Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Wesens gegen die Seiten ihrer Persönlichkeit, welche er sich in sicherem Stolz ver¬ Wir feiern jetzt sein Gedächtniß durch Rede und neue Schriften über ihn. Der letzte Artikel wegen Mangel an Raum im nächsten Heft. Verlag von F. L. Hcrbig. Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Friedrich Andrä. Wesens gegen die Seiten ihrer Persönlichkeit, welche er sich in sicherem Stolz ver¬ Wir feiern jetzt sein Gedächtniß durch Rede und neue Schriften über ihn. Der letzte Artikel wegen Mangel an Raum im nächsten Heft. Verlag von F. L. Hcrbig. Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Friedrich Andrä. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279426"/> <p xml:id="ID_1339" prev="#ID_1338"> Wesens gegen die Seiten ihrer Persönlichkeit, welche er sich in sicherem Stolz ver¬<lb/> klärt und an ihnen herausgebildet hatte, wohl hier und da bemerkbar geworden<lb/> und hatte ihn verstimmt und abgekühlt; jedenfalls hatte er bei seiner Auffassung<lb/> der Menschen ihnen mehr gegeben, als er von ihnen zurückerhielt. Bei Schillern<lb/> war das ganz anders. Hier trat ihm eine mächtige schöpferische Kraft, welche<lb/> sich schneller und stärker als er selbst concentriren konnte, allmälig nahe, mit ahn»<lb/> lieben Bedürfniß für ideale Freundschaft, aber zugleich mit einer ungewöhnlichen<lb/> Fähigkeit, sich das Fremde durch Reflexion verständlich zu mache». Der Anfang<lb/> ihrer Freundschaft war kein schnelles Hingeben, sondern ein sorgfältiges Beobachten<lb/> und Studiren der gegenseitigen Persönlichkeit, wie sie sich im Leben und in ihren<lb/> Werken aussprach, darauf ein Ausschließen des eigenen Innern und ein fortdauern?<lb/> des Vergleichen der beiderseitigen Urtheile. Wie Schiller erst durch die Verbin¬<lb/> dung mit Goethe ein kunstvoller Dichter in der besten Bedeutung des Wortes<lb/> wurde, so' hat Goethe erst durch ihn das Verständniß über die Tragweite, die<lb/> Höhe mW den Adel seiner dichterischen Kraft und über das Verhältniß des poe¬<lb/> tischen Schaffens zum wirklichen Leben erhalten. — Die Stunde, in welcher Goethe<lb/> die Nachricht von Schiller's Tode erhielt, war die schwerste in seinem Leben, für<lb/> uns eine sehr rührende Katastrophe. Wohl war er verwaist und einsam seit der<lb/> Zeit, von da an begann er alt zu werden. Jene eigenthümliche Begabung, die<lb/> Menschen seiner Umgebung zu idealisiren und dadurch umzuformen, wird seit der<lb/> Zeit oft lästig und drückend. Der stolze Greis sucht nur heraus, was ihm bequem<lb/> ist, ihm schmeichelt und wohlthut; er wird seiner Zeit fremd, deren unreifes<lb/> Streben uach neuen Gestaltungen er nicht achten, noch weniger beherrschen will.<lb/> Und da er in den Sarg gelegt wird, noch immer schön und kräftig, wie ein Götter-<lb/> sohn, ist es den Ueberlebenden wirklich so, als wäre ein Gott geschieden., einer<lb/> der herniederkam aus den Wolken, um unter uns zu leben, zu schaffen, und der<lb/> doch nicht ganz so gelebt und geschaffen hat, wie die Besten der Andern; es war<lb/> etwas sehr Ungewöhnliches und schwer Vcrstäudliches in ihm; oft nennen wir eS<lb/> wunderschön, zuweilen dünkt es uns ein Mangel. Wohl hat er die Menschen<lb/> gekannt und geliebt, aber anders als wir; wohl hat er alle Dinge dieser Welt<lb/> mit scharfem Ange betrachtet, aber was er ansah, erfuhr unter dem Strahl seiner<lb/> Augen eine Veränderung, es wurde, so weit es konnte, ihm selbst ähnlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1340"> Wir feiern jetzt sein Gedächtniß durch Rede und neue Schriften über ihn.