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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Es ist eine eigene Sache mit diesem Gefühl, einem anständigen Staat an¬
zugehören. In Residenzen concentrirt, und mit aller Ueberlegenheit des Spie߬
bürgers, der mit Hosschneidern und Hoflakaien zu verkehren gewohnt ist, den
Provincialen gegenüber ausgebeutet, hat es etwas sehr Wiederwärtiges. Aber
dieses Berlinerthum ist auch nicht mit dem Preußenthum zu verwechseln. Man
lacht in Deutschland häufig über dieses Selbstgefühl eines Preußen, der persönlich
gar nichts davon hat, daß sich an den Namen seines Staats große Erinnerungen
knüpfen. Aber Niemand fällt es ein, über den Franzosen und Engländer zu la¬
chen, der sich im gleichen Falle befindet. "Wir" haben die Seit's besiegt, "wir"
beherrschen die Meere. Mr. Smith und Mr. Jenkins gewinnen dadurch keinen
Shilling, auch hat von ihrer Verwandtschaft keiner an den Indischen Schlachten
Theil genommen. Und doch ist dieses irrationelle Gefühl die erste und die ein¬
zige Quelle der Nationalität, und gerade weil Preußen allein es besitzt, ist in ihm
der Kern der deutschen Nationalität.

Lacht immerhin, wenn ihr drüben singen hört: "Ich bin ein Preuße, will
ein Preuße sein!" Oder das Arndt'sche Blücherlied:


Da schwur er beim Eisen gar zornig und hart,
Den Franzen zu weisen die preußische Art.
Und Juchhcirassassa, und die Preußen sind da,
Und die Preußen sind lustig und rufen Hurrah!

Freilich ihr singt nicht: ich bin ein Sachse, will ein Sachse sein! nicht: ich
bin ein Hannoveraner, will ein Hannoveraner sein! nicht: ich bin ein Schwarz¬
burg-Nndolstädter, will ein Schwarzburg-Nndolstädter sein! Ihr seid weniger
stolz uns euern Particularismus -- mit Recht --, wenn ihr aber glaubt, darum
weniger particnlaristisch zu sein, so les't die Verhandlungen eurer demokratischen
Kammern nach, verfolgt die Wendungen eurer Frankfurter Abgeordneten, die Intri¬
guen eurer aristokratischen Ministerien, und. vor allem belauscht euch selber in
euern Bierkneipen, wo ihr jenes Prenßenlied mit eben so großer Energie, aber
ungleich geringerem Inhalt in das Gegentheil umdrehet: Ich bin nicht ein Preuße,
will uicht ein Preuße sein. NichtPreuße ist eure höchste Kategorie, damit seid ihr
freilich etwas, aber noch uicht viel.

Das Recht, wie das Unrecht dieses Svndcrgefühls könnt ihr im Kleinen schon
in dem Studentenfasching verfolgen. Wenn sich ein Corps aufgethan hat mit recht
tüchtigen Schlägern, so singt es sein: Vandalia heißt mein Vaterland! mit eben
so großer Inbrunst, als der Preuße das seine. Vergebens setzt ihm der Burschen¬
schafter die abstracte Idee der Allgemeinheit entgegen; sind in der Burschenschaft
tüchtige Kräfte, so werden sie sich doch wieder zu einem "Kränzchen" consolidiren,
pder wie sie es sonst nennen, sie werden wieder specifische Farben auf die Mütze
stecken, wenn auch dem tricoloren Bande auf der Brust ein Plätzchen verstattet
wird. Die allgemeine Studentenschaft wird unter den besonderen Verbindungen


Es ist eine eigene Sache mit diesem Gefühl, einem anständigen Staat an¬
zugehören. In Residenzen concentrirt, und mit aller Ueberlegenheit des Spie߬
bürgers, der mit Hosschneidern und Hoflakaien zu verkehren gewohnt ist, den
Provincialen gegenüber ausgebeutet, hat es etwas sehr Wiederwärtiges. Aber
dieses Berlinerthum ist auch nicht mit dem Preußenthum zu verwechseln. Man
lacht in Deutschland häufig über dieses Selbstgefühl eines Preußen, der persönlich
gar nichts davon hat, daß sich an den Namen seines Staats große Erinnerungen
knüpfen. Aber Niemand fällt es ein, über den Franzosen und Engländer zu la¬
chen, der sich im gleichen Falle befindet. „Wir" haben die Seit's besiegt, „wir"
beherrschen die Meere. Mr. Smith und Mr. Jenkins gewinnen dadurch keinen
Shilling, auch hat von ihrer Verwandtschaft keiner an den Indischen Schlachten
Theil genommen. Und doch ist dieses irrationelle Gefühl die erste und die ein¬
zige Quelle der Nationalität, und gerade weil Preußen allein es besitzt, ist in ihm
der Kern der deutschen Nationalität.

Lacht immerhin, wenn ihr drüben singen hört: „Ich bin ein Preuße, will
ein Preuße sein!" Oder das Arndt'sche Blücherlied:


Da schwur er beim Eisen gar zornig und hart,
Den Franzen zu weisen die preußische Art.
Und Juchhcirassassa, und die Preußen sind da,
Und die Preußen sind lustig und rufen Hurrah!

Freilich ihr singt nicht: ich bin ein Sachse, will ein Sachse sein! nicht: ich
bin ein Hannoveraner, will ein Hannoveraner sein! nicht: ich bin ein Schwarz¬
burg-Nndolstädter, will ein Schwarzburg-Nndolstädter sein! Ihr seid weniger
stolz uns euern Particularismus — mit Recht —, wenn ihr aber glaubt, darum
weniger particnlaristisch zu sein, so les't die Verhandlungen eurer demokratischen
Kammern nach, verfolgt die Wendungen eurer Frankfurter Abgeordneten, die Intri¬
guen eurer aristokratischen Ministerien, und. vor allem belauscht euch selber in
euern Bierkneipen, wo ihr jenes Prenßenlied mit eben so großer Energie, aber
ungleich geringerem Inhalt in das Gegentheil umdrehet: Ich bin nicht ein Preuße,
will uicht ein Preuße sein. NichtPreuße ist eure höchste Kategorie, damit seid ihr
freilich etwas, aber noch uicht viel.

Das Recht, wie das Unrecht dieses Svndcrgefühls könnt ihr im Kleinen schon
in dem Studentenfasching verfolgen. Wenn sich ein Corps aufgethan hat mit recht
tüchtigen Schlägern, so singt es sein: Vandalia heißt mein Vaterland! mit eben
so großer Inbrunst, als der Preuße das seine. Vergebens setzt ihm der Burschen¬
schafter die abstracte Idee der Allgemeinheit entgegen; sind in der Burschenschaft
tüchtige Kräfte, so werden sie sich doch wieder zu einem „Kränzchen" consolidiren,
pder wie sie es sonst nennen, sie werden wieder specifische Farben auf die Mütze
stecken, wenn auch dem tricoloren Bande auf der Brust ein Plätzchen verstattet
wird. Die allgemeine Studentenschaft wird unter den besonderen Verbindungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/406>, abgerufen am 05.02.2025.