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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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unnötige Sinn ihrer Programms: Deutschland sollte preußisch, und dafür Preußen
deutsch werden, d. h., das specifische Preußenthum, das nur im Gegensatz zu
einer Reihe eifersüchtiger, mehr oder minder feindlich gesinnter Kleinstaaten be¬
stand, sollte mit der Aufhebung dieses Gegensatzes zugleich fallen.

Die preußische Negierung hat das Programm aufgenommen; ans der einen
Seite hat sie ihm einen schärferen Ausdruck gegeben, indem sie den preußischen
Kriegerstaat bestimmter als Mittelpunkt des neuen Ganzen hinstellte; auf der an¬
dern hat sie es abgeschwächt, indem sie der Gewalt der einzelnen Dynasten grö¬
ßern Spielraum ließ. Das erste war eigentlich nur ein Streit der Eitelkeit, das
zweite nur ein quantitativer Unterschied, der mit der Zeit sich aufheben mußte,
denn daß der Eintritt der kleinen Staaten in den constitutionellen Bundesstaat
der erste Schritt zum Aufgeben ihrer freilich nur chimärischen Souveränität ist, wird
wohl aller Welt einleuchten. Ich bemerke beiläufig, daß der augenblickliche Ein¬
tritt Baierns und Würtembergs in den neuen Bundesstaat mir weder nothwendig
noch selbst in allen Beziehungen wünschenswert!) erscheint.

Es ist den deutschen Dynasten und ihren nächsten Angehörigen nicht zu ver¬
denken, wenn sie sich gegen einen solchen Schritt sträuben, so lange es geht. Es
ist vom preußischen Cabinet ganz in der Ordnung, wenn man diesem Schritt die
mildesten Formen zu geben sucht. Vor allen Dingen ist die politische Nothwen¬
digkeit ins Auge zu fassen. Ueber kurz oder lang wird doch Preußen in irgend
einen Krieg verwickelt werden. Entweder lassen sich dann die kleinen Souveräne
ins Schlepptau nehmen, und dann ist ihre Lage um nichts gebessert, oder sie tre¬
ten auf Seite des Gegners, und dann werden sie von Preußen erobert. Es bleibt
freilich noch der Fall, daß Preußen selber untergeht; das ist möglich aber nicht
wahrscheinlich, und auch dann ist die Lage Kleindentschlands keine beneidenswerthe.
Außerdem könnten die Fürsten aus den letzten Ereignissen wohl gelernt haben, daß
sie sich in dem eignen Lande ohne Preußen auf die Länge nicht behaupten werden.
Die Frage ist also nur, ob man mit Freiheit und Würde ein großes Opfer bringt,
das dem Ganzen wie dem Einzelnen förderlich ist, oder ob man es sich von der
Noth abdrängen läßt.

Ich komme jetzt auf das Verhältniß Oestreichs zu Preußen, dem eigentlichen
Knotenpunkt der Frage. Die der Kammer vorgelegten Actenstücke geben darüber
sehr interessante Aufschlüsse.

Oestreich hat in Beziehung ans Preußen ein doppeltes Interesse. Einmal
daß es enge mit ihm verbündet bleibt, sodann, daß Preußen nicht zu mäch¬
tig wird.

Ueber den ersten Punkt könnte jetzt freilich, da Oestreich dnrch seine letzten
großen Siege die alte Macht wieder gewonnen, ein Zweifel erhoben worden. Aber


unnötige Sinn ihrer Programms: Deutschland sollte preußisch, und dafür Preußen
deutsch werden, d. h., das specifische Preußenthum, das nur im Gegensatz zu
einer Reihe eifersüchtiger, mehr oder minder feindlich gesinnter Kleinstaaten be¬
stand, sollte mit der Aufhebung dieses Gegensatzes zugleich fallen.

Die preußische Negierung hat das Programm aufgenommen; ans der einen
Seite hat sie ihm einen schärferen Ausdruck gegeben, indem sie den preußischen
Kriegerstaat bestimmter als Mittelpunkt des neuen Ganzen hinstellte; auf der an¬
dern hat sie es abgeschwächt, indem sie der Gewalt der einzelnen Dynasten grö¬
ßern Spielraum ließ. Das erste war eigentlich nur ein Streit der Eitelkeit, das
zweite nur ein quantitativer Unterschied, der mit der Zeit sich aufheben mußte,
denn daß der Eintritt der kleinen Staaten in den constitutionellen Bundesstaat
der erste Schritt zum Aufgeben ihrer freilich nur chimärischen Souveränität ist, wird
wohl aller Welt einleuchten. Ich bemerke beiläufig, daß der augenblickliche Ein¬
tritt Baierns und Würtembergs in den neuen Bundesstaat mir weder nothwendig
noch selbst in allen Beziehungen wünschenswert!) erscheint.

