Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.der Zustimmung der obersten Regio" der russischen Gesellschaft abhängig gemacht. Es bedarf bei diesen Mittheilungen nicht einmal der Erwähnung der geheimen Die Verschiedenheit der Schauplätze ändert natürlich die gesellschaftlichen Ver¬ Dies kaun den Leuten von echt bürgerlichem Gesellschaftssinn nnr unbehaglich der Zustimmung der obersten Regio» der russischen Gesellschaft abhängig gemacht. Es bedarf bei diesen Mittheilungen nicht einmal der Erwähnung der geheimen Die Verschiedenheit der Schauplätze ändert natürlich die gesellschaftlichen Ver¬ Dies kaun den Leuten von echt bürgerlichem Gesellschaftssinn nnr unbehaglich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279520"/> <p xml:id="ID_1675" prev="#ID_1674"> der Zustimmung der obersten Regio» der russischen Gesellschaft abhängig gemacht.<lb/> Einer Schauspielerin, welche sich des relativen Glückes erfreut, Maitresse eines<lb/> der vornehmsten russische» Männer zu sein, Mißfallen zu zischen, ist, wie Schlechtes<lb/> sie anch leiste, sehr gefährlich. Es ist vorgekommen, daß man sich so weit der<lb/> Scham entschlagen, Verordnungen folgender Art zu veröffentlichen: „Den künstle¬<lb/> rischen Leistungen der Schauspielerin, Fräulein Zeichen des Mißfallens zu<lb/> Theil werden zu lasse,', ist aufs strengste verboten nud zieht Gefängnißstrafe nach<lb/> sich." Eine solche Verordnung von der grellsten Art, die unter der Theater-<lb/> direction des jüngst verstorbenen General Rautenstrauch vorkam, hatte zur Folge,<lb/> daß eine geraume Zeit hindurch das Theater von dem polnischen, dentschen und<lb/> selbst jüdischen Publikum fast gänzlich gemieden wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1676"> Es bedarf bei diesen Mittheilungen nicht einmal der Erwähnung der geheimen<lb/> politischen Wächter, welche sich aus dem Theater ihre besten Werkstätte gemacht<lb/> haben, um zu erkennen, daß auch Thalicus Tempel in Warschau mehr zur Ver-<lb/> derbniß der Gesellschaft, als zu ihrer Herstellung und Veredlung dient. Deutsche,<lb/> Polen und Juden besuchen das Theater, weil die Leistungen der darstellenden<lb/> Künstler, welche sich auch selbst bei dem verdorbcnsten poetische» Werke Achtung<lb/> zu verschaffe» wisse», sie ziehen. Aber mit jeder Heimkehr tragen sie einen natür¬<lb/> lichen Groll im Herzen fort, der die Aeußerung, „ich möchte lieber gar nicht in<lb/> das Theater gehen," zu einer gar nicht seltenen macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1677"> Die Verschiedenheit der Schauplätze ändert natürlich die gesellschaftlichen Ver¬<lb/> hältnisse. Es kommt immer auf deu Antheil der Nüssen an. Je näher und ma߬<lb/> gebender ihre Betheiligung, desto politischer und unangenehmer ist die Gesellschaft,<lb/> je geringer ihr Antheil, desto mehr gewinnt sie an Bürgerlichkeit. Letzteres ist<lb/> vornehmlich bei einigen Volksfesten sichtbar, darunter das zur Feier des heiligen<lb/> Johannes als das hübscheste ein wenig umständlicher erwähnt zu werdeu verdient.<lb/> Es findet auf der zehn Minute» langen Schiffsbrücke statt, welche Warschau mit<lb/> der Stadt Praga verbindet. Von zehn Uhr Morgens an darf schon kein Wagen,<lb/> kein Pferd, kein Schubkarren mehr die Brücke passiren, und da die russischen hohen<lb/> Herrschaften, schon »in zu zeige», daß Rußland in Warschau eine Rolle spiele,<lb/> nicht ganz unbetheiligt bleiben möge», so ist Bauern und Juden, mit welchen in<lb/> Berühruiui kommen zu mögen, jene viel zu stolz sind, streng verwehrt die Brücke<lb/> und die Wege zu ihr zu betreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1678" next="#ID_1679"> Dies kaun den Leuten von echt bürgerlichem Gesellschaftssinn nnr unbehaglich<lb/> sein, allein die stolze Maßregel wird bald unbemerkbar, denn das Volk beginnt in<lb/> dichten Massen heran zu wallfahrten und bis gegen zwei Uhr Nachmittags ist die<lb/> ungeheure Brücke bis zum Erdrücken von Menschen vollgedrängt. Es sind Deutsche<lb/> und Polen. Das Atlaskleid gibt hier keine» Vorzug vor dem dünnen Kattun-<lb/> '.vckchcn, der Federhut keinen vor der bürgerlichen Bändermütze. Alles ist unter¬<lb/> mischt. Polnische Edelleute von der vornehmsten Classe befinden sich sogar in dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0494]
der Zustimmung der obersten Regio» der russischen Gesellschaft abhängig gemacht.
