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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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das wäre eine Illusion. Der Sieg selber hat sein Bedenkliches, denn er macht
Oestreich von Rußland abhängig, und verwandelt den ganzen Staat eigentlich in
eine Reihe eroberter Provinzen, die unwillig dem siegreichen Joch sich beugen, so
lange sie uicht durch ein wirkliches Interesse an den Kaiserstaat gefesselt sind.
Außerdem concentrirt sich das wahre Interesse Oestreichs auf die slavischen Ost-
seeprovinzen und auf Italien. Auch die schlechteste Regierung wird das auf die
Länge nicht verkennen können. Die eigentlichen Gegner Oestreichs sind Frankreich
und Rußland. Um im Süden und Osten freies Spiel zu haben, bedarf es im
Norden einer mächtigen Hilfe. Diese kann ihm nur Preußen gewähren, um so
mehr, da seine Interessen in jenen Punkten nirgend collidiren. Eine enge, völker¬
rechtliche Allianz mit Preußen ist also für Oestreich eine politische Nothwendigkeit.

Zu dem Wunsche, Preußen nicht zu mächtig werdeu zu lassen, treibt es
ein doppelter Grund. Einmal die natürliche Eifersucht. Am liebsten möchte es
freilich die Hegemonie in Deutschland führen, wie in Italien und der türkischen
Grenze. Es hat dabei freilich mit einem diplomatisch sehr ungeübten Gegner zu
thun, aber auf die Länge wäre es doch ein gefährliches Spiel. Ich ehre die
ruhmreichen Waffen des alten Oestreich; aber die Klingen aus den Zeiten Fried¬
richs sind auch noch uicht geröstet, und Rußland ist eine zweideutige Stütze, die
eine veränderte Richtung der politischen Ereignisse leicht nach einer andern Seite
hintreiben kann. Außerdem kauu Oestreich sich der sehr einfachen Reflexion nicht
entziehen, daß man, wenn man nach allen Seiten hin complicirte und bedenkliche
Spekulationen treiben will, doch einmal nach seiner Tasche zu greifen hat. Spe-
culationen ohne allen Fonds haben keine Dauer.

Viel größer" Grund hat ein zweites Bedenken. Oestreich fürchtet in dem
cvnsolidirten preußischen Deutschland einen zu starken Magnet sür seine deutschen
Provinzen. Aber es kann die Nachbarschaft eines starken Preußen nur dadurch
vermeiden, daß es einem viel gefährlichern Nachbar seine Thür öffnet: der Revo¬
lution. Nur die Stärke Preußens verhütet die Wiederkehr der Scenen des vori¬
gen Jahres im westlichen Deutschland, und es bedarf nur eiues neuen Stoßes in
Frankreich, den man doch in keiner Weise berechnen kann, um eine neue Flamme
im Westen Oestreichs anzufachen, deren es sich schwerlich würde erwehren können.
Außerdem könnte ihm die Einsicht in die Nothwendigkeit seines Zusammenhangs,
vorausgesetzt, daß den vereinigten Staaten größere Garantien politischer Freiheit
geboten werden, was ich wenigstens durchaus nicht für unverträglich mit der Fort¬
dauer des Kaiserstaats halten kann, eine bessere Bürgschaft sein gegen den Abfall
seiner Provinzen, als das macchiavellistische Spiel mit Dentschland.

Die im Mai durch den General v. Canitz in Wien geführten Unterhand¬
lungen drehen sich nnn um folgenden Punkt. Preußen sagt: wir wollen die Re¬
volution allerdings unterdrücken, das können wir auf die Dauer aber nur so, daß.


das wäre eine Illusion. Der Sieg selber hat sein Bedenkliches, denn er macht
Oestreich von Rußland abhängig, und verwandelt den ganzen Staat eigentlich in
eine Reihe eroberter Provinzen, die unwillig dem siegreichen Joch sich beugen, so
lange sie uicht durch ein wirkliches Interesse an den Kaiserstaat gefesselt sind.
Außerdem concentrirt sich das wahre Interesse Oestreichs auf die slavischen Ost-
seeprovinzen und auf Italien. Auch die schlechteste Regierung wird das auf die
Länge nicht verkennen können. Die eigentlichen Gegner Oestreichs sind Frankreich
und Rußland. Um im Süden und Osten freies Spiel zu haben, bedarf es im
Norden einer mächtigen Hilfe. Diese kann ihm nur Preußen gewähren, um so
mehr, da seine Interessen in jenen Punkten nirgend collidiren. Eine enge, völker¬
rechtliche Allianz mit Preußen ist also für Oestreich eine politische Nothwendigkeit.

Zu dem Wunsche, Preußen nicht zu mächtig werdeu zu lassen, treibt es
ein doppelter Grund. Einmal die natürliche Eifersucht. Am liebsten möchte es
freilich die Hegemonie in Deutschland führen, wie in Italien und der türkischen
Grenze. Es hat dabei freilich mit einem diplomatisch sehr ungeübten Gegner zu
thun, aber auf die Länge wäre es doch ein gefährliches Spiel. Ich ehre die
ruhmreichen Waffen des alten Oestreich; aber die Klingen aus den Zeiten Fried¬
richs sind auch noch uicht geröstet, und Rußland ist eine zweideutige Stütze, die
eine veränderte Richtung der politischen Ereignisse leicht nach einer andern Seite
hintreiben kann. Außerdem kauu Oestreich sich der sehr einfachen Reflexion nicht
entziehen, daß man, wenn man nach allen Seiten hin complicirte und bedenkliche
Spekulationen treiben will, doch einmal nach seiner Tasche zu greifen hat. Spe-
culationen ohne allen Fonds haben keine Dauer.

Viel größer» Grund hat ein zweites Bedenken. Oestreich fürchtet in dem
cvnsolidirten preußischen Deutschland einen zu starken Magnet sür seine deutschen
Provinzen. Aber es kann die Nachbarschaft eines starken Preußen nur dadurch
vermeiden, daß es einem viel gefährlichern Nachbar seine Thür öffnet: der Revo¬
lution. Nur die Stärke Preußens verhütet die Wiederkehr der Scenen des vori¬
gen Jahres im westlichen Deutschland, und es bedarf nur eiues neuen Stoßes in
Frankreich, den man doch in keiner Weise berechnen kann, um eine neue Flamme
im Westen Oestreichs anzufachen, deren es sich schwerlich würde erwehren können.
Außerdem könnte ihm die Einsicht in die Nothwendigkeit seines Zusammenhangs,
vorausgesetzt, daß den vereinigten Staaten größere Garantien politischer Freiheit
geboten werden, was ich wenigstens durchaus nicht für unverträglich mit der Fort¬
dauer des Kaiserstaats halten kann, eine bessere Bürgschaft sein gegen den Abfall
seiner Provinzen, als das macchiavellistische Spiel mit Dentschland.

Die im Mai durch den General v. Canitz in Wien geführten Unterhand¬
lungen drehen sich nnn um folgenden Punkt. Preußen sagt: wir wollen die Re¬
volution allerdings unterdrücken, das können wir auf die Dauer aber nur so, daß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/365>, abgerufen am 05.02.2025.