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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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chen, mündlich, männlich und mit hoher Gesinnung; es wäre Anders gekommen.
Aber Kossuth war ein "frecher Parvenu". Die Aristokraten waren zu einseitig,
die französische Bildung des schwärmerischen Diktators für etwas anders, als für
einen Hochverrath zu erklären, und die Magyaren zu übermüthig, um den halben,
ungeschickten und zweideutigen Maßregeln des Ministeriums mehr als Verachtung
zu gönnen.

Es ist zur Krisis gekommen; wir gestehen, daß sie uns schmerzt.

Noch ist keine Zeit zum Siegesjubel für den loyalen Oestreicher, noch lassen
sich die Folgen von Görgey's Uebergabe in ihrer ganzen Ausdehnung gar nicht
übersehen, noch starren von allen Seite" die Klippen um das kecke Fahrzeug des
östreichischen Staats.

Wie sich der kolossale Bau retten will bei der Richtung, in welcher er segelt,
sehen wir auch jetzt noch nicht ab. Mehr aber als je thut ihm jetzt Eines Noth,
die große, gestaltende Kraft eines friedlichen Helden.




Portraits czechischer Gelehrten.



n.
Wocel und Tönet.

Die czechische Literatur, welche wie eine aufgeschossene Koralleninsel mitten
in dem Wogenschwall des deutschen Geistes liegt, hat durch ihre Lage und den
Weg ihrer Ausbildung einige Eigenthümlichkeiten erhalten, die nicht immer ein
Schmuck derselben sind. Erinnern Sie sich, daß die ganze czechische Literatur der
Gegenwart aus zwei Richtungen hervorging, ans den historischen, antiquarischen
und sprachlichen Studien der Gelehrten und aus den einfachen, aber frischen Lie¬
dern der czechischen Volksseele. Nach beiden Richtungen hat das deutsche Ausland
anregend gewirkt. Die grammatischen und literarhistorischen Studien seit Anfang
dieses Jahrhunderts, die Hagen, Grimm, Pertz u. s. w. haben einen wesentlichen
Einfluß aus den Styl, auf die Behandlung des Stoffes schon bei unseren ältern
Gelehrten gehabt, die romantische Passton der Gelehrten für das Volkslied, wel¬
ches man zuerst in Deutschland als eine naive Offenbarung der schöpferischen
Volkskraft auffaßte, hat auch bei uus die Gelehrten zuerst zu Herausgebern alter
Gedichte, dann zu Sammler" von Volksliedern und zuletzt selbst zu Poeten gemacht.
So geschah es, daß der größte Theil unsrer Literarhistoriker nicht damit zufrieden


chen, mündlich, männlich und mit hoher Gesinnung; es wäre Anders gekommen.
Aber Kossuth war ein „frecher Parvenu". Die Aristokraten waren zu einseitig,
die französische Bildung des schwärmerischen Diktators für etwas anders, als für
einen Hochverrath zu erklären, und die Magyaren zu übermüthig, um den halben,
ungeschickten und zweideutigen Maßregeln des Ministeriums mehr als Verachtung
zu gönnen.

Es ist zur Krisis gekommen; wir gestehen, daß sie uns schmerzt.

Noch ist keine Zeit zum Siegesjubel für den loyalen Oestreicher, noch lassen
sich die Folgen von Görgey's Uebergabe in ihrer ganzen Ausdehnung gar nicht
übersehen, noch starren von allen Seite» die Klippen um das kecke Fahrzeug des
östreichischen Staats.

Wie sich der kolossale Bau retten will bei der Richtung, in welcher er segelt,
sehen wir auch jetzt noch nicht ab. Mehr aber als je thut ihm jetzt Eines Noth,
die große, gestaltende Kraft eines friedlichen Helden.




Portraits czechischer Gelehrten.



n.
Wocel und Tönet.

Die czechische Literatur, welche wie eine aufgeschossene Koralleninsel mitten
in dem Wogenschwall des deutschen Geistes liegt, hat durch ihre Lage und den
Weg ihrer Ausbildung einige Eigenthümlichkeiten erhalten, die nicht immer ein
Schmuck derselben sind. Erinnern Sie sich, daß die ganze czechische Literatur der
Gegenwart aus zwei Richtungen hervorging, ans den historischen, antiquarischen
und sprachlichen Studien der Gelehrten und aus den einfachen, aber frischen Lie¬
dern der czechischen Volksseele. Nach beiden Richtungen hat das deutsche Ausland
anregend gewirkt. Die grammatischen und literarhistorischen Studien seit Anfang
dieses Jahrhunderts, die Hagen, Grimm, Pertz u. s. w. haben einen wesentlichen
Einfluß aus den Styl, auf die Behandlung des Stoffes schon bei unseren ältern
Gelehrten gehabt, die romantische Passton der Gelehrten für das Volkslied, wel¬
ches man zuerst in Deutschland als eine naive Offenbarung der schöpferischen
Volkskraft auffaßte, hat auch bei uus die Gelehrten zuerst zu Herausgebern alter
Gedichte, dann zu Sammler» von Volksliedern und zuletzt selbst zu Poeten gemacht.
So geschah es, daß der größte Theil unsrer Literarhistoriker nicht damit zufrieden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/358>, abgerufen am 05.02.2025.