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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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schichtlichem Totalität ans, und sie kann auch zu nichts Gedeihlichem führen. Po¬
sitiv ist sie eigentlich nur in den kleinen Residenzen vorhanden, wo die gesammte
Einwohnerschaft vom Hofe lebt. Aber die Existenz derselben ist eben ein Unglück
für Deutschland, weil sie den kleinstädtischen Geist, und damit das Philisterthum,
den Erbschaden Deutschlands, auf eine unnatürliche Weise festhält und fortpflanzt.

Auch in den Großstaaten findet sich dieses negative Moment des Royalismus.
Ich erinnere nur an die Rheinprovinz, die von dem eigentlichen Preußenthum so
wenig als möglich in sich trägt, im Gegentheil dem Berliner fast eben so schroff
gegenübersteht, als unsere lieben Landsleute im Königreich Sachsen oder auch in
Baiern. Aber der vermögende Theil ist dennoch gut königlich gesinnt, ans ein¬
facher Speculation; die Papiere des preußischen Staats stehn immer noch besser
als die irgend eines andern, und die Schwingen des preußischen Adlers decken
das Eigenthum mit mächtigeren Schutz, als die benachbarte" kleinen Königsvögel.

Das ist aber nicht der specifisch preußische Royalismus, der in allen übrigen
Provinzen noch immer bei Weitem den größten Theil der Bevölkerung erfüllt.
Als im Anfang der Bewegung von Seiten der Demokratie den schlesischen Bauern
goldene Berge versprochen wurden, wenn die ungerechten Bedrückungen der Edelleute ab¬
gestellt wären, so gingen diese guten Muthes darauf ein, und die Provinz kam
in die größte Gefahr. Als aber das Rumpfparlament die Steuerverweigerung
aussprach, wurde" die Bauern stutzig; davon wollten sie nichts hören, daß dem
König das Seinige nicht mehr zu Theil werden sollte. Von dieser Zeit datirt
die merkwürdige Umstimmung in der Gesinnung der Provinz.

Sehr viel thut dazu die Militärpflicht. Das ist die Zeit, in welcher der
Bauersohn lernt, sich fühlen, ans sich etwas halten. In dieser lernt er zugleich
Gehorsam und Treue gegen den König.

Dieselbe Empfindung lebt im Grundadel; sie ist aber viel lebhafter und inhat!-
voller, als bei den kleinen Staaten. Der preußische Adel hat seine kleine Geschichte, sie
ist durchaus mit den Hohenzollern verwachsen. In einem kleinen Staat reicht der Blick
des vornehmen Mannes über die Grenzen des dynastischen Territoriums hinaus,
darum sind die Gagern u. s. w. tricolor; nur der ganz unbedeutende Adel geht
in die Hofinteressen auf. In Preußen ist das anders; ein Mann wie Vinke
wird preußisch bleiben, anch wenn er noch viel unzufriedener mit der augenblick¬
lichen politischen Entwicklung des Staats werden sollte, als er es jetzt ist.

Zudem hat die preußische Geschichte so vieles, was sie nicht nur dem Gefühl,
sondern auch der Phantasie einprägt. Namentlich die glücklichen Kriege, eine Ge¬
stalt wie Friedrich der Große und die Periode des preußischen Liberalismus, der
Stcinschen Zeit, die sich auch an sehr bestimmte Erinnerungen knüpft. In den
alten Provinzen ist durch diese Tradition eine größere Gemeinsamkeit hervorge¬
bracht, als selbst in Oestreich, wo die nalivlen Differenzen immer einer völligen
Verschmelzung im Wege stehn.


schichtlichem Totalität ans, und sie kann auch zu nichts Gedeihlichem führen. Po¬
sitiv ist sie eigentlich nur in den kleinen Residenzen vorhanden, wo die gesammte
Einwohnerschaft vom Hofe lebt. Aber die Existenz derselben ist eben ein Unglück
für Deutschland, weil sie den kleinstädtischen Geist, und damit das Philisterthum,
den Erbschaden Deutschlands, auf eine unnatürliche Weise festhält und fortpflanzt.

Auch in den Großstaaten findet sich dieses negative Moment des Royalismus.
Ich erinnere nur an die Rheinprovinz, die von dem eigentlichen Preußenthum so
wenig als möglich in sich trägt, im Gegentheil dem Berliner fast eben so schroff
gegenübersteht, als unsere lieben Landsleute im Königreich Sachsen oder auch in
Baiern. Aber der vermögende Theil ist dennoch gut königlich gesinnt, ans ein¬
facher Speculation; die Papiere des preußischen Staats stehn immer noch besser
als die irgend eines andern, und die Schwingen des preußischen Adlers decken
das Eigenthum mit mächtigeren Schutz, als die benachbarte» kleinen Königsvögel.

Das ist aber nicht der specifisch preußische Royalismus, der in allen übrigen
Provinzen noch immer bei Weitem den größten Theil der Bevölkerung erfüllt.
Als im Anfang der Bewegung von Seiten der Demokratie den schlesischen Bauern
goldene Berge versprochen wurden, wenn die ungerechten Bedrückungen der Edelleute ab¬
gestellt wären, so gingen diese guten Muthes darauf ein, und die Provinz kam
in die größte Gefahr. Als aber das Rumpfparlament die Steuerverweigerung
aussprach, wurde» die Bauern stutzig; davon wollten sie nichts hören, daß dem
König das Seinige nicht mehr zu Theil werden sollte. Von dieser Zeit datirt
die merkwürdige Umstimmung in der Gesinnung der Provinz.

Sehr viel thut dazu die Militärpflicht. Das ist die Zeit, in welcher der
Bauersohn lernt, sich fühlen, ans sich etwas halten. In dieser lernt er zugleich
Gehorsam und Treue gegen den König.

Dieselbe Empfindung lebt im Grundadel; sie ist aber viel lebhafter und inhat!-
voller, als bei den kleinen Staaten. Der preußische Adel hat seine kleine Geschichte, sie
ist durchaus mit den Hohenzollern verwachsen. In einem kleinen Staat reicht der Blick
des vornehmen Mannes über die Grenzen des dynastischen Territoriums hinaus,
darum sind die Gagern u. s. w. tricolor; nur der ganz unbedeutende Adel geht
in die Hofinteressen auf. In Preußen ist das anders; ein Mann wie Vinke
wird preußisch bleiben, anch wenn er noch viel unzufriedener mit der augenblick¬
lichen politischen Entwicklung des Staats werden sollte, als er es jetzt ist.

Zudem hat die preußische Geschichte so vieles, was sie nicht nur dem Gefühl,
sondern auch der Phantasie einprägt. Namentlich die glücklichen Kriege, eine Ge¬
stalt wie Friedrich der Große und die Periode des preußischen Liberalismus, der
Stcinschen Zeit, die sich auch an sehr bestimmte Erinnerungen knüpft. In den
alten Provinzen ist durch diese Tradition eine größere Gemeinsamkeit hervorge¬
bracht, als selbst in Oestreich, wo die nalivlen Differenzen immer einer völligen
Verschmelzung im Wege stehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/405>, abgerufen am 05.02.2025.