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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Gutsbesitzer benutzte den Kredit zu immer neuen, größeren Erwerbungen, ohne
die landwirtschaftliche Industrie zu heben, die immer nach wie vor uoch in den
Banden des Robotwesens verkümmerte. So wuchs die Verschuldung, aber uicht
der Ertrag der Landgüter, obschon dieselben gleich einer Handelöwaare zu immer
höhern Preisen rasch aus einer Hand in die andre gingen, so daß von der alten
Patriarchalischen Einrichtung der Gutsherrlichkeit bald nichts mehr übrig blieb, als
die Last des Dienstzwanges, welche das Band feudaler Anhänglichkeit nicht mehr
wie früher milderte. -- So faud uus im Jahr 1806 der Krieg mit Frankreich, so
die Nefornigesctze, welche ihm folgten.

Frei sollten der Grund und Boden und seine Bebauer werden, das verhieß
die preußische Agrar-Gesetzgebung in den Verordnungen vom !>. October 1807
und 14. September 18 it. Doch die Gerechtigkeit verlangte volle Entschädigung
der berechtigten Grundherren, und deutsche Gründlichkeit verfehlte nicht, das Ab¬
lösungsgeschäft so in die Länge zu ziehen, daß es bis heut, also nach 40 Jahren
noch nicht beendet werden konnte. Und andere Bedenken mischten sich herein, Viele
fürchteten, man habe dem Volke schon zu viel Freiheit gegeben, man müsse suchen,
die Zügel wieder etwas straffer anzuziehen, man könne das Verhältniß der Guts-
Herrlichkeit nicht vernichten, ohne deu Thron zu erschüttern, die Aristokratie sei
die Stütze der monarchischen Gewalt. In diesem Sinne suchte auch die provin-
zialstäudische Verfassung, welche man nach langem Zögern dem preußischen Volke
gönnte, die ländlichen Verhältnisse zu ordnen. Man spaltete die ländlichen In¬
teressen in zwei große aber ungleiche Theile: Ritter- und Bauernstand, zierte den
ersten mit Viril-, Cnrial- und Gott weiß noch was sonst für Stimmen, zu denen
der Reichthum an aristokratischen Titeln und Würden, dessen Schlesiens Adel sich
erfreute, eine vortreffliche Gelegenheit bot, und ließ den letztem dnrch 14 bäuer¬
liche Stimme" gegenüber der dreifachen Zahl der ritterlichen vertreten. Dadurch
drängte man sogleich die Vertreter gleicher Interessen und Wünsche auseinander
Und trieb deu Bauernstand zu einer Verbindung mit dem dritten, dem Bürger¬
stande, weil der Bauer nur erwarten durste, in Verbindung mit diesem seiner
Meinung hin und wieder Geltung zu verschaffen. Wohl sprach mau viel von
der Kräftigung des Bauernstandes, doch vergebens wiesen seine wenigen, aber
zum Theil sehr tüchtigen Vertreter darauf hin, daß die ganze Zusammensetzung
der Kreisversammlungen, die Art der Landrathswahlen und manches andre offen¬
bar eine Verhöhnung der Interessen des Bauernstandes sei; vergebens baten sie,
daß auch ihr Kredit durch Associationen gleich den ständischen gesichert werde;
vergebens hatten aufgeklärte Juristen längst auf die klägliche Unlmltbaikeit der
Patrimonialgerichte, so wie des cximirtcn Gerichtsstandes hingewiesen; der Stand
der Ritter hielt starr und sest an seinem formalen Recht und erbitterte den Vancrn-
stand hierdurch nur um so mehr, als das ungünstige Stimmenverhältniß ihm jede
Möglichkeit abschnitt, sich auf gesetzlichem Wege Geltung zu verschaffen. Dabei


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Gutsbesitzer benutzte den Kredit zu immer neuen, größeren Erwerbungen, ohne
die landwirtschaftliche Industrie zu heben, die immer nach wie vor uoch in den
Banden des Robotwesens verkümmerte. So wuchs die Verschuldung, aber uicht
der Ertrag der Landgüter, obschon dieselben gleich einer Handelöwaare zu immer
höhern Preisen rasch aus einer Hand in die andre gingen, so daß von der alten
Patriarchalischen Einrichtung der Gutsherrlichkeit bald nichts mehr übrig blieb, als
die Last des Dienstzwanges, welche das Band feudaler Anhänglichkeit nicht mehr
wie früher milderte. — So faud uus im Jahr 1806 der Krieg mit Frankreich, so
die Nefornigesctze, welche ihm folgten.

