Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durch den Zauber einer großen und schönen Persönlichkeit unterwarf er sich Dorf
und Stadt, Schlafzimmer und Hof; fast 50 Jahre hat er jede Thätigkeit im Reich
des deutschen Geistes geleitet, gefördert, bestimmt; er ist der gelehrteste und doch
der gesündeste Dichter jener wunderbaren Periode gewesen, wo man durch schöne
Gelehrsamkeit und subtile Gefühle die Privilegien der Aristokratie erhielt, das Recht
über dem gemeinen Leben des Volkes in reiner Höhe zu stehn und sich anstaunen
zu lassen.

Das Gemisch von edler Schönheit, jugendlicher Sentimentalität und absto¬
ßender Pedanterie, welches die künstlerischen Erscheinungen jener Periode charakte-
risirt, ist durch Goethe auch auf uns übergegangen, noch sind wir Alle unter dem
Einfluß seiner Bildung erzogen und die Geschichte der letzten Zeit lehrt, wie die
deutsche Volksseele geformt wurde durch die letzten hundert Jahr, deren vollkom¬
menste Blüthe er war. ,

Deutsche Nation, mein vielbesungener, vielbeschäftigter Herr Geheimer Rath,
seit dem Jahr 48 spielst Du Goethe's Dichtungen in der Politik ab. Wie daS
Schauspiel Götz vou Berlichingen, so war Deine Erhebung von 48 eine Reihe
von kleinen Scenen, Episoden, plastischen Momenten und wie dem Dichter jenes
Theaterstücks sehlte Dir die Kraft der dramatische" Concentration; Dein Frank-
furter Parlament war wie Egmont, ein Held ohne Thaten, mit brillantem Costüm
und edlen Gefühlen, zuletzt ein Opfer der höfischen Intrigue und eigener Ueber¬
schätzung und jener Römer ist das knorrige Klärchen dieses Egmonts; und wieder
die Stimmung unsrer Patrioten in diesem Jahr entspricht genau dem Leivcn des
jungen Werthers, der sich und seine Zukunft aufgibt, weil ihm ein geliebtes
Ideal verloren ist. Jetzt ist die Politik in die Hände der Höfe gekommen, wie
Göthe, als er den Werther geschrieben hatte. -- Ob das Leben der deutschen
Nation unter dem Einfluß der Höfe so weit kommen wird, wie Göthe in Weimar,
wollen wir abwarten. --

Bei allen deutschen Poeten ist der kleine Klatsch aus ihrem Leben unaus-
stehlich, selbst bei Schiller. Bei Goethe aber muß man schon entschuldigen, wenn
anch der honnette Mann stellenweis eine rechte Sehnsucht bekommt nach dem pikan¬
ten Detail seiner wirklichen Existenz. Nicht mir deshalb, weil sie ihn so sehr
zum Götzen gemacht haben, sondern aus einem bessern Grunde. Goethe's Wesen
ist mehr und zuweilen besser ans seinem Leben, als ans seinen Schriften zu erkennen.
Es ist wunderbar, wie der geniale Mensch überall, wo er dazu kam, einen epi¬
schen Ton, einen gewissen Idealismus in daS Treiben seiner Mitmenschen her¬
einbrachte, wie Allen der Theil ihres Lebens, den sie mit ihm gemeinsam ver¬
lebten, noch in später Erinnerung geweiht und mit einem heiligen Schimmer ver¬
blutet erscheint. Und geschah den Männern grade so, wie den Frauen. -- Alle
empfanden etwas Besonderes, Juipoinrendes in ihm, dem sie sich Hingaben, daS
befruchtend und verändernd auf ihr Leben wirkte; sie nannten das entweder un-


durch den Zauber einer großen und schönen Persönlichkeit unterwarf er sich Dorf
und Stadt, Schlafzimmer und Hof; fast 50 Jahre hat er jede Thätigkeit im Reich
des deutschen Geistes geleitet, gefördert, bestimmt; er ist der gelehrteste und doch
der gesündeste Dichter jener wunderbaren Periode gewesen, wo man durch schöne
Gelehrsamkeit und subtile Gefühle die Privilegien der Aristokratie erhielt, das Recht
über dem gemeinen Leben des Volkes in reiner Höhe zu stehn und sich anstaunen
zu lassen.

Das Gemisch von edler Schönheit, jugendlicher Sentimentalität und absto¬
ßender Pedanterie, welches die künstlerischen Erscheinungen jener Periode charakte-
risirt, ist durch Goethe auch auf uns übergegangen, noch sind wir Alle unter dem
Einfluß seiner Bildung erzogen und die Geschichte der letzten Zeit lehrt, wie die
deutsche Volksseele geformt wurde durch die letzten hundert Jahr, deren vollkom¬
menste Blüthe er war. ,