Es ist den deutschen Dynasten und ihren nächsten Angehörigen nicht zu ver¬
denken, wenn sie sich gegen einen solchen Schritt sträuben, so lange es geht. Es
ist vom preußischen Cabinet ganz in der Ordnung, wenn man diesem Schritt die
mildesten Formen zu geben sucht. Vor allen Dingen ist die politische Nothwen¬
digkeit ins Auge zu fassen. Ueber kurz oder lang wird doch Preußen in irgend
einen Krieg verwickelt werden. Entweder lassen sich dann die kleinen Souveräne
ins Schlepptau nehmen, und dann ist ihre Lage um nichts gebessert, oder sie tre¬
ten auf Seite des Gegners, und dann werden sie von Preußen erobert. Es bleibt
freilich noch der Fall, daß Preußen selber untergeht; das ist möglich aber nicht
wahrscheinlich, und auch dann ist die Lage Kleindentschlands keine beneidenswerthe.
Außerdem könnten die Fürsten aus den letzten Ereignissen wohl gelernt haben, daß
sie sich in dem eignen Lande ohne Preußen auf die Länge nicht behaupten werden.
Die Frage ist also nur, ob man mit Freiheit und Würde ein großes Opfer bringt,
das dem Ganzen wie dem Einzelnen förderlich ist, oder ob man es sich von der
Noth abdrängen läßt.

Ich komme jetzt auf das Verhältniß Oestreichs zu Preußen, dem eigentlichen
Knotenpunkt der Frage. Die der Kammer vorgelegten Actenstücke geben darüber
sehr interessante Aufschlüsse.

Oestreich hat in Beziehung ans Preußen ein doppeltes Interesse. Einmal
daß es enge mit ihm verbündet bleibt, sodann, daß Preußen nicht zu mäch¬
tig wird.

Ueber den ersten Punkt könnte jetzt freilich, da Oestreich dnrch seine letzten
großen Siege die alte Macht wieder gewonnen, ein Zweifel erhoben worden. Aber


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[0364] unnötige Sinn ihrer Programms: Deutschland sollte preußisch, und dafür Preußen deutsch werden, d. h., das specifische Preußenthum, das nur im Gegensatz zu einer Reihe eifersüchtiger, mehr oder minder feindlich gesinnter Kleinstaaten be¬ stand, sollte mit der Aufhebung dieses Gegensatzes zugleich fallen. Die preußische Negierung hat das Programm aufgenommen; ans der einen Seite hat sie ihm einen schärferen Ausdruck gegeben, indem sie den preußischen Kriegerstaat bestimmter als Mittelpunkt des neuen Ganzen hinstellte; auf der an¬ dern hat sie es abgeschwächt, indem sie der Gewalt der einzelnen Dynasten grö¬ ßern Spielraum ließ. Das erste war eigentlich nur ein Streit der Eitelkeit, das zweite nur ein quantitativer Unterschied, der mit der Zeit sich aufheben mußte, denn daß der Eintritt der kleinen Staaten in den constitutionellen Bundesstaat der erste Schritt zum Aufgeben ihrer freilich nur chimärischen Souveränität ist, wird wohl aller Welt einleuchten. Ich bemerke beiläufig, daß der augenblickliche Ein¬ tritt Baierns und Würtembergs in den neuen Bundesstaat mir weder nothwendig noch selbst in allen Beziehungen wünschenswert!) erscheint. Es ist den deutschen Dynasten und ihren nächsten Angehörigen nicht zu ver¬ denken, wenn sie sich gegen einen solchen Schritt sträuben, so lange es geht. Es ist vom preußischen Cabinet ganz in der Ordnung, wenn man diesem Schritt die mildesten Formen zu geben sucht. Vor allen Dingen ist die politische Nothwen¬ digkeit ins Auge zu fassen. Ueber kurz oder lang wird doch Preußen in irgend einen Krieg verwickelt werden. Entweder lassen sich dann die kleinen Souveräne ins Schlepptau nehmen, und dann ist ihre Lage um nichts gebessert, oder sie tre¬ ten auf Seite des Gegners, und dann werden sie von Preußen erobert. Es bleibt freilich noch der Fall, daß Preußen selber untergeht; das ist möglich aber nicht wahrscheinlich, und auch dann ist die Lage Kleindentschlands keine beneidenswerthe. Außerdem könnten die Fürsten aus den letzten Ereignissen wohl gelernt haben, daß sie sich in dem eignen Lande ohne Preußen auf die Länge nicht behaupten werden. Die Frage ist also nur, ob man mit Freiheit und Würde ein großes Opfer bringt, das dem Ganzen wie dem Einzelnen förderlich ist, oder ob man es sich von der Noth abdrängen läßt. Ich komme jetzt auf das Verhältniß Oestreichs zu Preußen, dem eigentlichen Knotenpunkt der Frage. Die der Kammer vorgelegten Actenstücke geben darüber sehr interessante Aufschlüsse. Oestreich hat in Beziehung ans Preußen ein doppeltes Interesse. Einmal daß es enge mit ihm verbündet bleibt, sodann, daß Preußen nicht zu mäch¬ tig wird. Ueber den ersten Punkt könnte jetzt freilich, da Oestreich dnrch seine letzten großen Siege die alte Macht wieder gewonnen, ein Zweifel erhoben worden. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/364>, abgerufen am 05.02.2025.