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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Stande hier, dagegen sind alle Gänge von Russen erfüllt. Wenige Deutsche mischen
sich unter, nur diejenigen, welche aus der Gunst der russischen Partei materielle
Vortheile zu ziehen Gelegenheit haben. Man findet allenthalben, daß die Deut¬
schen, wo sie ihren freien Willen folgen können, sich lieber den Polen beigesellen.
Die Russen, meist in Aemtern stehend, können nicht zu jeder Zeit ihrem Vergnü¬
gen dienen. Dies benutzen die Polen so, daß sie sich in Wochentagen bald nach
der Mittagszeit in den beiden Gärten einfinden, mit ihnen zugleich ein großer
Theil des deutschen Publikums. Die Gesellschaft wimmelt jetzt ziemlich fröhlich
unter einander. Man sieht heitere Gesichter. Man hört scherzhaft grüßende Zu¬
rufe, Eins kennt das Andere nicht, aber man ist nicht von dem schlimmsten Mi߬
trauen erfüllt und sieht alles mit Wohlwollen an. Zwei Personen bleiben stehen,
um sich etwas mitzutheilen: sogleich bildet sich eine Gruppe, aus welcher sowohl
die deutsche als polnische Sprache hervortönt. Die Personen dieser Gruppe haben
sich nie gesehen, allein jetzt sind sie alle untereinander befreundet, die Gruppe
verwandelt sich sogleich in eine Gesellschaft, welche durch freundliche Unterhaltung
lange zusammengehalten wird.

Nadel die sechste Stunde, der Schluß der Amtszeit, so beginnen die beiden
Gärten sich zu entvölkern, und schlägt es sechs, so sieht man sicherlich in ihnen
nichts weiter als einige kranke Personen und Kindermädchen mit ihren kleinen
Heerden. Alsbald aber findet sich ein neues Publikum ein. Es siud Herren in
schwarzen Franken mit Ordensbändern in den Knopflöchern, ferner in stolzen Osfi-
zieruniformen und Damen mit gelblichen Gesichtern in rauschendem Atlas mit
Petersburger Fächern und Medaillons, ans welchen die Madonna der griechischen
Kirche hervorblickt. Alles, was man jetzt steht, brüstet sich entsetzlich und zeigt
sich gewaltsam eingespannt in die steifste Form. Frontreihen, die durch die ver¬
schlungenen Aerme zusammengehalten sind, erblickt man nirgends, wie vor sechs
Uhr. In gemessenem Schritt schreitet alles ans und nieder in der breiten, von
hohen Kastanien beschatteten Hauptallee. In die schmäleren Seitenwege, welche
durch die reizendsten Anlagen führen, begibt sich Niemand. Es scheint, als halte
eine Art von Stolz ab, die schmäleren Wege zu betreten. Die meisten Personen
sieht man ganz allein auf und niederschreiteu. Oefters gehen zwei Herren mit
einander, drei aber scheint schon über das Maß der Etiquette zu gehen. Die
Damen wandeln am Arme ihrer Eheherrn. Aber niemals erblickt man einen
Herrn von mehrern Damen begleitet, niemals mehrere Damen allein, und begleitet
ein Herr ein Ehepaar, so befindet er sich streng auf der männlichen Seite. Dieses
Publikum ist, wie einem schon die französische Sprache mit russischem Accent tuud-
thut, das russische. Es befindet sich jetzt allein in den Gärten. Mau bemerkt,
daß das Bewußtsein, der größten Nation anzugehören, zu der Meinung geführt
habe, ,nan müsse anch den vornehmsten großartigsten Sittentact beobachten. Diese
Meinung bringt die lächerlichsten Erscheinungen hervor. Zugleich aber bemerkt
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Stande hier, dagegen sind alle Gänge von Russen erfüllt. Wenige Deutsche mischen
sich unter, nur diejenigen, welche aus der Gunst der russischen Partei materielle
Vortheile zu ziehen Gelegenheit haben. Man findet allenthalben, daß die Deut¬
schen, wo sie ihren freien Willen folgen können, sich lieber den Polen beigesellen.
Die Russen, meist in Aemtern stehend, können nicht zu jeder Zeit ihrem Vergnü¬
gen dienen. Dies benutzen die Polen so, daß sie sich in Wochentagen bald nach
der Mittagszeit in den beiden Gärten einfinden, mit ihnen zugleich ein großer
Theil des deutschen Publikums. Die Gesellschaft wimmelt jetzt ziemlich fröhlich
unter einander. Man sieht heitere Gesichter. Man hört scherzhaft grüßende Zu¬
rufe, Eins kennt das Andere nicht, aber man ist nicht von dem schlimmsten Mi߬
trauen erfüllt und sieht alles mit Wohlwollen an. Zwei Personen bleiben stehen,
um sich etwas mitzutheilen: sogleich bildet sich eine Gruppe, aus welcher sowohl
die deutsche als polnische Sprache hervortönt. Die Personen dieser Gruppe haben
sich nie gesehen, allein jetzt sind sie alle untereinander befreundet, die Gruppe
verwandelt sich sogleich in eine Gesellschaft, welche durch freundliche Unterhaltung
lange zusammengehalten wird.

Nadel die sechste Stunde, der Schluß der Amtszeit, so beginnen die beiden
Gärten sich zu entvölkern, und schlägt es sechs, so sieht man sicherlich in ihnen
nichts weiter als einige kranke Personen und Kindermädchen mit ihren kleinen
Heerden. Alsbald aber findet sich ein neues Publikum ein. Es siud Herren in
schwarzen Franken mit Ordensbändern in den Knopflöchern, ferner in stolzen Osfi-
zieruniformen und Damen mit gelblichen Gesichtern in rauschendem Atlas mit
Petersburger Fächern und Medaillons, ans welchen die Madonna der griechischen
Kirche hervorblickt. Alles, was man jetzt steht, brüstet sich entsetzlich und zeigt
sich gewaltsam eingespannt in die steifste Form. Frontreihen, die durch die ver¬
schlungenen Aerme zusammengehalten sind, erblickt man nirgends, wie vor sechs
Uhr. In gemessenem Schritt schreitet alles ans und nieder in der breiten, von
hohen Kastanien beschatteten Hauptallee. In die schmäleren Seitenwege, welche
durch die reizendsten Anlagen führen, begibt sich Niemand. Es scheint, als halte
eine Art von Stolz ab, die schmäleren Wege zu betreten. Die meisten Personen
sieht man ganz allein auf und niederschreiteu. Oefters gehen zwei Herren mit
einander, drei aber scheint schon über das Maß der Etiquette zu gehen. Die
Damen wandeln am Arme ihrer Eheherrn. Aber niemals erblickt man einen
Herrn von mehrern Damen begleitet, niemals mehrere Damen allein, und begleitet
ein Herr ein Ehepaar, so befindet er sich streng auf der männlichen Seite. Dieses
Publikum ist, wie einem schon die französische Sprache mit russischem Accent tuud-
thut, das russische. Es befindet sich jetzt allein in den Gärten. Mau bemerkt,
daß das Bewußtsein, der größten Nation anzugehören, zu der Meinung geführt
habe, ,nan müsse anch den vornehmsten großartigsten Sittentact beobachten. Diese
Meinung bringt die lächerlichsten Erscheinungen hervor. Zugleich aber bemerkt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/491>, abgerufen am 05.02.2025.