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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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neue übertrug; in allen diesen Fällen hätte die einheitliche Regierung mit Gewalt
die bestehenden Mächte unterwerfen, und sie geradezu vernichten müssen.

Die gleichzeitige Existenz Oestreichs und Preußens in einem Staate ist mit
einer einheitliche" Negierung unverträglich. Sie ist es aber auch mit einem
Direktorium, wenn dasselbe auch nur um einen Schritt über die blos völker¬
rechtlichen Beziehungen des alten Bundestags Hinausgehen sollte, denn das Direc-
torium hätte, Preußen gegenüber, nicht mehr Macht gehabt, als Oestreich allein,
und umgekehrt.

Sie ist ferner unverträglich mit einer Nationalrepräsentation:
denn eine Volksvertretung ohne eine entgegenstehende, ihr verantwortliche einheit¬
liche Negierung ist eine Absurdität. Dieser Satz kann nicht oft genug wiederholt
werden, eben weil er durch den souveränen Unverstand des vorigen Jahres fort¬
während verkannt ist: der Complex der 38 deutschen Monarchien kann nur in der
losen Form des Staatenbundes existiren. Nur bestimmte gleichartige Zwecke
können eine positive Thätigkeit desselben erzeugen: z.B. gemeinsame Abwehr eines
äußern Feindes, aber auch nur so lauge, als nicht der eine oder der andere
Staat es für nützlicher erachtet, mit dem Feinde zu contrahiren; ein Zollverein,
so lange sich dem einzelnen nicht günstigere Bündnisse darbieten u. s. w. Die
günstigsten Chancen hat noch ein Wechselcongreß, aus Sachverständigen zusammen¬
gesetzt.

Aus diesem bewußten oder unbewußten Gefühl von der Unmöglichkeit, Deutsch¬
land in einen Bundesstaat zu verwandeln, kam man auf einen andern Gedanken.
Man erlaube mir, denselben so kraß als möglich auszudrücken, weil man in der
liederlichen Phrasenwirthschaft unserer Tage starke Farben auftragen muß, wenn
man überhaupt verstanden sein will. Während man im Anfang Oestreich und
Preußen hatte zerschlagen wollen, um einen neuen aus lauter Kleinstaaten zusam¬
mengesetzten Föderativstaat hervorzubringen, nahm man, sobald man zu der Ein¬
sicht kam, daß beide Staaten doch auf zu festen Füßen ständen, die Wendung,
Oestreich und Preußen bestehen zu lassen, und die Kleinstaaten dadurch aus ihren
unpolitischen Wesen herauszutreiben, daß man sie dem einen oder dem andern
dieser Großstaaten einverleibte. Aus sehr begreifliche" Gründen zog man Preußen
vor, hauptsächlich seiner geographischen Lage wegen: weil es ein Staat ist, der
nothwendig ebenso der Ergänzung bedarf, als die kleinen Staaten, während Oest¬
reich dergestalt abgerundet ist, daß es eine bedeutende Ausdehnung gar uicht er¬
tragen würde. Außerdem führen die materiellen Interessen den größten Theil
Deutschlands -- ich will uur Baiern aufnehmen, und auch dieses nur zum Theil -
dem Norden zu.

Freilich hat die Partei Gagern nicht gewagt, diesen Gedanken auszusprechen,
sie hat nicht einmal gewagt, ihn zu denken. Aber das ist doch der einzige ver-


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neue übertrug; in allen diesen Fällen hätte die einheitliche Regierung mit Gewalt
die bestehenden Mächte unterwerfen, und sie geradezu vernichten müssen.

Die gleichzeitige Existenz Oestreichs und Preußens in einem Staate ist mit
einer einheitliche» Negierung unverträglich. Sie ist es aber auch mit einem
Direktorium, wenn dasselbe auch nur um einen Schritt über die blos völker¬
rechtlichen Beziehungen des alten Bundestags Hinausgehen sollte, denn das Direc-
torium hätte, Preußen gegenüber, nicht mehr Macht gehabt, als Oestreich allein,
und umgekehrt.

Sie ist ferner unverträglich mit einer Nationalrepräsentation:
denn eine Volksvertretung ohne eine entgegenstehende, ihr verantwortliche einheit¬
liche Negierung ist eine Absurdität. Dieser Satz kann nicht oft genug wiederholt
werden, eben weil er durch den souveränen Unverstand des vorigen Jahres fort¬
während verkannt ist: der Complex der 38 deutschen Monarchien kann nur in der
losen Form des Staatenbundes existiren. Nur bestimmte gleichartige Zwecke
können eine positive Thätigkeit desselben erzeugen: z.B. gemeinsame Abwehr eines
äußern Feindes, aber auch nur so lauge, als nicht der eine oder der andere
Staat es für nützlicher erachtet, mit dem Feinde zu contrahiren; ein Zollverein,
so lange sich dem einzelnen nicht günstigere Bündnisse darbieten u. s. w. Die
günstigsten Chancen hat noch ein Wechselcongreß, aus Sachverständigen zusammen¬
gesetzt.

