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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Altar baute und Räucherwerk verbrannte, und wo er seiner Seele die alten Ori¬
ginale aus der Frankfurter Bürgerschaft poetisch zurichtete; über das Verhältniß
zu Gretchen, Friederike, Lotte, zu Lavator, Basedow, Jakobi, zum Herzog
und seinem Hofe, zur Vulpius und zum Theater in Weimar hinaus bis zu dem
schönen Höhepunkt seines Lebens, der Freundschaft mit Schiller, bis in sein Grei¬
senalter, wo Bettine seine Art das Leben zu erfassen in chargirter Weise fortsetzt,
überall ist ihm die Wirklichkeit nichts als Stoff, den er sich heranzieht, in Ideale
umformt und wieder aufgiebt, wenn er ihm nicht mehr paßt. Ueberall diese Weise
eines halb künstlerischen, halb dämonischen Schaffens. Damals als er Gleichen
und ihre Genossen sich idealisirt hatte, litt er noch bittere Schmerzen, indem er den
Gegensatz zwischen seinem Bild, das er liebte, und den wirklichen Menschen erfuhr;
später hat er diese Schmerzen getäuschter Liebe auch oft Anderen bereiten müssen. --
Er liebte das Ideal sehr, das er sich von Friederiken gemacht hatte; aber als sie
in seinen städtischen Kreis gekommen war, empfand er aus der Unbehilflichkeit ihrer
Schwester eine Differenz zwischen dem wirklichen Leben des Mädchen n"it dem,
was er sich daraus gemacht hatte, und er verließ sie; man kann nicht sagen, daß
er ihr untren wurde, sie selbst hatte er nie geliebt und dem Bild, das er liebte,
hat er die Liebe bewahrt. Sein Verkehr mit Lotte und Albert war durch seine
Persönlichkeit schon so künstlerisch zugerichtet, daß er fast noch während seinem
Liebesrausch wirklich geschriebene Briefe der Beiden in Theile des Romans, den
er leidend und entzückt in seiner Phantasie durchspielte, abdrucken konnte. Als er
nach Weitnar kam, und den jungen Herzog und Hof in seligem Uebermuth poetisch
behandelte und umformte, wurde allmälig anch er durch große Verbindungen und
große Pflichten gegen das wirkliche Leben gefesselt, und es ist sehr belehrend zu
untersuchen, wie er sich im Lauf eines langen Lebens zu der unpoetischen und
unbezwinglichen Wirklichkeit des weimarischen Staates stellte. Ein Mal entfloh
er ihm aus innerster Angst nach Italien, als die Prosa der höfischen Verhältnisse
mächtiger geworden war, denn seine Kraft. Als er aus Italien zurückkam, verführte
ihn das Behagen, mit dem er die schöne Sinnlichkeit Italiens sich idealisirt hatte,
(die Elegien), sich die kleine Vulpius in sein Gartenhaus in Weimar zu ziehen,
ste gebar ihm einen Sohn und er fühlte die Verpflichtung, auch in ihr die ge¬
meine Wirklichkeit bei sich zu dulden, nachdem ste ihm unbequem geworden war.
Und doch, wenn jenes kleine Gedicht wirklich auf sie gemacht ist, konnte er noch
als sie starb, von ihr sagen: "meines Lebens ganzer Gewinn ist deinen Verlust zu
beweinen"; und man kann vielleicht selbst aus der geistreichen Antithese in dieser
herzlichen Klage schließen, wie frei er der Todten gegenüberstand, und doch wie
liebevoll seine Seele noch an dem selbstgemachten Bilde von ihr hing.

Die schönste Zeit in seinem Leben war seine Verbindung mit Schiller. In
allen andern Verhältnissen zu Männern und Frauen, welche er eingegangen war,
selbst seinem Herzog gegenüber, war ihm die Reaktion ihres wirklichen eigenen


Altar baute und Räucherwerk verbrannte, und wo er seiner Seele die alten Ori¬
ginale aus der Frankfurter Bürgerschaft poetisch zurichtete; über das Verhältniß
zu Gretchen, Friederike, Lotte, zu Lavator, Basedow, Jakobi, zum Herzog
und seinem Hofe, zur Vulpius und zum Theater in Weimar hinaus bis zu dem
schönen Höhepunkt seines Lebens, der Freundschaft mit Schiller, bis in sein Grei¬
senalter, wo Bettine seine Art das Leben zu erfassen in chargirter Weise fortsetzt,
überall ist ihm die Wirklichkeit nichts als Stoff, den er sich heranzieht, in Ideale
umformt und wieder aufgiebt, wenn er ihm nicht mehr paßt. Ueberall diese Weise
eines halb künstlerischen, halb dämonischen Schaffens. Damals als er Gleichen
und ihre Genossen sich idealisirt hatte, litt er noch bittere Schmerzen, indem er den
Gegensatz zwischen seinem Bild, das er liebte, und den wirklichen Menschen erfuhr;
später hat er diese Schmerzen getäuschter Liebe auch oft Anderen bereiten müssen. —
Er liebte das Ideal sehr, das er sich von Friederiken gemacht hatte; aber als sie
in seinen städtischen Kreis gekommen war, empfand er aus der Unbehilflichkeit ihrer
Schwester eine Differenz zwischen dem wirklichen Leben des Mädchen n»it dem,
was er sich daraus gemacht hatte, und er verließ sie; man kann nicht sagen, daß
er ihr untren wurde, sie selbst hatte er nie geliebt und dem Bild, das er liebte,
hat er die Liebe bewahrt. Sein Verkehr mit Lotte und Albert war durch seine
Persönlichkeit schon so künstlerisch zugerichtet, daß er fast noch während seinem
Liebesrausch wirklich geschriebene Briefe der Beiden in Theile des Romans, den
er leidend und entzückt in seiner Phantasie durchspielte, abdrucken konnte. Als er
nach Weitnar kam, und den jungen Herzog und Hof in seligem Uebermuth poetisch
behandelte und umformte, wurde allmälig anch er durch große Verbindungen und
große Pflichten gegen das wirkliche Leben gefesselt, und es ist sehr belehrend zu
untersuchen, wie er sich im Lauf eines langen Lebens zu der unpoetischen und
unbezwinglichen Wirklichkeit des weimarischen Staates stellte. Ein Mal entfloh
er ihm aus innerster Angst nach Italien, als die Prosa der höfischen Verhältnisse
mächtiger geworden war, denn seine Kraft. Als er aus Italien zurückkam, verführte
ihn das Behagen, mit dem er die schöne Sinnlichkeit Italiens sich idealisirt hatte,
(die Elegien), sich die kleine Vulpius in sein Gartenhaus in Weimar zu ziehen,
ste gebar ihm einen Sohn und er fühlte die Verpflichtung, auch in ihr die ge¬
meine Wirklichkeit bei sich zu dulden, nachdem ste ihm unbequem geworden war.
Und doch, wenn jenes kleine Gedicht wirklich auf sie gemacht ist, konnte er noch
als sie starb, von ihr sagen: „meines Lebens ganzer Gewinn ist deinen Verlust zu
beweinen"; und man kann vielleicht selbst aus der geistreichen Antithese in dieser
herzlichen Klage schließen, wie frei er der Todten gegenüberstand, und doch wie
liebevoll seine Seele noch an dem selbstgemachten Bilde von ihr hing.

