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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ausschuß der Nationalgarde nehmen wollte. Eine Stnrmpetition (15. Mai) be¬
wirkte, da die Negierung es sich zum Gesetz gemacht zu haben schien, Emeuten kei¬
nen Widerstand entgegenzusetzen, eine zweite Revolution. Der Reichstag sollte nun
ein constituirender sein, das Wahlgesetz revidirt und die erste Kammer entfernt
werden. Die Nationalgarde sollte gemeinschaftlich mit dem Militär die Stadtthore
und die Bürgerwachen besetzen. Die Nachricht von der Entfernung des Kaisers
aus Wien (18. Mal) nach Innsbruck, rief unter den Bürgern eine lebhafte Reaktion
hervor, das Ministerium, welches sich durch Wessen berg ergänzte (20. Mai),
fand wieder Sympathien, und konnte daran denken, das Centrum der Bewegung,
die akademische Legion aufzulösen. Als aber Colloredo diese Maßregel militärisch
ins Werk setzen wollte (26. Mai), erhoben sich in allen Straßen Barrikaden, das
Militär wurde entfernt, die Concessionen des 15. Mai in allen Punkten bestätigt.
Es bildete sich ein Sicherheitsausschuß (nnter Fischoff's Vorsitz) ans Studenten und
Bürgern, und dieser leitete seitdem eigentlich die Negierung.

Die Wiener waren deutsch gesinnt; die Tricolore war Zeichen der Freiheit,
aber mit einer nationalen Nuance. Die Ungarn gingen darin mit den Demokra¬
ten Hand in Hand; eine Auflösung Oestreichs schien "nvermeidlich. Anders war
die Stimmung der Slaven, die ihr numerisches Uebergewicht uur erhalten zu kön¬
nen glaubten, wenn der Kaiserstaat in seiner Integrität erhalten und möglichst
vom deutschen Einflüsse gelöst ward. Um gemeinsam operiren zu können, wurde
(4. Mai) ein allgemeiner Slavencongreß nach Prag einberufen und dieser am
1. Juni eröffnet, nachdem sich im Namen des Kaisers (29. Mai) eine provisorische
Regierung unter Graf Leo Thun gebildet hatte. Die versammelten Nationen --
viele Polen und auch einige Russen waren dabei -- conspirirten mit einiger Mühe,
da sie einander nicht verstanden; in Ermangelung eines bessern kamen sie endlich
darauf, Barrikaden zu errichten (12. Juni, Pfingstwoche); der Commandant, Fürst
Windischgrätz mußte sich auf den Hradschin zurückziehn; von hier aus bombar-
dirte er die Stadt (15. Juni), und machte nach nicht erheblichem Widerstand
der blutigen Comödie ein Ende (17. Juni). Die Wiener Demokraten wußten nicht
recht, auf welche Seite sie sich schlagen sollten, hier die nationale Sympathie,
dort die principielle; doch entschieden sie sich endlich für das Princip der Barri¬
kaden und gegen den Tyrannen Windischgrätz.

Ernsthafter waren die Bewegungen der Südslaven, weil es sich hier um ein
unmittelbares Interesse handelte. Joseph Freiherr v. Jellachich, der auf
die Veranlassung einer kroatischen Deputation zum Baums von Kroatien und Sla¬
vonien ernannt war, leugnete die Gewalt des ungarischen Ministeriums über seine
Provinzen, und weigerte sich, eine andere Oberhoheit anzuerkennen, als die Oest¬
reichs. Nachdem ihn der Palatin vergebens aufgefordert, zu seiner Pflicht zurück¬
zukehren, wurde General Hrabowski (Mitte Mai) als bevollmächtigter Commissarius
nach Agram geschickt, um den Barus allenfalls zu entsetzen. Seine Sendung hatte


ausschuß der Nationalgarde nehmen wollte. Eine Stnrmpetition (15. Mai) be¬
wirkte, da die Negierung es sich zum Gesetz gemacht zu haben schien, Emeuten kei¬
nen Widerstand entgegenzusetzen, eine zweite Revolution. Der Reichstag sollte nun
ein constituirender sein, das Wahlgesetz revidirt und die erste Kammer entfernt
werden. Die Nationalgarde sollte gemeinschaftlich mit dem Militär die Stadtthore
und die Bürgerwachen besetzen. Die Nachricht von der Entfernung des Kaisers
aus Wien (18. Mal) nach Innsbruck, rief unter den Bürgern eine lebhafte Reaktion
hervor, das Ministerium, welches sich durch Wessen berg ergänzte (20. Mai),
fand wieder Sympathien, und konnte daran denken, das Centrum der Bewegung,
die akademische Legion aufzulösen. Als aber Colloredo diese Maßregel militärisch
ins Werk setzen wollte (26. Mai), erhoben sich in allen Straßen Barrikaden, das
Militär wurde entfernt, die Concessionen des 15. Mai in allen Punkten bestätigt.
Es bildete sich ein Sicherheitsausschuß (nnter Fischoff's Vorsitz) ans Studenten und
Bürgern, und dieser leitete seitdem eigentlich die Negierung.

Die Wiener waren deutsch gesinnt; die Tricolore war Zeichen der Freiheit,
aber mit einer nationalen Nuance. Die Ungarn gingen darin mit den Demokra¬
ten Hand in Hand; eine Auflösung Oestreichs schien »nvermeidlich. Anders war
die Stimmung der Slaven, die ihr numerisches Uebergewicht uur erhalten zu kön¬
nen glaubten, wenn der Kaiserstaat in seiner Integrität erhalten und möglichst
vom deutschen Einflüsse gelöst ward. Um gemeinsam operiren zu können, wurde
(4. Mai) ein allgemeiner Slavencongreß nach Prag einberufen und dieser am
1. Juni eröffnet, nachdem sich im Namen des Kaisers (29. Mai) eine provisorische
Regierung unter Graf Leo Thun gebildet hatte. Die versammelten Nationen —
viele Polen und auch einige Russen waren dabei — conspirirten mit einiger Mühe,
da sie einander nicht verstanden; in Ermangelung eines bessern kamen sie endlich
darauf, Barrikaden zu errichten (12. Juni, Pfingstwoche); der Commandant, Fürst
Windischgrätz mußte sich auf den Hradschin zurückziehn; von hier aus bombar-
dirte er die Stadt (15. Juni), und machte nach nicht erheblichem Widerstand
der blutigen Comödie ein Ende (17. Juni). Die Wiener Demokraten wußten nicht
recht, auf welche Seite sie sich schlagen sollten, hier die nationale Sympathie,
dort die principielle; doch entschieden sie sich endlich für das Princip der Barri¬
kaden und gegen den Tyrannen Windischgrätz.

Ernsthafter waren die Bewegungen der Südslaven, weil es sich hier um ein
unmittelbares Interesse handelte. Joseph Freiherr v. Jellachich, der auf
die Veranlassung einer kroatischen Deputation zum Baums von Kroatien und Sla¬
vonien ernannt war, leugnete die Gewalt des ungarischen Ministeriums über seine
Provinzen, und weigerte sich, eine andere Oberhoheit anzuerkennen, als die Oest¬
reichs. Nachdem ihn der Palatin vergebens aufgefordert, zu seiner Pflicht zurück¬
zukehren, wurde General Hrabowski (Mitte Mai) als bevollmächtigter Commissarius
nach Agram geschickt, um den Barus allenfalls zu entsetzen. Seine Sendung hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/445>, abgerufen am 05.02.2025.