Aus diesem bewußten oder unbewußten Gefühl von der Unmöglichkeit, Deutsch¬
land in einen Bundesstaat zu verwandeln, kam man auf einen andern Gedanken.
Man erlaube mir, denselben so kraß als möglich auszudrücken, weil man in der
liederlichen Phrasenwirthschaft unserer Tage starke Farben auftragen muß, wenn
man überhaupt verstanden sein will. Während man im Anfang Oestreich und
Preußen hatte zerschlagen wollen, um einen neuen aus lauter Kleinstaaten zusam¬
mengesetzten Föderativstaat hervorzubringen, nahm man, sobald man zu der Ein¬
sicht kam, daß beide Staaten doch auf zu festen Füßen ständen, die Wendung,
Oestreich und Preußen bestehen zu lassen, und die Kleinstaaten dadurch aus ihren
unpolitischen Wesen herauszutreiben, daß man sie dem einen oder dem andern
dieser Großstaaten einverleibte. Aus sehr begreifliche» Gründen zog man Preußen
vor, hauptsächlich seiner geographischen Lage wegen: weil es ein Staat ist, der
nothwendig ebenso der Ergänzung bedarf, als die kleinen Staaten, während Oest¬
reich dergestalt abgerundet ist, daß es eine bedeutende Ausdehnung gar uicht er¬
tragen würde. Außerdem führen die materiellen Interessen den größten Theil
Deutschlands — ich will uur Baiern aufnehmen, und auch dieses nur zum Theil -
dem Norden zu.

Freilich hat die Partei Gagern nicht gewagt, diesen Gedanken auszusprechen,
sie hat nicht einmal gewagt, ihn zu denken. Aber das ist doch der einzige ver-


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[0363] neue übertrug; in allen diesen Fällen hätte die einheitliche Regierung mit Gewalt die bestehenden Mächte unterwerfen, und sie geradezu vernichten müssen. Die gleichzeitige Existenz Oestreichs und Preußens in einem Staate ist mit einer einheitliche» Negierung unverträglich. Sie ist es aber auch mit einem Direktorium, wenn dasselbe auch nur um einen Schritt über die blos völker¬ rechtlichen Beziehungen des alten Bundestags Hinausgehen sollte, denn das Direc- torium hätte, Preußen gegenüber, nicht mehr Macht gehabt, als Oestreich allein, und umgekehrt. Sie ist ferner unverträglich mit einer Nationalrepräsentation: denn eine Volksvertretung ohne eine entgegenstehende, ihr verantwortliche einheit¬ liche Negierung ist eine Absurdität. Dieser Satz kann nicht oft genug wiederholt werden, eben weil er durch den souveränen Unverstand des vorigen Jahres fort¬ während verkannt ist: der Complex der 38 deutschen Monarchien kann nur in der losen Form des Staatenbundes existiren. Nur bestimmte gleichartige Zwecke können eine positive Thätigkeit desselben erzeugen: z.B. gemeinsame Abwehr eines äußern Feindes, aber auch nur so lauge, als nicht der eine oder der andere Staat es für nützlicher erachtet, mit dem Feinde zu contrahiren; ein Zollverein, so lange sich dem einzelnen nicht günstigere Bündnisse darbieten u. s. w. Die günstigsten Chancen hat noch ein Wechselcongreß, aus Sachverständigen zusammen¬ gesetzt. Aus diesem bewußten oder unbewußten Gefühl von der Unmöglichkeit, Deutsch¬ land in einen Bundesstaat zu verwandeln, kam man auf einen andern Gedanken. Man erlaube mir, denselben so kraß als möglich auszudrücken, weil man in der liederlichen Phrasenwirthschaft unserer Tage starke Farben auftragen muß, wenn man überhaupt verstanden sein will. Während man im Anfang Oestreich und Preußen hatte zerschlagen wollen, um einen neuen aus lauter Kleinstaaten zusam¬ mengesetzten Föderativstaat hervorzubringen, nahm man, sobald man zu der Ein¬ sicht kam, daß beide Staaten doch auf zu festen Füßen ständen, die Wendung, Oestreich und Preußen bestehen zu lassen, und die Kleinstaaten dadurch aus ihren unpolitischen Wesen herauszutreiben, daß man sie dem einen oder dem andern dieser Großstaaten einverleibte. Aus sehr begreifliche» Gründen zog man Preußen vor, hauptsächlich seiner geographischen Lage wegen: weil es ein Staat ist, der nothwendig ebenso der Ergänzung bedarf, als die kleinen Staaten, während Oest¬ reich dergestalt abgerundet ist, daß es eine bedeutende Ausdehnung gar uicht er¬ tragen würde. Außerdem führen die materiellen Interessen den größten Theil Deutschlands — ich will uur Baiern aufnehmen, und auch dieses nur zum Theil - dem Norden zu. Freilich hat die Partei Gagern nicht gewagt, diesen Gedanken auszusprechen, sie hat nicht einmal gewagt, ihn zu denken. Aber das ist doch der einzige ver- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/363>, abgerufen am 05.02.2025.