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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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zeugen können, daß Preußen den richtige" Weg zur Verständigung eingeschlagen
hat. Ich kann mich darin täuschen, denn möglicher Weise hätte Oestreich auch den
richtigen Anforderungen den Eigensinn seines bloßen Negirens entgegengesetzt; aber
dennoch wird der Vorwurf gegen die preußische Regierung, daß sie deu Versuch
unterlassen hat, nicht aufgehoben.

Der Gegenstand der Verhandlungen mußte sein l) Scheidung der östreichi¬
schen und preußischen Hegemonie nach einer bestimmten geographischen Grenze,
2) eine Form der Einigung beider Staatsgebiete bis zu einer gewissen Grenze.
Nach meiner Ansicht ist die preußische Regierung in dem ersten Punkt in ihren
Ansprüchen, im zweiten in ihrer Nachgiebigkeit zu weit gegaugen.

Das zweite wird mir Jedermann zugeben; die Regierung selber hat es indi-
rect anerkannt. Das Vereinsproject, welches Canitz aus Wien brachte, hätte all
die Vortheile, welche aus dem "engen Bundesstaat" resultiren sollten, wieder auf¬
gehoben. Gemeinsame Gesandten, von zwei verschiedenen Staaten bevollmächtigt,
sind eine Lonttt^ieüo in illhscto. Zur Ehre der preußischen Regierung kann ich
Nur hoffen, daß es ihr mit diesem Project nicht Ernst war, daß sie eine abschlä¬
gige Antwort voraussetzte. Aber wozu daun unterhandeln?

Was das erste betrifft, so spricht die preußische Regierung zwar immer von
dem Festhalten an dem alten Bunde, der dnrch den engen Bund nicht gestört
werden sollte, aber sie unterläßt es, den Umfang des letzteren genau zu bestim¬
men , sie setzt im Stillen immer voraus, daß derselbe mit dem ganzen Deutschland,
Oestreich ausgenommen, zusammenfallen müsse. Warum hat die Regierung ihrem
alten Alliirten nicht offen folgende Alternative gestellt?

"Preußen kann die souveräne Existenz verschiedener kleiner und mittlerer Staa¬
ten, durch die es zersplittert und in aller seiner Thätigkeit gehemmt wird, auf die
Loge nicht dulden. Der Augenblick ist gekommen, wo durch Auflösung der
alten, unvernünftige" Verhältnisse die Bildung eines neuen, naturgemäßen, mög¬
lich geworden ist. Preußen will diesen Augenblick benutzen. Es will in denjeni¬
gen Staaten, die ihrer Lage nach mit ihm in enger Verbindung stehn, eine durch
föderative und constitutionelle Formen beschränkte Hegemonie ausüben. Es über¬
aßt Oestreich, mit den Staaten, welche zu ihm ein ähnliches Verhältniß cinnch-
wen, dasselbe zu thun, und fordert es auf, sich über die Demarkationslinie zu
verständigen. Beide Staaten dürfen sich uur eine moralische Unterstützung leisten,
sie dürfen nur offen erklären, daß sie es so wollen; im übrigen bleibe alles der
friedlichen Vereinigung überlassen. Was den weitern Bund betrifft, so
garantiren sich Oestreich und Preußen in ihrem nud ihrer Verbündeten Namen
die Integrität der beiderseitigen Staatsgebiete.

Will Oestreich darauf nicht eingehn, so sieht sich Preußen in der Lage, defi¬
nitiv aus dem Bunde von 1815 aufzutreten, und lediglich seine eigenen In¬
teressen zu befragen."


zeugen können, daß Preußen den richtige» Weg zur Verständigung eingeschlagen
hat. Ich kann mich darin täuschen, denn möglicher Weise hätte Oestreich auch den
richtigen Anforderungen den Eigensinn seines bloßen Negirens entgegengesetzt; aber
dennoch wird der Vorwurf gegen die preußische Regierung, daß sie deu Versuch
unterlassen hat, nicht aufgehoben.

Der Gegenstand der Verhandlungen mußte sein l) Scheidung der östreichi¬
schen und preußischen Hegemonie nach einer bestimmten geographischen Grenze,
2) eine Form der Einigung beider Staatsgebiete bis zu einer gewissen Grenze.
Nach meiner Ansicht ist die preußische Regierung in dem ersten Punkt in ihren
Ansprüchen, im zweiten in ihrer Nachgiebigkeit zu weit gegaugen.

Das zweite wird mir Jedermann zugeben; die Regierung selber hat es indi-
rect anerkannt. Das Vereinsproject, welches Canitz aus Wien brachte, hätte all
die Vortheile, welche aus dem „engen Bundesstaat" resultiren sollten, wieder auf¬
gehoben. Gemeinsame Gesandten, von zwei verschiedenen Staaten bevollmächtigt,
sind eine Lonttt^ieüo in illhscto. Zur Ehre der preußischen Regierung kann ich
Nur hoffen, daß es ihr mit diesem Project nicht Ernst war, daß sie eine abschlä¬
gige Antwort voraussetzte. Aber wozu daun unterhandeln?

Was das erste betrifft, so spricht die preußische Regierung zwar immer von
dem Festhalten an dem alten Bunde, der dnrch den engen Bund nicht gestört
werden sollte, aber sie unterläßt es, den Umfang des letzteren genau zu bestim¬
men , sie setzt im Stillen immer voraus, daß derselbe mit dem ganzen Deutschland,
Oestreich ausgenommen, zusammenfallen müsse. Warum hat die Regierung ihrem
alten Alliirten nicht offen folgende Alternative gestellt?

„Preußen kann die souveräne Existenz verschiedener kleiner und mittlerer Staa¬
ten, durch die es zersplittert und in aller seiner Thätigkeit gehemmt wird, auf die
Loge nicht dulden. Der Augenblick ist gekommen, wo durch Auflösung der
alten, unvernünftige» Verhältnisse die Bildung eines neuen, naturgemäßen, mög¬
lich geworden ist. Preußen will diesen Augenblick benutzen. Es will in denjeni¬
gen Staaten, die ihrer Lage nach mit ihm in enger Verbindung stehn, eine durch
föderative und constitutionelle Formen beschränkte Hegemonie ausüben. Es über¬
aßt Oestreich, mit den Staaten, welche zu ihm ein ähnliches Verhältniß cinnch-
wen, dasselbe zu thun, und fordert es auf, sich über die Demarkationslinie zu
verständigen. Beide Staaten dürfen sich uur eine moralische Unterstützung leisten,
sie dürfen nur offen erklären, daß sie es so wollen; im übrigen bleibe alles der
friedlichen Vereinigung überlassen. Was den weitern Bund betrifft, so
garantiren sich Oestreich und Preußen in ihrem nud ihrer Verbündeten Namen
die Integrität der beiderseitigen Staatsgebiete.

Will Oestreich darauf nicht eingehn, so sieht sich Preußen in der Lage, defi¬
nitiv aus dem Bunde von 1815 aufzutreten, und lediglich seine eigenen In¬
teressen zu befragen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/471>, abgerufen am 05.02.2025.