Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herrlichen Schöpfung des Königs Stanislaus August, stattfinden, bieten des Un¬
gewöhnlichen nud Interessanten zu viel, als daß sich ihre Schilderung in dieses
Kapitel aufnehmen ließe.

Die beiden städtischen Theater befinden sich mitten in der Stadt dem Rath¬
haus gegenüber in einem riesenhaften Hause, welches die ganze eine Seite des
Marktplatzes einnimmt, und sind allabendlich abwechselnngsweise, nur des Sonntags
beide zugleich, geöffnet. Das "große Theater," besonders für Drama, Oper und
Ballet bestimmt, saßt gegen 6000 Menschen, das "kleine Theater," ans welchem
fast nur Lustspiele gegeben werden, kann über zweitausend Personen aufnehmen.
Der Grund zu diesen beiden Theatern wurde vor der Revolution gelegt, die neue
Negierung aber hat sie errichtet und somit bewiesen, daß ihr selbst vier Millionen
Rubel, welche Bau und Einrichtung gekostet, nichts sind geaen eine Anstalt, welche
die politistrendcn Polen zerstreut. Die Bühne erfreut sich eines vorzüglichen
Künstlerpersonals. Der Pole besitzt viel darstellendes Talent und gleicht darin
völlig dem Franzosen. Er ist beweglich, unter allen Nuancen leidenschaftlich, ver¬
steht es, sich in fremde Ideen und Gefühle zu versetzen, ist stets überzeugt, richtig
aufgefaßt zu haben und Gutes zu leisten, und gewinnt dadurch die an Arroganz
grenzende Dreistigkeit, welche Wesentliches zu einer guten dramatischen Darstellung
mitwirkt. Die Tüchtigkeit der Schauspieler macht, daß das Theater eine Ver-
sammlnngsstätte aller Theile der Warschauer Bevölkerung ist. Allein auch hier
hat man bald die Erfahrung zu machen, daß das bürgerliche Vergnügen durch
die politische Hauptrolle der Russe" verdorben werde und das Theater nicht ein
bürgerliches Gesellschaftshaus, sondern eine politische Anstalt sei. Niemanden küm¬
mert es, daß eine russische Offizierwache um Innern auf und abspaziert und sich
eine starke Wache von gemeinen russischen Soldaten außerhalb in den Gängen
allaugenblicklich vernehmen läßt, es kümmert auch Niemanden, daß die vorderen
Räume des Parquet ausschließlich den Russen eingeräumt werden. Allein die Art
und Weise, nach welcher der Director der Theater, welcher allemal ein russischer
General ist, und die Censur die besten Stücke umarbeiten und zum Theil in rus¬
sische Huldigungspoesien verwandeln, desgleichen die Art und Weise, mit welcher
die angemaßten gesellschaftlichen Vorrechte der Russen unter den Schutz ihrer poli¬
tischen Vorrechte gestellt worden, verderben den Genuß in hohem Grade. Die
Beifalls- und Mißfallsäußcrungen stehen unter russischen Gesetzen. Gewissen
Künstlern, welche sich die Ungunst des Fürsten, des General-Theaterdirectors,
des General-Polizeimeisters oder eines andern der ersten Personen zugezogen ha¬
ben, darf kein Beifall gespendet werden. Fünfzig bis sechzig geheime politische
Agenten sind hier förmlich dazu angestellt, die ans russischer Seite ungewünschten
Freudenäußerungen des Publikums durch Gezisch und Pfeifen zu unterdrücken.
Auf diese Weise wird ein fortwährender störender, über alle Maßen ekelhafter
Kampf veranlaßt. Eben so sind die Mißfallsänßerungen des Publikums ganz von


herrlichen Schöpfung des Königs Stanislaus August, stattfinden, bieten des Un¬
gewöhnlichen nud Interessanten zu viel, als daß sich ihre Schilderung in dieses
Kapitel aufnehmen ließe.

Die beiden städtischen Theater befinden sich mitten in der Stadt dem Rath¬
haus gegenüber in einem riesenhaften Hause, welches die ganze eine Seite des
Marktplatzes einnimmt, und sind allabendlich abwechselnngsweise, nur des Sonntags
beide zugleich, geöffnet. Das „große Theater," besonders für Drama, Oper und
Ballet bestimmt, saßt gegen 6000 Menschen, das „kleine Theater," ans welchem
fast nur Lustspiele gegeben werden, kann über zweitausend Personen aufnehmen.
