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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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gingen die Ablösungen ihren gewohnten langsamen Gang, als sei die General¬
commission bestimmt, das Heer der auf dem Bauernstande ruhenden Lasten mehr
aufzudecken, als sie wo möglich mit einem Schlage zu vernichten. Es konnte
nicht fehlen, daß hierbei die Entstehung, die Rechtsbeständigkeit mancher dieser
Lasten zur Sprache kam; die Prozeßsucht bemächtigte sich dieser Gegenstände und
mußte bei der großen Verwirrung, in welche ein Heer von Provinzial- und Local-
rechten und Gewohnheiten sie gestürzt hatte, die verschiedenartigsten Rechtsansprüche
herbeiführen. So lud der Ritterstand in wahrhaft thörichter Verblendung den
Haß des vierten oder Bauernstandes auf sich, nicht etwa um sich auf Kosten des
letztern zu bereichern, sondern um einige prunkende Lappen feudaler Herrlichkeit,
die ihrem Wesen nach längst im Grabe moderte, nicht aufzugeben, um den Schein
einer Schutzherrlichkeit zu rette", welche er auszuüben kaum den Willen, gewiß
aber nicht die Kraft hatte. So erwuchs auf den Trümmern der Erbunterthänigkeit
ein Junkerthum, das nichts lernen und nichts vergessen mochte.

Die gewerblichen Zustände des Landbaues waren kaum erfreulicher als die
politischen. Bis zum Jahr 1806 war Schlesien in der Hand eines von der Cen-
tralbehörde fast unabhängigen Provinzialministers. Es geschah wenig für den
Landbau. Zwar waren besouders in Niederschlesien, Dank der Verschwendung
einiger adeligen Geschlechter! -- soweit Majorat- und Fideicommißstistungen
dies zuließen, mehrere große Gutscomplexe in kleinere Vorhäute oder in ein¬
zelne Rittergüter zerfallen, zwar fehlte es nicht ganz an Männern, die landwirth-
schaftliche Bildung aus der Fremde nach Schlesien zu verpflanzen suchten, wie die
Grafen Magnis in der Grafschaft Glatz, Hochberg im schlesischen Gebirge u. A.,
zwar hatte sogar schon im letzten Jahrzehent des verflossenen Jahrhunderts sich
unter einem Grafen Burghauß ein landwirthschaftlicher Verein gebildet, der nicht
wirkungslos geblieben ist; allein alle diese Erscheinungen waren vereinzelt aufge¬
treten, und hatten an der Untüchtigkeit der ausführenden Beamten, an dein ge¬
ringen Grade der Ausbildung der meisten Landwirthe Schwierigkeiten gefunden.
Der größte Theil der Rittergüter war im Besitz verabschiedeter Offiziere, oder
alter Familien des Landadels, die Gutsbeamten waren oft alte treue Diener, die
sich vom Stallknecht zum Verwalter aufgeschwungen hatten, und an die Spitze
ihrer dürftigen Vettern und Basen gestellt wurden; oft auch wurden größere Gü¬
ter durch Vorzeitpachtung benutzt, ohne daß der Pächter den Weg wirthschaftlichen
Schlendrians zu verlassen wußte, woran ihn in den meisten Fällen schon der Pacht-
contract hinderte. Als Muster derartiger, jede freie Bewegung hemmender Con-
tracte konnten vor Allem die Domänen-Pachtverträge gelten. -- Wer in der
Schule gar nichts lernen wollte, den schickten die verdrießlichen Eltern aufs Land,
in jenen Beamten sollte er einen geeigneten Lehrherrn für die Geheimnisse des
Landbaues finden. Diese Verhältnisse waren wenig geeignet, den Uebergang aus
einer veralteten, auf großen Wiesenreichthum und maßlose Arbeitöverschwcnduug


gingen die Ablösungen ihren gewohnten langsamen Gang, als sei die General¬
commission bestimmt, das Heer der auf dem Bauernstande ruhenden Lasten mehr
aufzudecken, als sie wo möglich mit einem Schlage zu vernichten. Es konnte
nicht fehlen, daß hierbei die Entstehung, die Rechtsbeständigkeit mancher dieser
Lasten zur Sprache kam; die Prozeßsucht bemächtigte sich dieser Gegenstände und
mußte bei der großen Verwirrung, in welche ein Heer von Provinzial- und Local-
rechten und Gewohnheiten sie gestürzt hatte, die verschiedenartigsten Rechtsansprüche
herbeiführen. So lud der Ritterstand in wahrhaft thörichter Verblendung den
Haß des vierten oder Bauernstandes auf sich, nicht etwa um sich auf Kosten des
letztern zu bereichern, sondern um einige prunkende Lappen feudaler Herrlichkeit,
die ihrem Wesen nach längst im Grabe moderte, nicht aufzugeben, um den Schein
einer Schutzherrlichkeit zu rette», welche er auszuüben kaum den Willen, gewiß
aber nicht die Kraft hatte. So erwuchs auf den Trümmern der Erbunterthänigkeit
ein Junkerthum, das nichts lernen und nichts vergessen mochte.

