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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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garn im Vortheil waren, haben wir nicht gejubelt, sondern an die Pflichten Deutsch¬
lands gegen Oestreich gedacht, dadurch haben wir das Recht erlaugt, jetzt zu
klagen.

Wie kommt es doch, daß die letzten Nachrichten aus den Schlachtfeldern der
Theiß wie eine Trauerkunde durch ganz Deutschland zogen? Und die Männer, welche
trauern, sind nicht nur die "Demokraten" des vorigen Herbstes, welche in Kossuth
einen Helden verloren haben. -- Die liberale Fraktion der Ungarn, welche Kossuth
führte, hatte mit der knabenhaften Politik der deutschen Radikalen sehr wenig ge¬
mein; sie war eine staatsmäunisch berechtigte Partei vou Patrioten, die ihren
Tendenzen und Forderungen nach ungefähr mit den Centren der vorjährigen
Nationalversammlung Schritt hielt, und selbst einer Linken gegenüberstand, die
sehr jung, sehr enthusiastisch, sehr entschieden war, aber ihrerseits auch noch sehr
dagegen protestiren würde, mit der ehemaligen Linken in Frankfurt zusammenge¬
worfen zu werden; wenigstens hat sie ihr Vaterland mehr geliebt, als sich selbst;
sie hat Kossuth nicht geliebt, aber sie hat ihn unterstützt und ist für ihn gefallen.
Wenn unsere conservativen Zeitungen den damals möglichen Sieg der Ungarn
als einen Sieg der Demokratie fürchteten, so zeigt das nur, wie wenig sie das
politische Detail Ungarns gekannt haben; Kossuth hatte nicht nöthig, in einem
Memorial an die Höfe sich gegen den Verdacht des Sanscnlvttismus zu verwah¬
ren; wer Ungarn kennt, weiß, daß dort eine "Herrschaft der Massen" vorläufig
ein Unding war, das Land ist seinen Interessen, seinen Sympathien, seiner Ge¬
schichte nach entschieden aristokratisch und wird es noch lange bleiben; Kossuth
repräsentirte selbst die Aristokratie des Geistes, welche sich in ihm gegen die Kaste
des ungarischen Adels auflehnte und zuletzt mit ihr vereinigte, das Volk verstän¬
dig zu regieren. Daß sich Alles aus Europa nach Ungarn zog, was revolutionäre
Gelüste hatte, edle Schwärmer und schlechte Subjekte, war sehr erklärlich und
eben so natürlich war es, daß die Ungarn diese rüstige Hilfe, -- eine andere kam
ihnen nicht -- für ihre Zwecke benutzten. Aber eben so gewiß ist, daß Polen
und Deutsche, ja selbst die Italiener mit den Ungarn sehr wenig zufrieden gewesen
wären, wenn es zur freundschaftlichen Abrechnung zwischen ihnen hätte'kommen
können.

Auch nicht die Feinde Oestreichs sind es allein, welche diesen Ausgang be¬
klagen. Wer besonnen urtheilt in Deutschland, muß das Leben und Gedeihen des
Kaiserstaats wünschen, trotz der russischen Allianz; er wird es wünschen, auch
wenn er es nicht mehr hoffen kann; aber dieses Ende des ungarischen Krieges
erscheint für die Zukunft des Kaiserstaats nur ein sehr zweifelhafter Gewinn. Die
Feldherrn haben gesiegt und der rohe Zwang des Krieges, nicht die Erkenntniß
des verständigen Vortheils von beiden Seiten; und Haynau heißt jetzt der Retter
Oestreichs. Eine solche Rettung ist nur Hilfe für deu Augenblick, hinter welcher


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garn im Vortheil waren, haben wir nicht gejubelt, sondern an die Pflichten Deutsch¬
lands gegen Oestreich gedacht, dadurch haben wir das Recht erlaugt, jetzt zu
klagen.

Wie kommt es doch, daß die letzten Nachrichten aus den Schlachtfeldern der
Theiß wie eine Trauerkunde durch ganz Deutschland zogen? Und die Männer, welche
trauern, sind nicht nur die „Demokraten" des vorigen Herbstes, welche in Kossuth
einen Helden verloren haben. — Die liberale Fraktion der Ungarn, welche Kossuth
führte, hatte mit der knabenhaften Politik der deutschen Radikalen sehr wenig ge¬
mein; sie war eine staatsmäunisch berechtigte Partei vou Patrioten, die ihren
Tendenzen und Forderungen nach ungefähr mit den Centren der vorjährigen
Nationalversammlung Schritt hielt, und selbst einer Linken gegenüberstand, die
sehr jung, sehr enthusiastisch, sehr entschieden war, aber ihrerseits auch noch sehr
dagegen protestiren würde, mit der ehemaligen Linken in Frankfurt zusammenge¬
worfen zu werden; wenigstens hat sie ihr Vaterland mehr geliebt, als sich selbst;
sie hat Kossuth nicht geliebt, aber sie hat ihn unterstützt und ist für ihn gefallen.
Wenn unsere conservativen Zeitungen den damals möglichen Sieg der Ungarn
als einen Sieg der Demokratie fürchteten, so zeigt das nur, wie wenig sie das
politische Detail Ungarns gekannt haben; Kossuth hatte nicht nöthig, in einem
Memorial an die Höfe sich gegen den Verdacht des Sanscnlvttismus zu verwah¬
ren; wer Ungarn kennt, weiß, daß dort eine „Herrschaft der Massen" vorläufig
ein Unding war, das Land ist seinen Interessen, seinen Sympathien, seiner Ge¬
schichte nach entschieden aristokratisch und wird es noch lange bleiben; Kossuth
repräsentirte selbst die Aristokratie des Geistes, welche sich in ihm gegen die Kaste
des ungarischen Adels auflehnte und zuletzt mit ihr vereinigte, das Volk verstän¬
dig zu regieren. Daß sich Alles aus Europa nach Ungarn zog, was revolutionäre
Gelüste hatte, edle Schwärmer und schlechte Subjekte, war sehr erklärlich und
eben so natürlich war es, daß die Ungarn diese rüstige Hilfe, — eine andere kam
ihnen nicht — für ihre Zwecke benutzten. Aber eben so gewiß ist, daß Polen
und Deutsche, ja selbst die Italiener mit den Ungarn sehr wenig zufrieden gewesen
wären, wenn es zur freundschaftlichen Abrechnung zwischen ihnen hätte'kommen
können.

Auch nicht die Feinde Oestreichs sind es allein, welche diesen Ausgang be¬
klagen. Wer besonnen urtheilt in Deutschland, muß das Leben und Gedeihen des
Kaiserstaats wünschen, trotz der russischen Allianz; er wird es wünschen, auch
wenn er es nicht mehr hoffen kann; aber dieses Ende des ungarischen Krieges
erscheint für die Zukunft des Kaiserstaats nur ein sehr zweifelhafter Gewinn. Die
Feldherrn haben gesiegt und der rohe Zwang des Krieges, nicht die Erkenntniß
des verständigen Vortheils von beiden Seiten; und Haynau heißt jetzt der Retter
Oestreichs. Eine solche Rettung ist nur Hilfe für deu Augenblick, hinter welcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/355>, abgerufen am 05.02.2025.