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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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militärische Lage des Bundesstaats ist günstiger, wenn er Süddeutschland nicht
in seinen Rayon ziehen darf. Er kann einen guten Theil seiner Kräfte ans die
Flotte werfen, mit der er im Lans der Zeiten Dänemark und Niederland in sein
politisches System zu zwingen hat; er kann Oestreich einen Theil der französischen
Grenze überlassen. Seine Macht wird concentrirt, während sie durch das Hin¬
einziehe" Süddeutschlands sich zersplittert.

Für den Anschluß sprechen eigentlich nur negative, aber doch erhebliche
Gründe. Einmal wird dadurch den norddeutschen Mittelstaaten der Anschluß an
Preußen leichter gemacht. Zweitens ist es sehr fraglich, ob es Oestreich mit sei¬
nem Interesse vereinbar hält, in eine nähere Einigung mit diesen Staaten zu
treten, und umgekehrt. Die noch immer fortdauernde Grenzsperre spricht wenig¬
stens dagegen.

Von diesem Gesichtspunkt aus kann ich die Verhandlungen der preußischen
Regierung nicht unbedingt billigen. Um einem möglichen Mißverständniß vorzu¬
beugen, muß ich aber vorher noch eine andere Betrachtung einschieben.

Daß die Annahme der Kaiserwürde von Seiten des Königs von Preußen der
kritische Augenblick in der Geschichte Preußens war, hat wohl Jeder gefühlt. Ein
jeder Preuße wird im Kleinen in sich den Kampf und die Zweifel durchgemacht
haben, welche die Entscheidung des Königs so lange verzögerten. Für die An¬
nahme sprach die Erkenntniß, daß der Augenblick eines großen Enthusiasmus, der
mit einem Sprunge die Hindernisse überschreitet, die sonst eine Arbeit von Jahr"
Hunderten nicht hinwegräumen, nicht wieder käme. Dagegen die Gefahr einer
Auflösung derjenigen Einrichtung, die bisher Preußens Größe ausgemacht, der monar¬
chisch-militärischen Concentration, in einem Augenblicke wo ein Bruch mit Rußland und
Oestreich drohte; eine Gefahr, welche durch die Persönlichkeit des Königs noch ge¬
steigert wurde. Dennoch habe ich in der Hitze des Augenblicks mich für die An¬
nahme entschieden, und kann diese Meinung anch jetzt nicht zurücknehmen. Ich
halte es noch für möglich, daß damals dnrch ein liberales Ministerium eine voll¬
ständige Versöhnung mit den gemäßigte" Demokraten in ganz Deutschland, ohne
Aufopferung der eben erst wiedergewonnenen militärischen Kraft erreicht wurde.

Allein diese Reflexionen gehören der Geschichte an; praktisch haben sie keine
Bedeutung mehr. Nachdem Preußen mit der Revolution auch in ihrem gemäßig¬
ten Ausdruck definitiv gebrochen hatte, nachdem es eben dadurch auch in der
Reaction gegen seine eigene constitutionelle Entwickelung zu einem sehr bedenk¬
lichen Schritt -- der einseitigen Veränderung des Wahlgesetzes -- getrieben war,
mußte seine Aufgabe die sein, im Einverständniß mit Oestreich die deutschen An¬
gelegenheiten zu ordnen -- freilich nicht in der Art der altpreußischen Politik,
sondern wie es dem Gleichmächtigen zukommt. Damals war aber Preußen we¬
nigstens gleichmächtig.

Die Verhandlungen mit dem Wiener Cabinet haben mich nicht über-


militärische Lage des Bundesstaats ist günstiger, wenn er Süddeutschland nicht
in seinen Rayon ziehen darf. Er kann einen guten Theil seiner Kräfte ans die
Flotte werfen, mit der er im Lans der Zeiten Dänemark und Niederland in sein
politisches System zu zwingen hat; er kann Oestreich einen Theil der französischen
Grenze überlassen. Seine Macht wird concentrirt, während sie durch das Hin¬
einziehe» Süddeutschlands sich zersplittert.

Für den Anschluß sprechen eigentlich nur negative, aber doch erhebliche
Gründe. Einmal wird dadurch den norddeutschen Mittelstaaten der Anschluß an
Preußen leichter gemacht. Zweitens ist es sehr fraglich, ob es Oestreich mit sei¬
nem Interesse vereinbar hält, in eine nähere Einigung mit diesen Staaten zu
treten, und umgekehrt. Die noch immer fortdauernde Grenzsperre spricht wenig¬
stens dagegen.

Von diesem Gesichtspunkt aus kann ich die Verhandlungen der preußischen
Regierung nicht unbedingt billigen. Um einem möglichen Mißverständniß vorzu¬
beugen, muß ich aber vorher noch eine andere Betrachtung einschieben.

