sondern auch die Kritik der Amtsthätigkeit der Deputirten. Nun ist zwar zu hoffen, daß in die neuen Kammern die alte Opposition nicht eintritt, aber wenn nnn doch Ausnahmen stattfanden? Wenn Freund Dierschke doch seinen Platz in der Oberwallstraße finden sollte? Oder ich will sagen, wenn einer von der alten Rechten, wie es schon in der letzten Zeit geschah, etwa Herr Immer- mann oder wer sonst, die Dreistigkeit haben sollte, der Regierung zu wider¬ sprechen? Sollte es da nicht die Pflicht eines treuen Unterthans sein, den frechen Lästerer gehörig zurechtzuweisen? Und das darf denn doch die Deutsche Reform nicht! Wenn sie Dierschke lästert, kommt sie ins Zuchthaus, Vielleicht wird es ihr „süß und anständig" sein, für die gute Sache zu leiden, denn das Zuchthaus erwartet auch den flüchtigen Mann und verschont weder die unkriegerischen Knie¬ kehlen der conservativen Liberalen, noch ihren schüchternen Rücken. Politische Broschüren. 1) Die beiden Reichs Verfassungen, mit Erläuterungen vom Herausgeber der Grundrechte in der G. Wigand'schen Ausgabe. Leipzig, G. Wigand. Eine geistvolle kleine Schrift, die wir der Aufmerksamkeit des Publikums empfehlen, obgleich sie, nach gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Thatsachen, zu ganz andern Resultaten gela.rgt, als wir. 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/99>, abgerufen am 05.02.2025.