Frei sollten der Grund und Boden und seine Bebauer werden, das verhieß
die preußische Agrar-Gesetzgebung in den Verordnungen vom !>. October 1807
und 14. September 18 it. Doch die Gerechtigkeit verlangte volle Entschädigung
der berechtigten Grundherren, und deutsche Gründlichkeit verfehlte nicht, das Ab¬
lösungsgeschäft so in die Länge zu ziehen, daß es bis heut, also nach 40 Jahren
noch nicht beendet werden konnte. Und andere Bedenken mischten sich herein, Viele
fürchteten, man habe dem Volke schon zu viel Freiheit gegeben, man müsse suchen,
die Zügel wieder etwas straffer anzuziehen, man könne das Verhältniß der Guts-
Herrlichkeit nicht vernichten, ohne deu Thron zu erschüttern, die Aristokratie sei
die Stütze der monarchischen Gewalt. In diesem Sinne suchte auch die provin-
zialstäudische Verfassung, welche man nach langem Zögern dem preußischen Volke
gönnte, die ländlichen Verhältnisse zu ordnen. Man spaltete die ländlichen In¬
teressen in zwei große aber ungleiche Theile: Ritter- und Bauernstand, zierte den
ersten mit Viril-, Cnrial- und Gott weiß noch was sonst für Stimmen, zu denen
der Reichthum an aristokratischen Titeln und Würden, dessen Schlesiens Adel sich
erfreute, eine vortreffliche Gelegenheit bot, und ließ den letztem dnrch 14 bäuer¬
liche Stimme» gegenüber der dreifachen Zahl der ritterlichen vertreten. Dadurch
drängte man sogleich die Vertreter gleicher Interessen und Wünsche auseinander
Und trieb deu Bauernstand zu einer Verbindung mit dem dritten, dem Bürger¬
stande, weil der Bauer nur erwarten durste, in Verbindung mit diesem seiner
Meinung hin und wieder Geltung zu verschaffen. Wohl sprach mau viel von
der Kräftigung des Bauernstandes, doch vergebens wiesen seine wenigen, aber
zum Theil sehr tüchtigen Vertreter darauf hin, daß die ganze Zusammensetzung
der Kreisversammlungen, die Art der Landrathswahlen und manches andre offen¬
bar eine Verhöhnung der Interessen des Bauernstandes sei; vergebens baten sie,
daß auch ihr Kredit durch Associationen gleich den ständischen gesichert werde;
vergebens hatten aufgeklärte Juristen längst auf die klägliche Unlmltbaikeit der
Patrimonialgerichte, so wie des cximirtcn Gerichtsstandes hingewiesen; der Stand
der Ritter hielt starr und sest an seinem formalen Recht und erbitterte den Vancrn-
stand hierdurch nur um so mehr, als das ungünstige Stimmenverhältniß ihm jede
Möglichkeit abschnitt, sich auf gesetzlichem Wege Geltung zu verschaffen. Dabei


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[0371] Gutsbesitzer benutzte den Kredit zu immer neuen, größeren Erwerbungen, ohne die landwirtschaftliche Industrie zu heben, die immer nach wie vor uoch in den Banden des Robotwesens verkümmerte. So wuchs die Verschuldung, aber uicht der Ertrag der Landgüter, obschon dieselben gleich einer Handelöwaare zu immer höhern Preisen rasch aus einer Hand in die andre gingen, so daß von der alten Patriarchalischen Einrichtung der Gutsherrlichkeit bald nichts mehr übrig blieb, als die Last des Dienstzwanges, welche das Band feudaler Anhänglichkeit nicht mehr wie früher milderte. — So faud uus im Jahr 1806 der Krieg mit Frankreich, so die Nefornigesctze, welche ihm folgten. Frei sollten der Grund und Boden und seine Bebauer werden, das verhieß die preußische Agrar-Gesetzgebung in den Verordnungen vom !>. October 1807 und 14. September 18 it. Doch die Gerechtigkeit verlangte volle Entschädigung der berechtigten Grundherren, und deutsche Gründlichkeit verfehlte nicht, das Ab¬ lösungsgeschäft so in die Länge zu ziehen, daß es bis heut, also nach 40 Jahren noch nicht beendet werden konnte. Und andere Bedenken mischten sich herein, Viele fürchteten, man habe dem Volke schon zu viel Freiheit gegeben, man müsse suchen, die Zügel wieder etwas straffer anzuziehen, man könne das Verhältniß der Guts- Herrlichkeit nicht vernichten, ohne deu Thron zu erschüttern, die Aristokratie sei die Stütze der monarchischen Gewalt. In diesem Sinne suchte auch die provin- zialstäudische Verfassung, welche man nach langem Zögern dem preußischen Volke gönnte, die ländlichen Verhältnisse zu ordnen. Man spaltete die ländlichen In¬ teressen in zwei große aber ungleiche Theile: Ritter- und Bauernstand, zierte den ersten mit Viril-, Cnrial- und Gott weiß noch was sonst für Stimmen, zu denen der Reichthum an aristokratischen Titeln und Würden, dessen Schlesiens Adel sich erfreute, eine vortreffliche Gelegenheit bot, und ließ den letztem dnrch 14 bäuer¬ liche Stimme» gegenüber der dreifachen Zahl der ritterlichen vertreten. Dadurch drängte man sogleich die Vertreter gleicher Interessen und Wünsche auseinander Und trieb deu Bauernstand zu einer Verbindung mit dem dritten, dem Bürger¬ stande, weil der Bauer nur erwarten durste, in Verbindung mit diesem seiner Meinung hin und wieder Geltung zu verschaffen. Wohl sprach mau viel von der Kräftigung des Bauernstandes, doch vergebens wiesen seine wenigen, aber zum Theil sehr tüchtigen Vertreter darauf hin, daß die ganze Zusammensetzung der Kreisversammlungen, die Art der Landrathswahlen und manches andre offen¬ bar eine Verhöhnung der Interessen des Bauernstandes sei; vergebens baten sie, daß auch ihr Kredit durch Associationen gleich den ständischen gesichert werde; vergebens hatten aufgeklärte Juristen längst auf die klägliche Unlmltbaikeit der Patrimonialgerichte, so wie des cximirtcn Gerichtsstandes hingewiesen; der Stand der Ritter hielt starr und sest an seinem formalen Recht und erbitterte den Vancrn- stand hierdurch nur um so mehr, als das ungünstige Stimmenverhältniß ihm jede Möglichkeit abschnitt, sich auf gesetzlichem Wege Geltung zu verschaffen. Dabei 47"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/371>, abgerufen am 05.02.2025.