Die gewerblichen Zustände des Landbaues waren kaum erfreulicher als die
politischen. Bis zum Jahr 1806 war Schlesien in der Hand eines von der Cen-
tralbehörde fast unabhängigen Provinzialministers. Es geschah wenig für den
Landbau. Zwar waren besouders in Niederschlesien, Dank der Verschwendung
einiger adeligen Geschlechter! — soweit Majorat- und Fideicommißstistungen
dies zuließen, mehrere große Gutscomplexe in kleinere Vorhäute oder in ein¬
zelne Rittergüter zerfallen, zwar fehlte es nicht ganz an Männern, die landwirth-
schaftliche Bildung aus der Fremde nach Schlesien zu verpflanzen suchten, wie die
Grafen Magnis in der Grafschaft Glatz, Hochberg im schlesischen Gebirge u. A.,
zwar hatte sogar schon im letzten Jahrzehent des verflossenen Jahrhunderts sich
unter einem Grafen Burghauß ein landwirthschaftlicher Verein gebildet, der nicht
wirkungslos geblieben ist; allein alle diese Erscheinungen waren vereinzelt aufge¬
treten, und hatten an der Untüchtigkeit der ausführenden Beamten, an dein ge¬
ringen Grade der Ausbildung der meisten Landwirthe Schwierigkeiten gefunden.
Der größte Theil der Rittergüter war im Besitz verabschiedeter Offiziere, oder
alter Familien des Landadels, die Gutsbeamten waren oft alte treue Diener, die
sich vom Stallknecht zum Verwalter aufgeschwungen hatten, und an die Spitze
ihrer dürftigen Vettern und Basen gestellt wurden; oft auch wurden größere Gü¬
ter durch Vorzeitpachtung benutzt, ohne daß der Pächter den Weg wirthschaftlichen
Schlendrians zu verlassen wußte, woran ihn in den meisten Fällen schon der Pacht-
contract hinderte. Als Muster derartiger, jede freie Bewegung hemmender Con-
tracte konnten vor Allem die Domänen-Pachtverträge gelten. — Wer in der
Schule gar nichts lernen wollte, den schickten die verdrießlichen Eltern aufs Land,
in jenen Beamten sollte er einen geeigneten Lehrherrn für die Geheimnisse des
Landbaues finden. Diese Verhältnisse waren wenig geeignet, den Uebergang aus
einer veralteten, auf großen Wiesenreichthum und maßlose Arbeitöverschwcnduug


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[0372] gingen die Ablösungen ihren gewohnten langsamen Gang, als sei die General¬ commission bestimmt, das Heer der auf dem Bauernstande ruhenden Lasten mehr aufzudecken, als sie wo möglich mit einem Schlage zu vernichten. Es konnte nicht fehlen, daß hierbei die Entstehung, die Rechtsbeständigkeit mancher dieser Lasten zur Sprache kam; die Prozeßsucht bemächtigte sich dieser Gegenstände und mußte bei der großen Verwirrung, in welche ein Heer von Provinzial- und Local- rechten und Gewohnheiten sie gestürzt hatte, die verschiedenartigsten Rechtsansprüche herbeiführen. So lud der Ritterstand in wahrhaft thörichter Verblendung den Haß des vierten oder Bauernstandes auf sich, nicht etwa um sich auf Kosten des letztern zu bereichern, sondern um einige prunkende Lappen feudaler Herrlichkeit, die ihrem Wesen nach längst im Grabe moderte, nicht aufzugeben, um den Schein einer Schutzherrlichkeit zu rette», welche er auszuüben kaum den Willen, gewiß aber nicht die Kraft hatte. So erwuchs auf den Trümmern der Erbunterthänigkeit ein Junkerthum, das nichts lernen und nichts vergessen mochte. Die gewerblichen Zustände des Landbaues waren kaum erfreulicher als die politischen. Bis zum Jahr 1806 war Schlesien in der Hand eines von der Cen- tralbehörde fast unabhängigen Provinzialministers. Es geschah wenig für den Landbau. Zwar waren besouders in Niederschlesien, Dank der Verschwendung einiger adeligen Geschlechter! — soweit Majorat- und Fideicommißstistungen dies zuließen, mehrere große Gutscomplexe in kleinere Vorhäute oder in ein¬ zelne Rittergüter zerfallen, zwar fehlte es nicht ganz an Männern, die landwirth- schaftliche Bildung aus der Fremde nach Schlesien zu verpflanzen suchten, wie die Grafen Magnis in der Grafschaft Glatz, Hochberg im schlesischen Gebirge u. A., zwar hatte sogar schon im letzten Jahrzehent des verflossenen Jahrhunderts sich unter einem Grafen Burghauß ein landwirthschaftlicher Verein gebildet, der nicht wirkungslos geblieben ist; allein alle diese Erscheinungen waren vereinzelt aufge¬ treten, und hatten an der Untüchtigkeit der ausführenden Beamten, an dein ge¬ ringen Grade der Ausbildung der meisten Landwirthe Schwierigkeiten gefunden. Der größte Theil der Rittergüter war im Besitz verabschiedeter Offiziere, oder alter Familien des Landadels, die Gutsbeamten waren oft alte treue Diener, die sich vom Stallknecht zum Verwalter aufgeschwungen hatten, und an die Spitze ihrer dürftigen Vettern und Basen gestellt wurden; oft auch wurden größere Gü¬ ter durch Vorzeitpachtung benutzt, ohne daß der Pächter den Weg wirthschaftlichen Schlendrians zu verlassen wußte, woran ihn in den meisten Fällen schon der Pacht- contract hinderte. Als Muster derartiger, jede freie Bewegung hemmender Con- tracte konnten vor Allem die Domänen-Pachtverträge gelten. — Wer in der Schule gar nichts lernen wollte, den schickten die verdrießlichen Eltern aufs Land, in jenen Beamten sollte er einen geeigneten Lehrherrn für die Geheimnisse des Landbaues finden. Diese Verhältnisse waren wenig geeignet, den Uebergang aus einer veralteten, auf großen Wiesenreichthum und maßlose Arbeitöverschwcnduug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/372>, abgerufen am 05.02.2025.