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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ividerstehliche Liebenswürdigkeit, oder erhabene Menschengröße und lassen doch mit
diesem Lob, Wesen und Wirkung von Goethe's Natur sehr wenig erklärt. Er
war unwiderstehlich, nicht weil er in der That liebenswürdig und groß sein konnte,
sondern weil er die Eigenschaft hatte, Liebenswürdigkeit und Größe in Andere
hereinzudichten und deshalb aus ihnen herauszulocken. Er idealisirte sich mit poe¬
tischer Schnelligkeit die Persönlichkeit jedes Menschen, den er anschaute, und setzte sich
mit diesem Ideal in Rapport, nicht mit dem wirklichen Kauz, den er dann gar
nicht mehr sah. Da er aber dabei ein so scharfes Auge für das Charakteristische
hatte, passirte es ihm nicht, daß er Ungereimtes und Ungehöriges in die Perso¬
nen hineindichtete; es war allerdings ein Theil ihres Wesens, deu er sich erfaßt
und poetisch zugerichtet hatte, und da er ferner mit merkwürdiger Ausdauer an die¬
sem geschaffenen Ideal und dem Rapport festhielt, in den er sich mit dem idealisie¬
ren Geschöpf gesetzt hatte, so erhielt er sich seine Beziehungen zu den Andern ent¬
weder dauernd groß und rein, oder sie hörten plötzlich und ganz auf; er brach
mit ihnen, sobald ihm irgend eine Seite ihres Wesens in die Seele fiel, die nicht
zu dem idealen Bild paßte, das er von ihnen brauchen wollte. Ans Andere
wirkte er daher zunächst erhebend und befreiend, es schmeichelte und that so wohl,
einem Menschen zu begegnen, der so "rein" auffaßte, die starke elektrische Spannung
Goethe's rief die entsprechende Spannung in dem Wesen Aller hervor, die er an¬
zog; sie gebehrdeten sich möglichst sein und subtil, so wunderlich das auch zuwei¬
len den Einzelnen stand, sie empfanden in seiner Nähe mit Befriedigung sich selbst
als anders, und bei Vielen entwickelte sich kräftig und dauerhaft die geforderte
künstliche Persönlichkeit als ein Theil ihres Wesens. -- Aber die Sache hatte
gleichwohl ihre Bedenken. Die Angezogenen empfanden oft mit Befremden und
Schrecken, daß sie mit Goethe über eirie gewisse Linie hinaus nicht menschlich
verkehren konnten, daß manche und berechtigte Seiten ihrer Persönlichkeit sür
ihn nicht vorhanden waren, die er doch vielleicht an Anderen gelten ließ; sie woll¬
ten ihm näher treten, mehr von sich geben und mehr von ihm haben, das war
unmöglich; unverändert sah der Angebetete nicht auf sie selbst, sondern auf das
Zeichen, das er ihnen ans die Stirn gedrückt hatte, das störte und verstimmte
die selbstständigen, und machte die Schwächeren zu seinen Sklaven. Das
hat ihm viele harte Urtheile zugezogen, er sei furchtbarer Egoist, ein übermüthi¬
ger Aristokrat, ein herzloser kalter Diplomat. -- Er war das Alles uicht, er
war uur ein Dichter mit merkwürdiger Spannung seines Idealismus; und diese
Dichtercigenschaft war seine Schönheit, seine Schwäche und sein Verhängniß.

Die größte Dichtung, welche wir von ihm besitzen, fast die einzige künstlerisch
fertige und vollendete, ist sein eigenes Leben. Er hat sich sein ganzes Le¬
ben selbst gedichtet, seine Poesien sind nur die erklärenden Noten dazu, seine
Selbstbiographie ist eine kurze Beschreibung schöner Stellen aus dem großen Ro¬
man. Von seiner Kindheit an, wo er sich seinen Gott idealisirte, ihm einen


ividerstehliche Liebenswürdigkeit, oder erhabene Menschengröße und lassen doch mit
diesem Lob, Wesen und Wirkung von Goethe's Natur sehr wenig erklärt. Er
war unwiderstehlich, nicht weil er in der That liebenswürdig und groß sein konnte,
sondern weil er die Eigenschaft hatte, Liebenswürdigkeit und Größe in Andere
hereinzudichten und deshalb aus ihnen herauszulocken. Er idealisirte sich mit poe¬
tischer Schnelligkeit die Persönlichkeit jedes Menschen, den er anschaute, und setzte sich
mit diesem Ideal in Rapport, nicht mit dem wirklichen Kauz, den er dann gar
nicht mehr sah. Da er aber dabei ein so scharfes Auge für das Charakteristische
hatte, passirte es ihm nicht, daß er Ungereimtes und Ungehöriges in die Perso¬
nen hineindichtete; es war allerdings ein Theil ihres Wesens, deu er sich erfaßt
und poetisch zugerichtet hatte, und da er ferner mit merkwürdiger Ausdauer an die¬
sem geschaffenen Ideal und dem Rapport festhielt, in den er sich mit dem idealisie¬
ren Geschöpf gesetzt hatte, so erhielt er sich seine Beziehungen zu den Andern ent¬
weder dauernd groß und rein, oder sie hörten plötzlich und ganz auf; er brach
mit ihnen, sobald ihm irgend eine Seite ihres Wesens in die Seele fiel, die nicht
zu dem idealen Bild paßte, das er von ihnen brauchen wollte. Ans Andere
wirkte er daher zunächst erhebend und befreiend, es schmeichelte und that so wohl,
einem Menschen zu begegnen, der so „rein" auffaßte, die starke elektrische Spannung
Goethe's rief die entsprechende Spannung in dem Wesen Aller hervor, die er an¬
zog; sie gebehrdeten sich möglichst sein und subtil, so wunderlich das auch zuwei¬
len den Einzelnen stand, sie empfanden in seiner Nähe mit Befriedigung sich selbst
als anders, und bei Vielen entwickelte sich kräftig und dauerhaft die geforderte
künstliche Persönlichkeit als ein Theil ihres Wesens. — Aber die Sache hatte
gleichwohl ihre Bedenken. Die Angezogenen empfanden oft mit Befremden und
Schrecken, daß sie mit Goethe über eirie gewisse Linie hinaus nicht menschlich
verkehren konnten, daß manche und berechtigte Seiten ihrer Persönlichkeit sür
ihn nicht vorhanden waren, die er doch vielleicht an Anderen gelten ließ; sie woll¬
ten ihm näher treten, mehr von sich geben und mehr von ihm haben, das war
unmöglich; unverändert sah der Angebetete nicht auf sie selbst, sondern auf das
Zeichen, das er ihnen ans die Stirn gedrückt hatte, das störte und verstimmte
die selbstständigen, und machte die Schwächeren zu seinen Sklaven. Das
hat ihm viele harte Urtheile zugezogen, er sei furchtbarer Egoist, ein übermüthi¬
ger Aristokrat, ein herzloser kalter Diplomat. — Er war das Alles uicht, er
war uur ein Dichter mit merkwürdiger Spannung seines Idealismus; und diese
Dichtercigenschaft war seine Schönheit, seine Schwäche und sein Verhängniß.

