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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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war, die alten Schätze czechischer Poesie abgestäubt und lesbar gemacht zu haben,
sondern daß er auch den treuherzigen Entschluß faßte, die Poesie seines Stammes
wieder aufleben zu machen, dadurch daß er Neues zu dem Alten schuf. Sehr
viel Schlechtes ist dadurch in unsere Literatur gekommen, ja die ganze "gebildete"
Poesie unserer Czechen erhält dadurch etwas Unausstehliches. Es ist so viel
Fadeö, Gemachtes, Gestohlenes in diesen Gedichten, so wenig echte Kraft, solcher
Ueberfluß an Phrasen, an Pedanterien und gespreizter Unfähigkeit, daß einem
unbefangenen Leser all diese Epopöen, dialogisirten Dramen und Cyklen von Ro¬
manzen u. s. w. höchst widerlich werden. Diese ganze Gelehrtenpoeste wird ver¬
achtet und vergessen sein, bevor die jetzige Generation vergangen ist. -- Von
unserem Volksliede und seinen Dichtern rede ich hier nicht, sie erhalten ein beson¬
deres Capitel.

Die Physiognomie unserer Gelehrten ist dnrch diese amtliche Beschäftigung
mit der Poeterei mehrfach bestimmt morden, im Allgemeinen können sie unter ihnen
zwei Klassen unterscheiden, den reinen Gelehrten und den Gelehrten mit schönen
Wallungen; ich gestehe, daß mir die Pedanterie der erstem viel lieber ist, als
die der zweiten. Hier ein Beispiel von diesem Gegensatz in zwei Männern.

In der Strahlensonnc der Polackyschen Autorität wärmen sich vor Allen seine
zwei Trabanten Wocel und Tönet, alle beide gewesene Reichötagsdeputirte der
slavischen Rechten. Herr Tönet ist nächst Palacky wohl der fleißigste und streb¬
samste böhmische Geschichtsforscher, dessen historische Schriften: seine kurze Ge¬
schichte Böhmens, seine Geschichte Prags, die allgemeine Weltgeschichte, die öst¬
reichische Staatengeschichte, alles jsehr wackere Sammelwerke in klarer, ruhiger
und glatter Darstellungsweise, sich eines sehr großen und wohlwollenden Leser¬
kreises erfreuen. Von dem Comitv zur 800jährigen Jubelfeier der Prager Uni¬
versität ward Tönet mit der Abfassung einer ausführlichen Geschichte dieser Hoch¬
schule betraut. Schade, daß mit Tonal's eisernem Fleiß und seiner großen Rou¬
tine nicht auch geistiger Scharfblick, originelle und tiefe Auffassung verbunden ist.
Er ist ein Mann in den dreißiger, Beamter am'Nationalmuseum, seine Persön¬
lichkeit hat so wenig Auffallendes, daß seine Beschreibung unseren Polizeibeamten
große Schwierigkeit mache" müßte, doch ist Hoffnung, daß er als loyaler, fried¬
licher und stabiler Herr fremde Späheraugen nie in die Verlegenheit setzen wird,
ihn aus seinem Signalement zu erkenne". Der echte Repräsentant unserer natio¬
nalen Vielschreiber, leidet er an dem bitteren Fluch der Gewöhnlichkeit, welche
sein Wesen, sein Leben und seiue Schriften, wie ein Nebelschein umgibt. Man
läßt ihn immer gelten, achtet seine Thätigkeit und seine Leistungen so lange, bis
man irgendwo das Bessere hat. Ob solche Männer eine wirkliche Bereicherung
für die Wissenschaft sind? Vielleicht doch, aber sie wirken als Masse, der Einzelne
ist wie die Ameise ohne Bau ein unvollständiges Wesen.


war, die alten Schätze czechischer Poesie abgestäubt und lesbar gemacht zu haben,
sondern daß er auch den treuherzigen Entschluß faßte, die Poesie seines Stammes
wieder aufleben zu machen, dadurch daß er Neues zu dem Alten schuf. Sehr
viel Schlechtes ist dadurch in unsere Literatur gekommen, ja die ganze „gebildete"
Poesie unserer Czechen erhält dadurch etwas Unausstehliches. Es ist so viel
Fadeö, Gemachtes, Gestohlenes in diesen Gedichten, so wenig echte Kraft, solcher
Ueberfluß an Phrasen, an Pedanterien und gespreizter Unfähigkeit, daß einem
unbefangenen Leser all diese Epopöen, dialogisirten Dramen und Cyklen von Ro¬
manzen u. s. w. höchst widerlich werden. Diese ganze Gelehrtenpoeste wird ver¬
achtet und vergessen sein, bevor die jetzige Generation vergangen ist. — Von
unserem Volksliede und seinen Dichtern rede ich hier nicht, sie erhalten ein beson¬
deres Capitel.

Die Physiognomie unserer Gelehrten ist dnrch diese amtliche Beschäftigung
mit der Poeterei mehrfach bestimmt morden, im Allgemeinen können sie unter ihnen
zwei Klassen unterscheiden, den reinen Gelehrten und den Gelehrten mit schönen
Wallungen; ich gestehe, daß mir die Pedanterie der erstem viel lieber ist, als
die der zweiten. Hier ein Beispiel von diesem Gegensatz in zwei Männern.