Die schönste Zeit in seinem Leben war seine Verbindung mit Schiller. In
allen andern Verhältnissen zu Männern und Frauen, welche er eingegangen war,
selbst seinem Herzog gegenüber, war ihm die Reaktion ihres wirklichen eigenen


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[0399] Altar baute und Räucherwerk verbrannte, und wo er seiner Seele die alten Ori¬ ginale aus der Frankfurter Bürgerschaft poetisch zurichtete; über das Verhältniß zu Gretchen, Friederike, Lotte, zu Lavator, Basedow, Jakobi, zum Herzog und seinem Hofe, zur Vulpius und zum Theater in Weimar hinaus bis zu dem schönen Höhepunkt seines Lebens, der Freundschaft mit Schiller, bis in sein Grei¬ senalter, wo Bettine seine Art das Leben zu erfassen in chargirter Weise fortsetzt, überall ist ihm die Wirklichkeit nichts als Stoff, den er sich heranzieht, in Ideale umformt und wieder aufgiebt, wenn er ihm nicht mehr paßt. Ueberall diese Weise eines halb künstlerischen, halb dämonischen Schaffens. Damals als er Gleichen und ihre Genossen sich idealisirt hatte, litt er noch bittere Schmerzen, indem er den Gegensatz zwischen seinem Bild, das er liebte, und den wirklichen Menschen erfuhr; später hat er diese Schmerzen getäuschter Liebe auch oft Anderen bereiten müssen. — Er liebte das Ideal sehr, das er sich von Friederiken gemacht hatte; aber als sie in seinen städtischen Kreis gekommen war, empfand er aus der Unbehilflichkeit ihrer Schwester eine Differenz zwischen dem wirklichen Leben des Mädchen n»it dem, was er sich daraus gemacht hatte, und er verließ sie; man kann nicht sagen, daß er ihr untren wurde, sie selbst hatte er nie geliebt und dem Bild, das er liebte, hat er die Liebe bewahrt. Sein Verkehr mit Lotte und Albert war durch seine Persönlichkeit schon so künstlerisch zugerichtet, daß er fast noch während seinem Liebesrausch wirklich geschriebene Briefe der Beiden in Theile des Romans, den er leidend und entzückt in seiner Phantasie durchspielte, abdrucken konnte. Als er nach Weitnar kam, und den jungen Herzog und Hof in seligem Uebermuth poetisch behandelte und umformte, wurde allmälig anch er durch große Verbindungen und große Pflichten gegen das wirkliche Leben gefesselt, und es ist sehr belehrend zu untersuchen, wie er sich im Lauf eines langen Lebens zu der unpoetischen und unbezwinglichen Wirklichkeit des weimarischen Staates stellte. Ein Mal entfloh er ihm aus innerster Angst nach Italien, als die Prosa der höfischen Verhältnisse mächtiger geworden war, denn seine Kraft. Als er aus Italien zurückkam, verführte ihn das Behagen, mit dem er die schöne Sinnlichkeit Italiens sich idealisirt hatte, (die Elegien), sich die kleine Vulpius in sein Gartenhaus in Weimar zu ziehen, ste gebar ihm einen Sohn und er fühlte die Verpflichtung, auch in ihr die ge¬ meine Wirklichkeit bei sich zu dulden, nachdem ste ihm unbequem geworden war. Und doch, wenn jenes kleine Gedicht wirklich auf sie gemacht ist, konnte er noch als sie starb, von ihr sagen: „meines Lebens ganzer Gewinn ist deinen Verlust zu beweinen"; und man kann vielleicht selbst aus der geistreichen Antithese in dieser herzlichen Klage schließen, wie frei er der Todten gegenüberstand, und doch wie liebevoll seine Seele noch an dem selbstgemachten Bilde von ihr hing. Die schönste Zeit in seinem Leben war seine Verbindung mit Schiller. In allen andern Verhältnissen zu Männern und Frauen, welche er eingegangen war, selbst seinem Herzog gegenüber, war ihm die Reaktion ihres wirklichen eigenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/399>, abgerufen am 05.02.2025.