Einer Schauspielerin, welche sich des relativen Glückes erfreut, Maitresse eines
der vornehmsten russische» Männer zu sein, Mißfallen zu zischen, ist, wie Schlechtes
sie anch leiste, sehr gefährlich. Es ist vorgekommen, daß man sich so weit der
Scham entschlagen, Verordnungen folgender Art zu veröffentlichen: „Den künstle¬
rischen Leistungen der Schauspielerin, Fräulein Zeichen des Mißfallens zu
Theil werden zu lasse,', ist aufs strengste verboten nud zieht Gefängnißstrafe nach
sich." Eine solche Verordnung von der grellsten Art, die unter der Theater-
direction des jüngst verstorbenen General Rautenstrauch vorkam, hatte zur Folge,
daß eine geraume Zeit hindurch das Theater von dem polnischen, dentschen und
selbst jüdischen Publikum fast gänzlich gemieden wurde.
Es bedarf bei diesen Mittheilungen nicht einmal der Erwähnung der geheimen
politischen Wächter, welche sich aus dem Theater ihre besten Werkstätte gemacht
haben, um zu erkennen, daß auch Thalicus Tempel in Warschau mehr zur Ver-
derbniß der Gesellschaft, als zu ihrer Herstellung und Veredlung dient. Deutsche,
Polen und Juden besuchen das Theater, weil die Leistungen der darstellenden
Künstler, welche sich auch selbst bei dem verdorbcnsten poetische» Werke Achtung
zu verschaffe» wisse», sie ziehen. Aber mit jeder Heimkehr tragen sie einen natür¬
lichen Groll im Herzen fort, der die Aeußerung, „ich möchte lieber gar nicht in
das Theater gehen," zu einer gar nicht seltenen macht.
Die Verschiedenheit der Schauplätze ändert natürlich die gesellschaftlichen Ver¬
hältnisse. Es kommt immer auf deu Antheil der Nüssen an. Je näher und ma߬
gebender ihre Betheiligung, desto politischer und unangenehmer ist die Gesellschaft,
je geringer ihr Antheil, desto mehr gewinnt sie an Bürgerlichkeit. Letzteres ist
vornehmlich bei einigen Volksfesten sichtbar, darunter das zur Feier des heiligen
Johannes als das hübscheste ein wenig umständlicher erwähnt zu werdeu verdient.
Es findet auf der zehn Minute» langen Schiffsbrücke statt, welche Warschau mit
der Stadt Praga verbindet. Von zehn Uhr Morgens an darf schon kein Wagen,
kein Pferd, kein Schubkarren mehr die Brücke passiren, und da die russischen hohen
Herrschaften, schon »in zu zeige», daß Rußland in Warschau eine Rolle spiele,
nicht ganz unbetheiligt bleiben möge», so ist Bauern und Juden, mit welchen in
Berühruiui kommen zu mögen, jene viel zu stolz sind, streng verwehrt die Brücke
und die Wege zu ihr zu betreten.
Dies kaun den Leuten von echt bürgerlichem Gesellschaftssinn nnr unbehaglich
sein, allein die stolze Maßregel wird bald unbemerkbar, denn das Volk beginnt in
dichten Massen heran zu wallfahrten und bis gegen zwei Uhr Nachmittags ist die
ungeheure Brücke bis zum Erdrücken von Menschen vollgedrängt. Es sind Deutsche
und Polen. Das Atlaskleid gibt hier keine» Vorzug vor dem dünnen Kattun-
'.vckchcn, der Federhut keinen vor der bürgerlichen Bändermütze. Alles ist unter¬
mischt. Polnische Edelleute von der vornehmsten Classe befinden sich sogar in dem
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