Daß die Annahme der Kaiserwürde von Seiten des Königs von Preußen der
kritische Augenblick in der Geschichte Preußens war, hat wohl Jeder gefühlt. Ein
jeder Preuße wird im Kleinen in sich den Kampf und die Zweifel durchgemacht
haben, welche die Entscheidung des Königs so lange verzögerten. Für die An¬
nahme sprach die Erkenntniß, daß der Augenblick eines großen Enthusiasmus, der
mit einem Sprunge die Hindernisse überschreitet, die sonst eine Arbeit von Jahr«
Hunderten nicht hinwegräumen, nicht wieder käme. Dagegen die Gefahr einer
Auflösung derjenigen Einrichtung, die bisher Preußens Größe ausgemacht, der monar¬
chisch-militärischen Concentration, in einem Augenblicke wo ein Bruch mit Rußland und
Oestreich drohte; eine Gefahr, welche durch die Persönlichkeit des Königs noch ge¬
steigert wurde. Dennoch habe ich in der Hitze des Augenblicks mich für die An¬
nahme entschieden, und kann diese Meinung anch jetzt nicht zurücknehmen. Ich
halte es noch für möglich, daß damals dnrch ein liberales Ministerium eine voll¬
ständige Versöhnung mit den gemäßigte» Demokraten in ganz Deutschland, ohne
Aufopferung der eben erst wiedergewonnenen militärischen Kraft erreicht wurde.

Allein diese Reflexionen gehören der Geschichte an; praktisch haben sie keine
Bedeutung mehr. Nachdem Preußen mit der Revolution auch in ihrem gemäßig¬
ten Ausdruck definitiv gebrochen hatte, nachdem es eben dadurch auch in der
Reaction gegen seine eigene constitutionelle Entwickelung zu einem sehr bedenk¬
lichen Schritt — der einseitigen Veränderung des Wahlgesetzes — getrieben war,
mußte seine Aufgabe die sein, im Einverständniß mit Oestreich die deutschen An¬
gelegenheiten zu ordnen — freilich nicht in der Art der altpreußischen Politik,
sondern wie es dem Gleichmächtigen zukommt. Damals war aber Preußen we¬
nigstens gleichmächtig.

Die Verhandlungen mit dem Wiener Cabinet haben mich nicht über-


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[0470] militärische Lage des Bundesstaats ist günstiger, wenn er Süddeutschland nicht in seinen Rayon ziehen darf. Er kann einen guten Theil seiner Kräfte ans die Flotte werfen, mit der er im Lans der Zeiten Dänemark und Niederland in sein politisches System zu zwingen hat; er kann Oestreich einen Theil der französischen Grenze überlassen. Seine Macht wird concentrirt, während sie durch das Hin¬ einziehe» Süddeutschlands sich zersplittert. Für den Anschluß sprechen eigentlich nur negative, aber doch erhebliche Gründe. Einmal wird dadurch den norddeutschen Mittelstaaten der Anschluß an Preußen leichter gemacht. Zweitens ist es sehr fraglich, ob es Oestreich mit sei¬ nem Interesse vereinbar hält, in eine nähere Einigung mit diesen Staaten zu treten, und umgekehrt. Die noch immer fortdauernde Grenzsperre spricht wenig¬ stens dagegen. Von diesem Gesichtspunkt aus kann ich die Verhandlungen der preußischen Regierung nicht unbedingt billigen. Um einem möglichen Mißverständniß vorzu¬ beugen, muß ich aber vorher noch eine andere Betrachtung einschieben. Daß die Annahme der Kaiserwürde von Seiten des Königs von Preußen der kritische Augenblick in der Geschichte Preußens war, hat wohl Jeder gefühlt. Ein jeder Preuße wird im Kleinen in sich den Kampf und die Zweifel durchgemacht haben, welche die Entscheidung des Königs so lange verzögerten. Für die An¬ nahme sprach die Erkenntniß, daß der Augenblick eines großen Enthusiasmus, der mit einem Sprunge die Hindernisse überschreitet, die sonst eine Arbeit von Jahr« Hunderten nicht hinwegräumen, nicht wieder käme. Dagegen die Gefahr einer Auflösung derjenigen Einrichtung, die bisher Preußens Größe ausgemacht, der monar¬ chisch-militärischen Concentration, in einem Augenblicke wo ein Bruch mit Rußland und Oestreich drohte; eine Gefahr, welche durch die Persönlichkeit des Königs noch ge¬ steigert wurde. Dennoch habe ich in der Hitze des Augenblicks mich für die An¬ nahme entschieden, und kann diese Meinung anch jetzt nicht zurücknehmen. Ich halte es noch für möglich, daß damals dnrch ein liberales Ministerium eine voll¬ ständige Versöhnung mit den gemäßigte» Demokraten in ganz Deutschland, ohne Aufopferung der eben erst wiedergewonnenen militärischen Kraft erreicht wurde. Allein diese Reflexionen gehören der Geschichte an; praktisch haben sie keine Bedeutung mehr. Nachdem Preußen mit der Revolution auch in ihrem gemäßig¬ ten Ausdruck definitiv gebrochen hatte, nachdem es eben dadurch auch in der Reaction gegen seine eigene constitutionelle Entwickelung zu einem sehr bedenk¬ lichen Schritt — der einseitigen Veränderung des Wahlgesetzes — getrieben war, mußte seine Aufgabe die sein, im Einverständniß mit Oestreich die deutschen An¬ gelegenheiten zu ordnen — freilich nicht in der Art der altpreußischen Politik, sondern wie es dem Gleichmächtigen zukommt. Damals war aber Preußen we¬ nigstens gleichmächtig. Die Verhandlungen mit dem Wiener Cabinet haben mich nicht über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/470>, abgerufen am 11.02.2025.