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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Die Schätze der Kaiserstadt, das Leben zurückgebliebener Bürger und ihr Eigen¬
thum wäre Preis gegeben gewesen, wenn diese beiden Korporationen sich vertagt
oder aufgelöst hätten; die Anarchie hätte erst ihr Medusenhaupt erhoben. Alle
Vorstellungen, die man dem Fürsten in wohlmeinendster Absicht und Loyalität machte,
scheiterten am Soldaten, der nur von Unterwerfung hören wollte. Seinem Eigen¬
sinn, oder vielmehr seiner Regierungskunst verdankt Wien den Schrecken und die
Verwüstung des Bombardements, die Gräuelscenen der Soldateska und die Blut¬
befleckung der kaiserlichen Burg. Unter den Lügen in den damaligen Proclama-
tionen befindet sich noch jene, daß die Burg durch Proletarier oder Studenten
angezündet worden sei; notorisch erwiesen aber ist es, daß die Kugeln jener Ge¬
schütze, welche vor dem Burgthor aufgestellt waren, den Brand veranlaßten.

Der regierende General, welcher immer von einer kleinen Partei Unruhstifter
gesprochen hatte, hätte i" den ersten Tagen die mildeste Form des Belagerungszustandes
handhaben können, und die ganze Bevölkerung, erlöst vou dem Treiben unreifer
Burschen, wäre ihm jubelnd entgegengekommen. Der Mord Latour's hatte die
Wiener erzürnt, und die Flucht des gütigen Kaisers war den Oestreichern schmerz¬
lich. Windischgrätz aber ließ die Studenten, Legionäre, Fremde, Garden und wer nur
im Geringsten auffällig erschien, zu Hunderten einfangen und in die Gefängnisse
werfen, das Spitzelweseu begann, -- und die Hinrichtungen nahmen ihren Anfang.
Blum's Erschießen electristrte ganz Wien, und erschrocken über die Barbarei und
Unklugheit zugleich, wandten sich alle Einsichtigen gegen den Marschall. Frucht¬
los blieben alle Vorstellungen, trocken, steif und ledern regierte der General wei¬
ter, zu Pulver und Blei begnadigend. Das neue Ministerium: hatte nicht die
Macht, die Plenipotenz des Marschalls aufzuheben, und er ließ erschießen und ver-
urtheilen trotz ihrer Einrede. Der Keim schwerer Erbitterung und vielleicht un-
verlöschbaren Hasses wurde durch diese Unthaten gelegt; der Wiener verschmerzt die
Verschanzungen auf seinen Basteien und die drohenden Geschütze so wenig, wie
die standrechtlichen Urtheile, und Niemand hat der Monarchie eine tiefere Wunde
beigebracht als dieses blutige Schreckenssystem.

Fürst Windischgrätz ritt nach Ungarn, und den Proclamationen mit Andro¬
hung von Vernichtung der Rebellen folgte eine schmähliche Niederlage. Der regie¬
rende General verlor eine ganze wohlausgerüstete Armee und gab den Anlaß, die
Nüssen zu Hilfe zu rufen. Die Vergeltung ereilte den aristokratischen Kurzsich¬
tige", als er zu Gunsten der ungarischen Aristokratie eine Vermittlung versuchte;
vielleicht war dies der glänzendste Punkt seines Wirkens, und Oestreich hätte sich
seine Erniedrigung vor dem Czaar und viel tausend Menschenleben erspart, wenn
die Versöhnung angebahnt worden wäre. Windischgrätz aber fiel, und die Ach¬
tung der Welt folgte ihm nicht.

In Wien trat der Baron Melden an seine Stelle. Er ließ auch erschießen,
einsperren, wegweisen, und was sonst die Staatskunst regierender Generäle erfor-


Die Schätze der Kaiserstadt, das Leben zurückgebliebener Bürger und ihr Eigen¬
thum wäre Preis gegeben gewesen, wenn diese beiden Korporationen sich vertagt
oder aufgelöst hätten; die Anarchie hätte erst ihr Medusenhaupt erhoben. Alle
Vorstellungen, die man dem Fürsten in wohlmeinendster Absicht und Loyalität machte,
scheiterten am Soldaten, der nur von Unterwerfung hören wollte. Seinem Eigen¬
sinn, oder vielmehr seiner Regierungskunst verdankt Wien den Schrecken und die
Verwüstung des Bombardements, die Gräuelscenen der Soldateska und die Blut¬
befleckung der kaiserlichen Burg. Unter den Lügen in den damaligen Proclama-
tionen befindet sich noch jene, daß die Burg durch Proletarier oder Studenten
angezündet worden sei; notorisch erwiesen aber ist es, daß die Kugeln jener Ge¬
schütze, welche vor dem Burgthor aufgestellt waren, den Brand veranlaßten.

Der regierende General, welcher immer von einer kleinen Partei Unruhstifter
gesprochen hatte, hätte i» den ersten Tagen die mildeste Form des Belagerungszustandes
handhaben können, und die ganze Bevölkerung, erlöst vou dem Treiben unreifer
Burschen, wäre ihm jubelnd entgegengekommen. Der Mord Latour's hatte die
Wiener erzürnt, und die Flucht des gütigen Kaisers war den Oestreichern schmerz¬
lich. Windischgrätz aber ließ die Studenten, Legionäre, Fremde, Garden und wer nur
im Geringsten auffällig erschien, zu Hunderten einfangen und in die Gefängnisse
werfen, das Spitzelweseu begann, — und die Hinrichtungen nahmen ihren Anfang.
Blum's Erschießen electristrte ganz Wien, und erschrocken über die Barbarei und
Unklugheit zugleich, wandten sich alle Einsichtigen gegen den Marschall. Frucht¬
los blieben alle Vorstellungen, trocken, steif und ledern regierte der General wei¬
ter, zu Pulver und Blei begnadigend. Das neue Ministerium: hatte nicht die
Macht, die Plenipotenz des Marschalls aufzuheben, und er ließ erschießen und ver-
urtheilen trotz ihrer Einrede. Der Keim schwerer Erbitterung und vielleicht un-
verlöschbaren Hasses wurde durch diese Unthaten gelegt; der Wiener verschmerzt die
Verschanzungen auf seinen Basteien und die drohenden Geschütze so wenig, wie
die standrechtlichen Urtheile, und Niemand hat der Monarchie eine tiefere Wunde
beigebracht als dieses blutige Schreckenssystem.

Fürst Windischgrätz ritt nach Ungarn, und den Proclamationen mit Andro¬
hung von Vernichtung der Rebellen folgte eine schmähliche Niederlage. Der regie¬
rende General verlor eine ganze wohlausgerüstete Armee und gab den Anlaß, die
Nüssen zu Hilfe zu rufen. Die Vergeltung ereilte den aristokratischen Kurzsich¬
tige», als er zu Gunsten der ungarischen Aristokratie eine Vermittlung versuchte;
vielleicht war dies der glänzendste Punkt seines Wirkens, und Oestreich hätte sich
seine Erniedrigung vor dem Czaar und viel tausend Menschenleben erspart, wenn
die Versöhnung angebahnt worden wäre. Windischgrätz aber fiel, und die Ach¬
tung der Welt folgte ihm nicht.

In Wien trat der Baron Melden an seine Stelle. Er ließ auch erschießen,
einsperren, wegweisen, und was sonst die Staatskunst regierender Generäle erfor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/382>, abgerufen am 05.02.2025.