Der Grund zu diesen beiden Theatern wurde vor der Revolution gelegt, die neue
Negierung aber hat sie errichtet und somit bewiesen, daß ihr selbst vier Millionen
Rubel, welche Bau und Einrichtung gekostet, nichts sind geaen eine Anstalt, welche
die politistrendcn Polen zerstreut. Die Bühne erfreut sich eines vorzüglichen
Künstlerpersonals. Der Pole besitzt viel darstellendes Talent und gleicht darin
völlig dem Franzosen. Er ist beweglich, unter allen Nuancen leidenschaftlich, ver¬
steht es, sich in fremde Ideen und Gefühle zu versetzen, ist stets überzeugt, richtig
aufgefaßt zu haben und Gutes zu leisten, und gewinnt dadurch die an Arroganz
grenzende Dreistigkeit, welche Wesentliches zu einer guten dramatischen Darstellung
mitwirkt. Die Tüchtigkeit der Schauspieler macht, daß das Theater eine Ver-
sammlnngsstätte aller Theile der Warschauer Bevölkerung ist. Allein auch hier
hat man bald die Erfahrung zu machen, daß das bürgerliche Vergnügen durch
die politische Hauptrolle der Russe» verdorben werde und das Theater nicht ein
bürgerliches Gesellschaftshaus, sondern eine politische Anstalt sei. Niemanden küm¬
mert es, daß eine russische Offizierwache um Innern auf und abspaziert und sich
eine starke Wache von gemeinen russischen Soldaten außerhalb in den Gängen
allaugenblicklich vernehmen läßt, es kümmert auch Niemanden, daß die vorderen
Räume des Parquet ausschließlich den Russen eingeräumt werden. Allein die Art
und Weise, nach welcher der Director der Theater, welcher allemal ein russischer
General ist, und die Censur die besten Stücke umarbeiten und zum Theil in rus¬
sische Huldigungspoesien verwandeln, desgleichen die Art und Weise, mit welcher
die angemaßten gesellschaftlichen Vorrechte der Russen unter den Schutz ihrer poli¬
tischen Vorrechte gestellt worden, verderben den Genuß in hohem Grade. Die
Beifalls- und Mißfallsäußcrungen stehen unter russischen Gesetzen. Gewissen
Künstlern, welche sich die Ungunst des Fürsten, des General-Theaterdirectors,
des General-Polizeimeisters oder eines andern der ersten Personen zugezogen ha¬
ben, darf kein Beifall gespendet werden. Fünfzig bis sechzig geheime politische
Agenten sind hier förmlich dazu angestellt, die ans russischer Seite ungewünschten
Freudenäußerungen des Publikums durch Gezisch und Pfeifen zu unterdrücken.
Auf diese Weise wird ein fortwährender störender, über alle Maßen ekelhafter
Kampf veranlaßt. Eben so sind die Mißfallsänßerungen des Publikums ganz von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279519"/>
          <p xml:id="ID_1673" prev="#ID_1672"> herrlichen Schöpfung des Königs Stanislaus August, stattfinden, bieten des Un¬<lb/>
gewöhnlichen nud Interessanten zu viel, als daß sich ihre Schilderung in dieses<lb/>
Kapitel aufnehmen ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1674" next="#ID_1675"> Die beiden städtischen Theater befinden sich mitten in der Stadt dem Rath¬<lb/>
haus gegenüber in einem riesenhaften Hause, welches die ganze eine Seite des<lb/>
Marktplatzes einnimmt, und sind allabendlich abwechselnngsweise, nur des Sonntags<lb/>
beide zugleich, geöffnet. Das &#x201E;große Theater," besonders für Drama, Oper und<lb/>
Ballet bestimmt, saßt gegen 6000 Menschen, das &#x201E;kleine Theater," ans welchem<lb/>
fast nur Lustspiele gegeben werden, kann über zweitausend Personen aufnehmen.<lb/>
Der Grund zu diesen beiden Theatern wurde vor der Revolution gelegt, die neue<lb/>
Negierung aber hat sie errichtet und somit bewiesen, daß ihr selbst vier Millionen<lb/>
Rubel, welche Bau und Einrichtung gekostet, nichts sind geaen eine Anstalt, welche<lb/>
die politistrendcn Polen zerstreut. Die Bühne erfreut sich eines vorzüglichen<lb/>
Künstlerpersonals. Der Pole besitzt viel darstellendes Talent und gleicht darin<lb/>
völlig dem Franzosen. Er ist beweglich, unter allen Nuancen leidenschaftlich, ver¬<lb/>
steht es, sich in fremde Ideen und Gefühle zu versetzen, ist stets überzeugt, richtig<lb/>
aufgefaßt zu haben und Gutes zu leisten, und gewinnt dadurch die an Arroganz<lb/>
grenzende Dreistigkeit, welche Wesentliches zu einer guten dramatischen Darstellung<lb/>
mitwirkt. Die Tüchtigkeit der Schauspieler macht, daß das Theater eine Ver-<lb/>
sammlnngsstätte aller Theile der Warschauer Bevölkerung ist. Allein auch hier<lb/>
hat man bald die Erfahrung zu machen, daß das bürgerliche Vergnügen durch<lb/>
die politische Hauptrolle der Russe» verdorben werde und das Theater nicht ein<lb/>
bürgerliches Gesellschaftshaus, sondern eine politische Anstalt sei. Niemanden küm¬<lb/>
mert es, daß eine russische Offizierwache um Innern auf und abspaziert und sich<lb/>
