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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Die wahre Größe und Güte der russischen Armee kennt in Rußland Nie¬
mand ganz genau, selbst der Kaiser nicht. Am Namenstage der Kaiserin im
April d. I. sah ich die Revue in Se. Petersburg. Welcher andere Staat hat
glänzendere, besser dressirte oder besser ausgerüstete Truppen, als die hier auf
dem Marsfeld paradirten? Aber die hageren, abgerissenen Bettler, welche mich
in Moskau so oft angesprochen hatten, die sich mühsam auf der Straße hin¬
schleppten, das waren auch Soldaten; und wenn ein solcher in ein Hans trat,
hieß es: "passe nur uns, daß der Spitzbube nichts stiehlt."

Die für die Armee bestimmten Summen werden, wie bekannt, in Nußland
zunächst an die verschiedenen Generale, von diesen an die Obersten u. s. f. ver¬
theilt, auf diesem Wege gelangt vielleicht nur die Hälfte des ihm Zukommenden
an den einzelnen Soldaten. Vergebens ist versucht worden diesem Uebelstand
abzuhelfen, da keine Klasse von Beamten der anderen an Rechtlichkeit vorangeht;
-- nur in der unmittelbaren Nähe des Kaisers kann dies System der Gaunerei
wenigstens nicht so großartig durchgeführt werden, da derselbe zuviel Gewicht auf
das Aeußere seiner Garden legt. Gelegentlich wird auch wohl die schlechte Equi-
pirung und Verpflegung eines in den Gouvernements stehenden Corps dem Kaiser
auffällig, und dann werden oft mehrere Offiziere, selbst Generale, wie vor einigen
Jahren General Rosen, und 1847 auf einmal vier solche von der kaukasischen
Armee nach Sibirien geschickt; für andere nur eine Mahnung zur Vorsicht. Bei
alledem gilt jeder kaiserliche Beamte offiziell für einen ehrlichen Mann, eben so
auch der Soldat, als einer, der gleichfalls dem Kaiser geschworen hat. Einem
solchen darf man nicht mißtrauen, bietet also ein Soldat irgend einen kostbaren
Gegenstand zu billigem Verkauf aus, so -- kann das ja nicht gestohlenes
Gut sein.

Der Kriegsdienst ist aber hier nicht so unpopulär, wie mau im Ausland
meint. Die Lage der Bauern ist nämlich eine solche, daß sie im Ganzen gern
in den jetzt 15jährigen Soldatendienst eintreten. Die armen Teufel werde" aus
der Hölle in ein Fegefeuer befördert. -- Um ihnen das neue Verhältniß zuerst
besonders schmackhaft zu machen, werden sie für die ersten vierzehn Tage nach
ihrer Einkleidung aller strengeren Aufsicht entlassen und schwärmen dann um
Schenken der Bürger jubelnd und trunken umher. Werden sie erschossen, so ist's
für den Kaiser und das heilige Rußland, kommen sie als Krüppel und mit weißem
Haar zurück, so werden sie die Weisen und Märchenerzähler ihres Dorfes, sitzen
auf dem Ehrenplatz und haben freie Zeche. Was brauchen sie mehr?

Eine kleine Schrift des Grafen Rechenberg-Linsen nnter folgendem Titel:
"Westeuropa und Nußland in Beziehung auf die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse
und die gegenwärtigen Zeitereignisse" -- in Mitau gedruckt, die mir in diesem
Augenblick zukommt, spricht die Wahrheit ehrlich ans, daß die durch und durch
anders basirten Verhältnisse Rußlands der westeuropäischen Revolution gegenüber


Die wahre Größe und Güte der russischen Armee kennt in Rußland Nie¬
mand ganz genau, selbst der Kaiser nicht. Am Namenstage der Kaiserin im
April d. I. sah ich die Revue in Se. Petersburg. Welcher andere Staat hat
glänzendere, besser dressirte oder besser ausgerüstete Truppen, als die hier auf
dem Marsfeld paradirten? Aber die hageren, abgerissenen Bettler, welche mich
in Moskau so oft angesprochen hatten, die sich mühsam auf der Straße hin¬
schleppten, das waren auch Soldaten; und wenn ein solcher in ein Hans trat,
hieß es: „passe nur uns, daß der Spitzbube nichts stiehlt."

Die für die Armee bestimmten Summen werden, wie bekannt, in Nußland
zunächst an die verschiedenen Generale, von diesen an die Obersten u. s. f. ver¬
theilt, auf diesem Wege gelangt vielleicht nur die Hälfte des ihm Zukommenden
an den einzelnen Soldaten. Vergebens ist versucht worden diesem Uebelstand
abzuhelfen, da keine Klasse von Beamten der anderen an Rechtlichkeit vorangeht;
— nur in der unmittelbaren Nähe des Kaisers kann dies System der Gaunerei
wenigstens nicht so großartig durchgeführt werden, da derselbe zuviel Gewicht auf
das Aeußere seiner Garden legt. Gelegentlich wird auch wohl die schlechte Equi-
pirung und Verpflegung eines in den Gouvernements stehenden Corps dem Kaiser
auffällig, und dann werden oft mehrere Offiziere, selbst Generale, wie vor einigen
Jahren General Rosen, und 1847 auf einmal vier solche von der kaukasischen
Armee nach Sibirien geschickt; für andere nur eine Mahnung zur Vorsicht. Bei
alledem gilt jeder kaiserliche Beamte offiziell für einen ehrlichen Mann, eben so
auch der Soldat, als einer, der gleichfalls dem Kaiser geschworen hat. Einem
solchen darf man nicht mißtrauen, bietet also ein Soldat irgend einen kostbaren
Gegenstand zu billigem Verkauf aus, so — kann das ja nicht gestohlenes
Gut sein.

