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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Vielleicht hätte damals vor Beendigung des ungarischen Kriegs -- eine
so offene Sprache Oestreichs zu einer bestimmten, verständigen Erklärung ge¬
trieben. Ju diesem Falle wäre die friedliche Verständigung mit den übrigen un¬
zweifelhaft gewesen. Vielleicht hätte Oestreich in seinem eignen Interesse es für
passend gefunden, daß auch Süddeutschland dem Bundesstaat beiträte; vielleicht
hätte es für dasselbe vorläufig eine mittlere Stellung gefordert, d. h. ein Bünd-
niß desselben mit Oestreich ohne constitutionelle Formen. Auf alles dieses hätte
Preußen eingehn können.

Ich sage vielleicht. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls war es des Versuches
werth. Wie die Sachen jetzt stehen, ist der günstigste Augenblick versäumt, und
ein klares Bild von dem Zustande, der gewonnen werden soll, nirgends vorhan¬
den. Daß mit der Zeit die vernünftige Idee, die sich ebenso in dem Gagern'schen
Progamm wie in dem Berliner Entwurf, in beiden freilich gebrochen aussprach,
Realität finden wird, davon bin ich freilich überzeugt. Für den Augenblick aber
kann ich kaum darauf rechnen, daß sie durch das Votum der Kammern wesentlich
gefordert werden sollte.

Ju dem Urtheil der Kammern scheiden sich folgende Gruppen. 1) Die Polen.
Die Sache gehe sie nichts an, die Deutschen mögen es unter einander ausmachen.
2) Die Ultramontanen, bestehend aus drei Individuen, den einzigen Repräsentan¬
ten der Großdeutschen Partei in beiden Kammern. Der Plan der Negierung ist
ein Attentat gegen das angeborene Recht der Häuser Oestreich und Baiern,
und namentlich gegen den Papst. Die Legitimisten, >4 in der ersten, 75 in
der zweiten Kammer. Eigentlich gefallen uns die Schritte des Ministeriums in der
deutschen Frage ganz und gar nicht, sie coquettiren viel zu sehr mit dem Libera¬
lismus und dem Zeitgeiste, sie setzen sich viel zu sehr gegen Oestreich in Oppo¬
sition, das als Hort der Legitimität verehrt werden muß, Aber das Ministerium
hat die Concessionen an den Liberalismus, die ihm immer nur die Noth des Au¬
genblicks abdrang, zur rechten Zeit stets so geschickt zurückgenommen, daß wir fest
davon überzeugt sind, es werde diesmal ähnlich verfahren. In dieser Ueberzeu¬
gung geben wir ihm eine unbedingte Vertrauensadresse, verwahren uns aber ent¬
schieden dagegen, es durch dieselbe auf seinem bisherigen Wege festhalten zu wol¬
len. -- Herr v. Gerlach, Stahl, v. Bismark-Schönhausen haben das offen ausge¬
sprochen, letzterer mit der Schroffheit, die seiner Natur eigen ist; die Andern
B. Graf Strachwitz) haben sich zwar gegen die Conseguenzen verwahrt, weil
es wahrhaft vornehmen Leuten nicht geziemt, sich anf Consequenzen einzu¬
lassen, aber sie sind doch zuletzt auf dasselbe herausgekommen. 4) Die streng Mi¬
nisteriellen in beiden Kammern, bei weitem die große Majorität. Was Gott thut,
das ist wohlgethan! Das Ministerium muß am besten wissen, was es thut. Wir
gebe" ihm unsere Zustimmung zu seinen bisherigen Schritten, obgleich das ganz
überflüssig ist (Scherer) und wir ertheilen ihm Vollmacht, die Reichsverfassung


Vielleicht hätte damals vor Beendigung des ungarischen Kriegs — eine
so offene Sprache Oestreichs zu einer bestimmten, verständigen Erklärung ge¬
trieben. Ju diesem Falle wäre die friedliche Verständigung mit den übrigen un¬
zweifelhaft gewesen. Vielleicht hätte Oestreich in seinem eignen Interesse es für
passend gefunden, daß auch Süddeutschland dem Bundesstaat beiträte; vielleicht
hätte es für dasselbe vorläufig eine mittlere Stellung gefordert, d. h. ein Bünd-
niß desselben mit Oestreich ohne constitutionelle Formen. Auf alles dieses hätte
Preußen eingehn können.

Ich sage vielleicht. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls war es des Versuches
werth. Wie die Sachen jetzt stehen, ist der günstigste Augenblick versäumt, und
ein klares Bild von dem Zustande, der gewonnen werden soll, nirgends vorhan¬
den. Daß mit der Zeit die vernünftige Idee, die sich ebenso in dem Gagern'schen
Progamm wie in dem Berliner Entwurf, in beiden freilich gebrochen aussprach,
Realität finden wird, davon bin ich freilich überzeugt. Für den Augenblick aber
kann ich kaum darauf rechnen, daß sie durch das Votum der Kammern wesentlich
gefordert werden sollte.

Ju dem Urtheil der Kammern scheiden sich folgende Gruppen. 1) Die Polen.
Die Sache gehe sie nichts an, die Deutschen mögen es unter einander ausmachen.
2) Die Ultramontanen, bestehend aus drei Individuen, den einzigen Repräsentan¬
ten der Großdeutschen Partei in beiden Kammern. Der Plan der Negierung ist
ein Attentat gegen das angeborene Recht der Häuser Oestreich und Baiern,
und namentlich gegen den Papst. Die Legitimisten, >4 in der ersten, 75 in
der zweiten Kammer. Eigentlich gefallen uns die Schritte des Ministeriums in der
deutschen Frage ganz und gar nicht, sie coquettiren viel zu sehr mit dem Libera¬
lismus und dem Zeitgeiste, sie setzen sich viel zu sehr gegen Oestreich in Oppo¬
sition, das als Hort der Legitimität verehrt werden muß, Aber das Ministerium
hat die Concessionen an den Liberalismus, die ihm immer nur die Noth des Au¬
genblicks abdrang, zur rechten Zeit stets so geschickt zurückgenommen, daß wir fest
davon überzeugt sind, es werde diesmal ähnlich verfahren. In dieser Ueberzeu¬
gung geben wir ihm eine unbedingte Vertrauensadresse, verwahren uns aber ent¬
schieden dagegen, es durch dieselbe auf seinem bisherigen Wege festhalten zu wol¬
len. — Herr v. Gerlach, Stahl, v. Bismark-Schönhausen haben das offen ausge¬
sprochen, letzterer mit der Schroffheit, die seiner Natur eigen ist; die Andern
B. Graf Strachwitz) haben sich zwar gegen die Conseguenzen verwahrt, weil
es wahrhaft vornehmen Leuten nicht geziemt, sich anf Consequenzen einzu¬
lassen, aber sie sind doch zuletzt auf dasselbe herausgekommen. 4) Die streng Mi¬
nisteriellen in beiden Kammern, bei weitem die große Majorität. Was Gott thut,
das ist wohlgethan! Das Ministerium muß am besten wissen, was es thut. Wir
gebe» ihm unsere Zustimmung zu seinen bisherigen Schritten, obgleich das ganz
überflüssig ist (Scherer) und wir ertheilen ihm Vollmacht, die Reichsverfassung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/472>, abgerufen am 05.02.2025.