Deutsche Nation, mein vielbesungener, vielbeschäftigter Herr Geheimer Rath,
seit dem Jahr 48 spielst Du Goethe's Dichtungen in der Politik ab. Wie daS
Schauspiel Götz vou Berlichingen, so war Deine Erhebung von 48 eine Reihe
von kleinen Scenen, Episoden, plastischen Momenten und wie dem Dichter jenes
Theaterstücks sehlte Dir die Kraft der dramatische» Concentration; Dein Frank-
furter Parlament war wie Egmont, ein Held ohne Thaten, mit brillantem Costüm
und edlen Gefühlen, zuletzt ein Opfer der höfischen Intrigue und eigener Ueber¬
schätzung und jener Römer ist das knorrige Klärchen dieses Egmonts; und wieder
die Stimmung unsrer Patrioten in diesem Jahr entspricht genau dem Leivcn des
jungen Werthers, der sich und seine Zukunft aufgibt, weil ihm ein geliebtes
Ideal verloren ist. Jetzt ist die Politik in die Hände der Höfe gekommen, wie
Göthe, als er den Werther geschrieben hatte. — Ob das Leben der deutschen
Nation unter dem Einfluß der Höfe so weit kommen wird, wie Göthe in Weimar,
wollen wir abwarten. —

Bei allen deutschen Poeten ist der kleine Klatsch aus ihrem Leben unaus-
stehlich, selbst bei Schiller. Bei Goethe aber muß man schon entschuldigen, wenn
anch der honnette Mann stellenweis eine rechte Sehnsucht bekommt nach dem pikan¬
ten Detail seiner wirklichen Existenz. Nicht mir deshalb, weil sie ihn so sehr
zum Götzen gemacht haben, sondern aus einem bessern Grunde. Goethe's Wesen
ist mehr und zuweilen besser ans seinem Leben, als ans seinen Schriften zu erkennen.
Es ist wunderbar, wie der geniale Mensch überall, wo er dazu kam, einen epi¬
schen Ton, einen gewissen Idealismus in daS Treiben seiner Mitmenschen her¬
einbrachte, wie Allen der Theil ihres Lebens, den sie mit ihm gemeinsam ver¬
lebten, noch in später Erinnerung geweiht und mit einem heiligen Schimmer ver¬
blutet erscheint. Und geschah den Männern grade so, wie den Frauen. — Alle
empfanden etwas Besonderes, Juipoinrendes in ihm, dem sie sich Hingaben, daS
befruchtend und verändernd auf ihr Leben wirkte; sie nannten das entweder un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279423"/>
          <p xml:id="ID_1331" prev="#ID_1330"> durch den Zauber einer großen und schönen Persönlichkeit unterwarf er sich Dorf<lb/>
und Stadt, Schlafzimmer und Hof; fast 50 Jahre hat er jede Thätigkeit im Reich<lb/>
des deutschen Geistes geleitet, gefördert, bestimmt; er ist der gelehrteste und doch<lb/>
der gesündeste Dichter jener wunderbaren Periode gewesen, wo man durch schöne<lb/>
Gelehrsamkeit und subtile Gefühle die Privilegien der Aristokratie erhielt, das Recht<lb/>
über dem gemeinen Leben des Volkes in reiner Höhe zu stehn und sich anstaunen<lb/>
zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332"> Das Gemisch von edler Schönheit, jugendlicher Sentimentalität und absto¬<lb/>
ßender Pedanterie, welches die künstlerischen Erscheinungen jener Periode charakte-<lb/>
risirt, ist durch Goethe auch auf uns übergegangen, noch sind wir Alle unter dem<lb/>
Einfluß seiner Bildung erzogen und die Geschichte der letzten Zeit lehrt, wie die<lb/>
deutsche Volksseele geformt wurde durch die letzten hundert Jahr, deren vollkom¬<lb/>
menste Blüthe er war. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1333"> Deutsche Nation, mein vielbesungener, vielbeschäftigter Herr Geheimer Rath,<lb/>
seit dem Jahr 48 spielst Du Goethe's Dichtungen in der Politik ab. Wie daS<lb/>
Schauspiel Götz vou Berlichingen, so war Deine Erhebung von 48 eine Reihe<lb/>
von kleinen Scenen, Episoden, plastischen Momenten und wie dem Dichter jenes<lb/>
Theaterstücks sehlte Dir die Kraft der dramatische» Concentration; Dein Frank-<lb/>
furter Parlament war wie Egmont, ein Held ohne Thaten, mit brillantem Costüm<lb/>
und edlen Gefühlen, zuletzt ein Opfer der höfischen Intrigue und eigener Ueber¬<lb/>
schätzung und jener Römer ist das knorrige Klärchen dieses Egmonts; und wieder<lb/>
die Stimmung unsrer Patrioten in diesem Jahr entspricht genau dem Leivcn des<lb/>
jungen Werthers, der sich und seine Zukunft aufgibt, weil ihm ein geliebtes<lb/>
Ideal verloren ist. Jetzt ist die Politik in die Hände der Höfe gekommen, wie<lb/>
Göthe, als er den Werther geschrieben hatte. &#x2014; Ob das Leben der deutschen<lb/>
Nation unter dem Einfluß der Höfe so weit kommen wird, wie Göthe in Weimar,<lb/>