eine starke Wache von gemeinen russischen Soldaten außerhalb in den Gängen<lb/>
allaugenblicklich vernehmen läßt, es kümmert auch Niemanden, daß die vorderen<lb/>
Räume des Parquet ausschließlich den Russen eingeräumt werden. Allein die Art<lb/>
und Weise, nach welcher der Director der Theater, welcher allemal ein russischer<lb/>
General ist, und die Censur die besten Stücke umarbeiten und zum Theil in rus¬<lb/>
sische Huldigungspoesien verwandeln, desgleichen die Art und Weise, mit welcher<lb/>
die angemaßten gesellschaftlichen Vorrechte der Russen unter den Schutz ihrer poli¬<lb/>
tischen Vorrechte gestellt worden, verderben den Genuß in hohem Grade. Die<lb/>
Beifalls- und Mißfallsäußcrungen stehen unter russischen Gesetzen. Gewissen<lb/>
Künstlern, welche sich die Ungunst des Fürsten, des General-Theaterdirectors,<lb/>
des General-Polizeimeisters oder eines andern der ersten Personen zugezogen ha¬<lb/>
ben, darf kein Beifall gespendet werden. Fünfzig bis sechzig geheime politische<lb/>
Agenten sind hier förmlich dazu angestellt, die ans russischer Seite ungewünschten<lb/>
Freudenäußerungen des Publikums durch Gezisch und Pfeifen zu unterdrücken.<lb/>
Auf diese Weise wird ein fortwährender störender, über alle Maßen ekelhafter<lb/>
Kampf veranlaßt. Eben so sind die Mißfallsänßerungen des Publikums ganz von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] herrlichen Schöpfung des Königs Stanislaus August, stattfinden, bieten des Un¬ gewöhnlichen nud Interessanten zu viel, als daß sich ihre Schilderung in dieses Kapitel aufnehmen ließe. Die beiden städtischen Theater befinden sich mitten in der Stadt dem Rath¬ haus gegenüber in einem riesenhaften Hause, welches die ganze eine Seite des Marktplatzes einnimmt, und sind allabendlich abwechselnngsweise, nur des Sonntags beide zugleich, geöffnet. Das „große Theater," besonders für Drama, Oper und Ballet bestimmt, saßt gegen 6000 Menschen, das „kleine Theater," ans welchem fast nur Lustspiele gegeben werden, kann über zweitausend Personen aufnehmen. Der Grund zu diesen beiden Theatern wurde vor der Revolution gelegt, die neue Negierung aber hat sie errichtet und somit bewiesen, daß ihr selbst vier Millionen Rubel, welche Bau und Einrichtung gekostet, nichts sind geaen eine Anstalt, welche die politistrendcn Polen zerstreut. Die Bühne erfreut sich eines vorzüglichen Künstlerpersonals. Der Pole besitzt viel darstellendes Talent und gleicht darin völlig dem Franzosen. Er ist beweglich, unter allen Nuancen leidenschaftlich, ver¬ steht es, sich in fremde Ideen und Gefühle zu versetzen, ist stets überzeugt, richtig aufgefaßt zu haben und Gutes zu leisten, und gewinnt dadurch die an Arroganz grenzende Dreistigkeit, welche Wesentliches zu einer guten dramatischen Darstellung mitwirkt. Die Tüchtigkeit der Schauspieler macht, daß das Theater eine Ver- sammlnngsstätte aller Theile der Warschauer Bevölkerung ist. Allein auch hier hat man bald die Erfahrung zu machen, daß das bürgerliche Vergnügen durch die politische Hauptrolle der Russe» verdorben werde und das Theater nicht ein bürgerliches Gesellschaftshaus, sondern eine politische Anstalt sei. Niemanden küm¬ mert es, daß eine russische Offizierwache um Innern auf und abspaziert und sich eine starke Wache von gemeinen russischen Soldaten außerhalb in den Gängen allaugenblicklich vernehmen läßt, es kümmert auch Niemanden, daß die vorderen Räume des Parquet ausschließlich den Russen eingeräumt werden. Allein die Art und Weise, nach welcher der Director der Theater, welcher allemal ein russischer General ist, und die Censur die besten Stücke umarbeiten und zum Theil in rus¬ sische Huldigungspoesien verwandeln, desgleichen die Art und Weise, mit welcher die angemaßten gesellschaftlichen Vorrechte der Russen unter den Schutz ihrer poli¬ tischen Vorrechte gestellt worden, verderben den Genuß in hohem Grade. Die Beifalls- und Mißfallsäußcrungen stehen unter russischen Gesetzen. Gewissen Künstlern, welche sich die Ungunst des Fürsten, des General-Theaterdirectors, des General-Polizeimeisters oder eines andern der ersten Personen zugezogen ha¬ ben, darf kein Beifall gespendet werden. Fünfzig bis sechzig geheime politische Agenten sind hier förmlich dazu angestellt, die ans russischer Seite ungewünschten Freudenäußerungen des Publikums durch Gezisch und Pfeifen zu unterdrücken. Auf diese Weise wird ein fortwährender störender, über alle Maßen ekelhafter Kampf veranlaßt. Eben so sind die Mißfallsänßerungen des Publikums ganz von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/493>, abgerufen am 05.02.2025.