Der Kriegsdienst ist aber hier nicht so unpopulär, wie mau im Ausland
meint. Die Lage der Bauern ist nämlich eine solche, daß sie im Ganzen gern
in den jetzt 15jährigen Soldatendienst eintreten. Die armen Teufel werde» aus
der Hölle in ein Fegefeuer befördert. — Um ihnen das neue Verhältniß zuerst
besonders schmackhaft zu machen, werden sie für die ersten vierzehn Tage nach
ihrer Einkleidung aller strengeren Aufsicht entlassen und schwärmen dann um
Schenken der Bürger jubelnd und trunken umher. Werden sie erschossen, so ist's
für den Kaiser und das heilige Rußland, kommen sie als Krüppel und mit weißem
Haar zurück, so werden sie die Weisen und Märchenerzähler ihres Dorfes, sitzen
auf dem Ehrenplatz und haben freie Zeche. Was brauchen sie mehr?

Eine kleine Schrift des Grafen Rechenberg-Linsen nnter folgendem Titel:
„Westeuropa und Nußland in Beziehung auf die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse
und die gegenwärtigen Zeitereignisse" — in Mitau gedruckt, die mir in diesem
Augenblick zukommt, spricht die Wahrheit ehrlich ans, daß die durch und durch
anders basirten Verhältnisse Rußlands der westeuropäischen Revolution gegenüber


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[0053] Die wahre Größe und Güte der russischen Armee kennt in Rußland Nie¬ mand ganz genau, selbst der Kaiser nicht. Am Namenstage der Kaiserin im April d. I. sah ich die Revue in Se. Petersburg. Welcher andere Staat hat glänzendere, besser dressirte oder besser ausgerüstete Truppen, als die hier auf dem Marsfeld paradirten? Aber die hageren, abgerissenen Bettler, welche mich in Moskau so oft angesprochen hatten, die sich mühsam auf der Straße hin¬ schleppten, das waren auch Soldaten; und wenn ein solcher in ein Hans trat, hieß es: „passe nur uns, daß der Spitzbube nichts stiehlt." Die für die Armee bestimmten Summen werden, wie bekannt, in Nußland zunächst an die verschiedenen Generale, von diesen an die Obersten u. s. f. ver¬ theilt, auf diesem Wege gelangt vielleicht nur die Hälfte des ihm Zukommenden an den einzelnen Soldaten. Vergebens ist versucht worden diesem Uebelstand abzuhelfen, da keine Klasse von Beamten der anderen an Rechtlichkeit vorangeht; — nur in der unmittelbaren Nähe des Kaisers kann dies System der Gaunerei wenigstens nicht so großartig durchgeführt werden, da derselbe zuviel Gewicht auf das Aeußere seiner Garden legt. Gelegentlich wird auch wohl die schlechte Equi- pirung und Verpflegung eines in den Gouvernements stehenden Corps dem Kaiser auffällig, und dann werden oft mehrere Offiziere, selbst Generale, wie vor einigen Jahren General Rosen, und 1847 auf einmal vier solche von der kaukasischen Armee nach Sibirien geschickt; für andere nur eine Mahnung zur Vorsicht. Bei alledem gilt jeder kaiserliche Beamte offiziell für einen ehrlichen Mann, eben so auch der Soldat, als einer, der gleichfalls dem Kaiser geschworen hat. Einem solchen darf man nicht mißtrauen, bietet also ein Soldat irgend einen kostbaren Gegenstand zu billigem Verkauf aus, so — kann das ja nicht gestohlenes Gut sein. Der Kriegsdienst ist aber hier nicht so unpopulär, wie mau im Ausland meint. Die Lage der Bauern ist nämlich eine solche, daß sie im Ganzen gern in den jetzt 15jährigen Soldatendienst eintreten. Die armen Teufel werde» aus der Hölle in ein Fegefeuer befördert. — Um ihnen das neue Verhältniß zuerst besonders schmackhaft zu machen, werden sie für die ersten vierzehn Tage nach ihrer Einkleidung aller strengeren Aufsicht entlassen und schwärmen dann um Schenken der Bürger jubelnd und trunken umher. Werden sie erschossen, so ist's für den Kaiser und das heilige Rußland, kommen sie als Krüppel und mit weißem Haar zurück, so werden sie die Weisen und Märchenerzähler ihres Dorfes, sitzen auf dem Ehrenplatz und haben freie Zeche. Was brauchen sie mehr? Eine kleine Schrift des Grafen Rechenberg-Linsen nnter folgendem Titel: „Westeuropa und Nußland in Beziehung auf die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse und die gegenwärtigen Zeitereignisse" — in Mitau gedruckt, die mir in diesem Augenblick zukommt, spricht die Wahrheit ehrlich ans, daß die durch und durch anders basirten Verhältnisse Rußlands der westeuropäischen Revolution gegenüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/53>, abgerufen am 10.02.2025.