wollen wir abwarten. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1334" next="#ID_1335"> Bei allen deutschen Poeten ist der kleine Klatsch aus ihrem Leben unaus-<lb/>
stehlich, selbst bei Schiller. Bei Goethe aber muß man schon entschuldigen, wenn<lb/>
anch der honnette Mann stellenweis eine rechte Sehnsucht bekommt nach dem pikan¬<lb/>
ten Detail seiner wirklichen Existenz. Nicht mir deshalb, weil sie ihn so sehr<lb/>
zum Götzen gemacht haben, sondern aus einem bessern Grunde. Goethe's Wesen<lb/>
ist mehr und zuweilen besser ans seinem Leben, als ans seinen Schriften zu erkennen.<lb/>
Es ist wunderbar, wie der geniale Mensch überall, wo er dazu kam, einen epi¬<lb/>
schen Ton, einen gewissen Idealismus in daS Treiben seiner Mitmenschen her¬<lb/>
einbrachte, wie Allen der Theil ihres Lebens, den sie mit ihm gemeinsam ver¬<lb/>
lebten, noch in später Erinnerung geweiht und mit einem heiligen Schimmer ver¬<lb/>
blutet erscheint. Und geschah den Männern grade so, wie den Frauen. &#x2014; Alle<lb/>
empfanden etwas Besonderes, Juipoinrendes in ihm, dem sie sich Hingaben, daS<lb/>
befruchtend und verändernd auf ihr Leben wirkte; sie nannten das entweder un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0397] durch den Zauber einer großen und schönen Persönlichkeit unterwarf er sich Dorf und Stadt, Schlafzimmer und Hof; fast 50 Jahre hat er jede Thätigkeit im Reich des deutschen Geistes geleitet, gefördert, bestimmt; er ist der gelehrteste und doch der gesündeste Dichter jener wunderbaren Periode gewesen, wo man durch schöne Gelehrsamkeit und subtile Gefühle die Privilegien der Aristokratie erhielt, das Recht über dem gemeinen Leben des Volkes in reiner Höhe zu stehn und sich anstaunen zu lassen. Das Gemisch von edler Schönheit, jugendlicher Sentimentalität und absto¬ ßender Pedanterie, welches die künstlerischen Erscheinungen jener Periode charakte- risirt, ist durch Goethe auch auf uns übergegangen, noch sind wir Alle unter dem Einfluß seiner Bildung erzogen und die Geschichte der letzten Zeit lehrt, wie die deutsche Volksseele geformt wurde durch die letzten hundert Jahr, deren vollkom¬ menste Blüthe er war. , Deutsche Nation, mein vielbesungener, vielbeschäftigter Herr Geheimer Rath, seit dem Jahr 48 spielst Du Goethe's Dichtungen in der Politik ab. Wie daS Schauspiel Götz vou Berlichingen, so war Deine Erhebung von 48 eine Reihe von kleinen Scenen, Episoden, plastischen Momenten und wie dem Dichter jenes Theaterstücks sehlte Dir die Kraft der dramatische» Concentration; Dein Frank- furter Parlament war wie Egmont, ein Held ohne Thaten, mit brillantem Costüm und edlen Gefühlen, zuletzt ein Opfer der höfischen Intrigue und eigener Ueber¬ schätzung und jener Römer ist das knorrige Klärchen dieses Egmonts; und wieder die Stimmung unsrer Patrioten in diesem Jahr entspricht genau dem Leivcn des jungen Werthers, der sich und seine Zukunft aufgibt, weil ihm ein geliebtes Ideal verloren ist. Jetzt ist die Politik in die Hände der Höfe gekommen, wie Göthe, als er den Werther geschrieben hatte. — Ob das Leben der deutschen Nation unter dem Einfluß der Höfe so weit kommen wird, wie Göthe in Weimar, wollen wir abwarten. — Bei allen deutschen Poeten ist der kleine Klatsch aus ihrem Leben unaus- stehlich, selbst bei Schiller. Bei Goethe aber muß man schon entschuldigen, wenn anch der honnette Mann stellenweis eine rechte Sehnsucht bekommt nach dem pikan¬ ten Detail seiner wirklichen Existenz. Nicht mir deshalb, weil sie ihn so sehr zum Götzen gemacht haben, sondern aus einem bessern Grunde. Goethe's Wesen ist mehr und zuweilen besser ans seinem Leben, als ans seinen Schriften zu erkennen. Es ist wunderbar, wie der geniale Mensch überall, wo er dazu kam, einen epi¬ schen Ton, einen gewissen Idealismus in daS Treiben seiner Mitmenschen her¬ einbrachte, wie Allen der Theil ihres Lebens, den sie mit ihm gemeinsam ver¬ lebten, noch in später Erinnerung geweiht und mit einem heiligen Schimmer ver¬ blutet erscheint. Und geschah den Männern grade so, wie den Frauen. — Alle empfanden etwas Besonderes, Juipoinrendes in ihm, dem sie sich Hingaben, daS befruchtend und verändernd auf ihr Leben wirkte; sie nannten das entweder un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/397
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/397>, abgerufen am 05.02.2025.