<lb/> Ein Buch fehlt uns noch immer, sein Leben. Wer uns Deutschen das reichen<lb/> könnte, wie es geschrieben werden muß, ohne Diplomatie und Schonung, mit<lb/> großem Blick und genauer Kenntniß des Details, dem wollten wir sehr danken.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div> <floatingText> <body> <div type="advertisement"> <p> Der letzte Artikel wegen Mangel an Raum im nächsten Heft.</p> </div> </body> </floatingText> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verlag von F. L. Hcrbig. Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.<lb/> Druck von Friedrich Andrä.</note><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Wesens gegen die Seiten ihrer Persönlichkeit, welche er sich in sicherem Stolz ver¬
klärt und an ihnen herausgebildet hatte, wohl hier und da bemerkbar geworden
und hatte ihn verstimmt und abgekühlt; jedenfalls hatte er bei seiner Auffassung
der Menschen ihnen mehr gegeben, als er von ihnen zurückerhielt. Bei Schillern
war das ganz anders. Hier trat ihm eine mächtige schöpferische Kraft, welche
sich schneller und stärker als er selbst concentriren konnte, allmälig nahe, mit ahn»
lieben Bedürfniß für ideale Freundschaft, aber zugleich mit einer ungewöhnlichen
Fähigkeit, sich das Fremde durch Reflexion verständlich zu mache». Der Anfang
ihrer Freundschaft war kein schnelles Hingeben, sondern ein sorgfältiges Beobachten
und Studiren der gegenseitigen Persönlichkeit, wie sie sich im Leben und in ihren
Werken aussprach, darauf ein Ausschließen des eigenen Innern und ein fortdauern?
des Vergleichen der beiderseitigen Urtheile. Wie Schiller erst durch die Verbin¬
dung mit Goethe ein kunstvoller Dichter in der besten Bedeutung des Wortes
wurde, so' hat Goethe erst durch ihn das Verständniß über die Tragweite, die
Höhe mW den Adel seiner dichterischen Kraft und über das Verhältniß des poe¬
tischen Schaffens zum wirklichen Leben erhalten. — Die Stunde, in welcher Goethe
die Nachricht von Schiller's Tode erhielt, war die schwerste in seinem Leben, für
uns eine sehr rührende Katastrophe. Wohl war er verwaist und einsam seit der
Zeit, von da an begann er alt zu werden. Jene eigenthümliche Begabung, die
Menschen seiner Umgebung zu idealisiren und dadurch umzuformen, wird seit der
Zeit oft lästig und drückend. Der stolze Greis sucht nur heraus, was ihm bequem
ist, ihm schmeichelt und wohlthut; er wird seiner Zeit fremd, deren unreifes
Streben uach neuen Gestaltungen er nicht achten, noch weniger beherrschen will.
Und da er in den Sarg gelegt wird, noch immer schön und kräftig, wie ein Götter-
sohn, ist es den Ueberlebenden wirklich so, als wäre ein Gott geschieden., einer
der herniederkam aus den Wolken, um unter uns zu leben, zu schaffen, und der
doch nicht ganz so gelebt und geschaffen hat, wie die Besten der Andern; es war
etwas sehr Ungewöhnliches und schwer Vcrstäudliches in ihm; oft nennen wir eS
wunderschön, zuweilen dünkt es uns ein Mangel. Wohl hat er die Menschen
gekannt und geliebt, aber anders als wir; wohl hat er alle Dinge dieser Welt
mit scharfem Ange betrachtet, aber was er ansah, erfuhr unter dem Strahl seiner
Augen eine Veränderung, es wurde, so weit es konnte, ihm selbst ähnlich.
Wir feiern jetzt sein Gedächtniß durch Rede und neue Schriften über ihn.
Ein Buch fehlt uns noch immer, sein Leben. Wer uns Deutschen das reichen
könnte, wie es geschrieben werden muß, ohne Diplomatie und Schonung, mit
großem Blick und genauer Kenntniß des Details, dem wollten wir sehr danken.
Der letzte Artikel wegen Mangel an Raum im nächsten Heft.
Verlag von F. L. Hcrbig. Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |