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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Glück zu schaffen: ein freies Leben in einem vernünftig organisirten Staat. --
Erfüllt es diese Aufgabe, so wird sein Kampf gegen Ungarn ein gerechter werden;
wo nicht, so wird die Niederlage Ungarns das Verderben für Oestreich sein.

Aus dem Kampf und der Leidenschaft der brennenden politischen Gegensätze
soll sich die Zukunft des Kaiserstaats entwickeln. Die Negierung ist bis jetzt Un¬
garn gegenüber eine Partei gewesen, welche neue Forderungen gestellt hat; die
Ungarn unter Kossuth standen beim Ausbruch des Krieges fest auf den staatlichen
Privilegien der magyarischen Nation, denn selbst die Erweiterung, welche sie den¬
selben in der letzten Zeit vor dem Kriege gegeben hatten, war durch die kaiser¬
liche Sanction legalisirt worden. Die kaiserliche Regierung war vom Standtpunkt
deS Rechts in der bedenklichen Lage, daß sie den bestehenden, durch Gesetz und
Verträge geweihten Zustand gegenüber einseitig ändern wollte, "im Interesse des
Gesammtstaats, sür die Vernunft eines modernen Staats." Ihr theoretisches Recht
war das Bedürfniß des Gesammtstaats, welches sie als ein höheres dem bestehen¬
den Gesetz gegenüberstellte. Es ist sür uns nie zweifelhaft gewesen, daß das Recht
der Regierung an sich besser war, als das Recht der Ungarn, obgleich eS diesem
gegenüber ein Unrecht sein mußte; eben so wie die Ablösung der Roboten, die
Aufhebung der Standesprivilegien ein Recht des modernen Staatslebens und -
gleich ein Unrecht gegen die Privilegirten ist.

Aber die Sache stellte sich anders, als die Regierung eclatante Beweise gab,
daß sie nicht den Willen oder die Einsicht habe, an die Stelle des gebrochenen
Magyarenrechts eine höhere politische Organisation zu setzen. Die octroyirte Ver¬
fassung ist für die Verhältnisse Ungarns entschieden unbrauchbar, nicht weil sie
die Sympathien des Volkes nie gewinnen wird, sondern weil sie bei den Bil-
dungsverhältnissen Ungarns an die Stelle eines sehr rohen und mangelhaften,
aber männlichen und freien Selbstregiments, nothwendig -- selbst gegen den
Willen des Ministeriums -- zu einer schlechten Beamtenherrschaft führen wird,
wie wir sie in den alten Provinzen beklagen. Diese Verfassung gab den Ungarn
ans einmal ein höheres Recht, als sie bis dahin hatten, die russische Hilfe that
das Uebrige.

Es ist unnütz, die Maßregeln der Vergangenheit zu tadeln. Aber Eins soll
gesagt werden. Damals, als Wien gefallen war und Stadion die Regierung
übernahm , war es der Regierung noch möglich, ohne Todeskampf den Stolz der
Magyaren zu bewältigen. Hätten Stadion, der Graf, und Schwarzenberg, der
Fürst, die Größe gehabt, gradezu und mündlich mit dem bürgerlichen Rebellen
Kossuth zu verhandeln, ihm ehrlich zu sagen, Beide wollen wir das Wohl der
Völker, Ungarn und Oestreich gehören politisch zusammen, sehen wir zu, wie wir
unsere Ueberzeugungen ausgleichen können, Ungarn muß sich uns fügen, wie wir
dem Recht Ungarns, hätte man damals so zu der Intelligenz des Landes gespro-


Glück zu schaffen: ein freies Leben in einem vernünftig organisirten Staat. —
Erfüllt es diese Aufgabe, so wird sein Kampf gegen Ungarn ein gerechter werden;
wo nicht, so wird die Niederlage Ungarns das Verderben für Oestreich sein.

Aus dem Kampf und der Leidenschaft der brennenden politischen Gegensätze
soll sich die Zukunft des Kaiserstaats entwickeln. Die Negierung ist bis jetzt Un¬
garn gegenüber eine Partei gewesen, welche neue Forderungen gestellt hat; die
Ungarn unter Kossuth standen beim Ausbruch des Krieges fest auf den staatlichen
Privilegien der magyarischen Nation, denn selbst die Erweiterung, welche sie den¬
selben in der letzten Zeit vor dem Kriege gegeben hatten, war durch die kaiser¬
liche Sanction legalisirt worden. Die kaiserliche Regierung war vom Standtpunkt
deS Rechts in der bedenklichen Lage, daß sie den bestehenden, durch Gesetz und
Verträge geweihten Zustand gegenüber einseitig ändern wollte, „im Interesse des
Gesammtstaats, sür die Vernunft eines modernen Staats." Ihr theoretisches Recht
war das Bedürfniß des Gesammtstaats, welches sie als ein höheres dem bestehen¬
den Gesetz gegenüberstellte. Es ist sür uns nie zweifelhaft gewesen, daß das Recht
der Regierung an sich besser war, als das Recht der Ungarn, obgleich eS diesem
gegenüber ein Unrecht sein mußte; eben so wie die Ablösung der Roboten, die
Aufhebung der Standesprivilegien ein Recht des modernen Staatslebens und -
gleich ein Unrecht gegen die Privilegirten ist.

Aber die Sache stellte sich anders, als die Regierung eclatante Beweise gab,
daß sie nicht den Willen oder die Einsicht habe, an die Stelle des gebrochenen
Magyarenrechts eine höhere politische Organisation zu setzen. Die octroyirte Ver¬
fassung ist für die Verhältnisse Ungarns entschieden unbrauchbar, nicht weil sie
die Sympathien des Volkes nie gewinnen wird, sondern weil sie bei den Bil-
dungsverhältnissen Ungarns an die Stelle eines sehr rohen und mangelhaften,
aber männlichen und freien Selbstregiments, nothwendig — selbst gegen den
Willen des Ministeriums — zu einer schlechten Beamtenherrschaft führen wird,
wie wir sie in den alten Provinzen beklagen. Diese Verfassung gab den Ungarn
ans einmal ein höheres Recht, als sie bis dahin hatten, die russische Hilfe that
das Uebrige.

Es ist unnütz, die Maßregeln der Vergangenheit zu tadeln. Aber Eins soll
gesagt werden. Damals, als Wien gefallen war und Stadion die Regierung
übernahm , war es der Regierung noch möglich, ohne Todeskampf den Stolz der
Magyaren zu bewältigen. Hätten Stadion, der Graf, und Schwarzenberg, der
Fürst, die Größe gehabt, gradezu und mündlich mit dem bürgerlichen Rebellen
Kossuth zu verhandeln, ihm ehrlich zu sagen, Beide wollen wir das Wohl der
Völker, Ungarn und Oestreich gehören politisch zusammen, sehen wir zu, wie wir
unsere Ueberzeugungen ausgleichen können, Ungarn muß sich uns fügen, wie wir
dem Recht Ungarns, hätte man damals so zu der Intelligenz des Landes gespro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/357>, abgerufen am 05.02.2025.