In der Strahlensonnc der Polackyschen Autorität wärmen sich vor Allen seine
zwei Trabanten Wocel und Tönet, alle beide gewesene Reichötagsdeputirte der
slavischen Rechten. Herr Tönet ist nächst Palacky wohl der fleißigste und streb¬
samste böhmische Geschichtsforscher, dessen historische Schriften: seine kurze Ge¬
schichte Böhmens, seine Geschichte Prags, die allgemeine Weltgeschichte, die öst¬
reichische Staatengeschichte, alles jsehr wackere Sammelwerke in klarer, ruhiger
und glatter Darstellungsweise, sich eines sehr großen und wohlwollenden Leser¬
kreises erfreuen. Von dem Comitv zur 800jährigen Jubelfeier der Prager Uni¬
versität ward Tönet mit der Abfassung einer ausführlichen Geschichte dieser Hoch¬
schule betraut. Schade, daß mit Tonal's eisernem Fleiß und seiner großen Rou¬
tine nicht auch geistiger Scharfblick, originelle und tiefe Auffassung verbunden ist.
Er ist ein Mann in den dreißiger, Beamter am'Nationalmuseum, seine Persön¬
lichkeit hat so wenig Auffallendes, daß seine Beschreibung unseren Polizeibeamten
große Schwierigkeit mache» müßte, doch ist Hoffnung, daß er als loyaler, fried¬
licher und stabiler Herr fremde Späheraugen nie in die Verlegenheit setzen wird,
ihn aus seinem Signalement zu erkenne«. Der echte Repräsentant unserer natio¬
nalen Vielschreiber, leidet er an dem bitteren Fluch der Gewöhnlichkeit, welche
sein Wesen, sein Leben und seiue Schriften, wie ein Nebelschein umgibt. Man
läßt ihn immer gelten, achtet seine Thätigkeit und seine Leistungen so lange, bis
man irgendwo das Bessere hat. Ob solche Männer eine wirkliche Bereicherung
für die Wissenschaft sind? Vielleicht doch, aber sie wirken als Masse, der Einzelne
ist wie die Ameise ohne Bau ein unvollständiges Wesen.


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[0359] war, die alten Schätze czechischer Poesie abgestäubt und lesbar gemacht zu haben, sondern daß er auch den treuherzigen Entschluß faßte, die Poesie seines Stammes wieder aufleben zu machen, dadurch daß er Neues zu dem Alten schuf. Sehr viel Schlechtes ist dadurch in unsere Literatur gekommen, ja die ganze „gebildete" Poesie unserer Czechen erhält dadurch etwas Unausstehliches. Es ist so viel Fadeö, Gemachtes, Gestohlenes in diesen Gedichten, so wenig echte Kraft, solcher Ueberfluß an Phrasen, an Pedanterien und gespreizter Unfähigkeit, daß einem unbefangenen Leser all diese Epopöen, dialogisirten Dramen und Cyklen von Ro¬ manzen u. s. w. höchst widerlich werden. Diese ganze Gelehrtenpoeste wird ver¬ achtet und vergessen sein, bevor die jetzige Generation vergangen ist. — Von unserem Volksliede und seinen Dichtern rede ich hier nicht, sie erhalten ein beson¬ deres Capitel. Die Physiognomie unserer Gelehrten ist dnrch diese amtliche Beschäftigung mit der Poeterei mehrfach bestimmt morden, im Allgemeinen können sie unter ihnen zwei Klassen unterscheiden, den reinen Gelehrten und den Gelehrten mit schönen Wallungen; ich gestehe, daß mir die Pedanterie der erstem viel lieber ist, als die der zweiten. Hier ein Beispiel von diesem Gegensatz in zwei Männern. In der Strahlensonnc der Polackyschen Autorität wärmen sich vor Allen seine zwei Trabanten Wocel und Tönet, alle beide gewesene Reichötagsdeputirte der slavischen Rechten. Herr Tönet ist nächst Palacky wohl der fleißigste und streb¬ samste böhmische Geschichtsforscher, dessen historische Schriften: seine kurze Ge¬ schichte Böhmens, seine Geschichte Prags, die allgemeine Weltgeschichte, die öst¬ reichische Staatengeschichte, alles jsehr wackere Sammelwerke in klarer, ruhiger und glatter Darstellungsweise, sich eines sehr großen und wohlwollenden Leser¬ kreises erfreuen. Von dem Comitv zur 800jährigen Jubelfeier der Prager Uni¬ versität ward Tönet mit der Abfassung einer ausführlichen Geschichte dieser Hoch¬ schule betraut. Schade, daß mit Tonal's eisernem Fleiß und seiner großen Rou¬ tine nicht auch geistiger Scharfblick, originelle und tiefe Auffassung verbunden ist. Er ist ein Mann in den dreißiger, Beamter am'Nationalmuseum, seine Persön¬ lichkeit hat so wenig Auffallendes, daß seine Beschreibung unseren Polizeibeamten große Schwierigkeit mache» müßte, doch ist Hoffnung, daß er als loyaler, fried¬ licher und stabiler Herr fremde Späheraugen nie in die Verlegenheit setzen wird, ihn aus seinem Signalement zu erkenne«. Der echte Repräsentant unserer natio¬ nalen Vielschreiber, leidet er an dem bitteren Fluch der Gewöhnlichkeit, welche sein Wesen, sein Leben und seiue Schriften, wie ein Nebelschein umgibt. Man läßt ihn immer gelten, achtet seine Thätigkeit und seine Leistungen so lange, bis man irgendwo das Bessere hat. Ob solche Männer eine wirkliche Bereicherung für die Wissenschaft sind? Vielleicht doch, aber sie wirken als Masse, der Einzelne ist wie die Ameise ohne Bau ein unvollständiges Wesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/359>, abgerufen am 05.02.2025.