Die größte Dichtung, welche wir von ihm besitzen, fast die einzige künstlerisch
fertige und vollendete, ist sein eigenes Leben. Er hat sich sein ganzes Le¬
ben selbst gedichtet, seine Poesien sind nur die erklärenden Noten dazu, seine
Selbstbiographie ist eine kurze Beschreibung schöner Stellen aus dem großen Ro¬
man. Von seiner Kindheit an, wo er sich seinen Gott idealisirte, ihm einen


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[0398] ividerstehliche Liebenswürdigkeit, oder erhabene Menschengröße und lassen doch mit diesem Lob, Wesen und Wirkung von Goethe's Natur sehr wenig erklärt. Er war unwiderstehlich, nicht weil er in der That liebenswürdig und groß sein konnte, sondern weil er die Eigenschaft hatte, Liebenswürdigkeit und Größe in Andere hereinzudichten und deshalb aus ihnen herauszulocken. Er idealisirte sich mit poe¬ tischer Schnelligkeit die Persönlichkeit jedes Menschen, den er anschaute, und setzte sich mit diesem Ideal in Rapport, nicht mit dem wirklichen Kauz, den er dann gar nicht mehr sah. Da er aber dabei ein so scharfes Auge für das Charakteristische hatte, passirte es ihm nicht, daß er Ungereimtes und Ungehöriges in die Perso¬ nen hineindichtete; es war allerdings ein Theil ihres Wesens, deu er sich erfaßt und poetisch zugerichtet hatte, und da er ferner mit merkwürdiger Ausdauer an die¬ sem geschaffenen Ideal und dem Rapport festhielt, in den er sich mit dem idealisie¬ ren Geschöpf gesetzt hatte, so erhielt er sich seine Beziehungen zu den Andern ent¬ weder dauernd groß und rein, oder sie hörten plötzlich und ganz auf; er brach mit ihnen, sobald ihm irgend eine Seite ihres Wesens in die Seele fiel, die nicht zu dem idealen Bild paßte, das er von ihnen brauchen wollte. Ans Andere wirkte er daher zunächst erhebend und befreiend, es schmeichelte und that so wohl, einem Menschen zu begegnen, der so „rein" auffaßte, die starke elektrische Spannung Goethe's rief die entsprechende Spannung in dem Wesen Aller hervor, die er an¬ zog; sie gebehrdeten sich möglichst sein und subtil, so wunderlich das auch zuwei¬ len den Einzelnen stand, sie empfanden in seiner Nähe mit Befriedigung sich selbst als anders, und bei Vielen entwickelte sich kräftig und dauerhaft die geforderte künstliche Persönlichkeit als ein Theil ihres Wesens. — Aber die Sache hatte gleichwohl ihre Bedenken. Die Angezogenen empfanden oft mit Befremden und Schrecken, daß sie mit Goethe über eirie gewisse Linie hinaus nicht menschlich verkehren konnten, daß manche und berechtigte Seiten ihrer Persönlichkeit sür ihn nicht vorhanden waren, die er doch vielleicht an Anderen gelten ließ; sie woll¬ ten ihm näher treten, mehr von sich geben und mehr von ihm haben, das war unmöglich; unverändert sah der Angebetete nicht auf sie selbst, sondern auf das Zeichen, das er ihnen ans die Stirn gedrückt hatte, das störte und verstimmte die selbstständigen, und machte die Schwächeren zu seinen Sklaven. Das hat ihm viele harte Urtheile zugezogen, er sei furchtbarer Egoist, ein übermüthi¬ ger Aristokrat, ein herzloser kalter Diplomat. — Er war das Alles uicht, er war uur ein Dichter mit merkwürdiger Spannung seines Idealismus; und diese Dichtercigenschaft war seine Schönheit, seine Schwäche und sein Verhängniß. Die größte Dichtung, welche wir von ihm besitzen, fast die einzige künstlerisch fertige und vollendete, ist sein eigenes Leben. Er hat sich sein ganzes Le¬ ben selbst gedichtet, seine Poesien sind nur die erklärenden Noten dazu, seine Selbstbiographie ist eine kurze Beschreibung schöner Stellen aus dem großen Ro¬ man. Von seiner Kindheit an, wo er sich seinen Gott idealisirte, ihm einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/398>, abgerufen am 05.02.2025.