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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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wärtige Politik der Negierung war (23. Mai) nur dnrch die von Cavaignac
vorgeschlagene motivirte Tagesordnung beseitigt worden (436 : 184 Se.), welche
die Regierung energisch an die Beschlüsse vom 7. Mai erinnerte. Aber es war
zu spät.

Die am 13. Mai vollzogenen Wahlen hatten zwar eine bedrohliche Zahl
von rothen Republikanern in die Kammern gebracht, aber die ungeheure Majori¬
tät gehörte den verschiedenen Fractionen der monarchischen Partei an. Die "ho¬
nette" Republik war so gut wie gar nicht vertreten. Der Zusammentritt der
Legislative (26. Mai), war der Anfang eines neuen Frankreich, daraus wird
jene Depesche vom 29. Mai begreiflich. Zwar wurde das Ministerium (2. Juni)
aus Männern der gemäßigten Richtung ergänzt, (Tocqueville auswärtige An¬
gelegenheiten, Dufanre Inneres), aber schon dieser Umstand erregte die Unzu¬
friedenheit der legitimistischen Majorität. Die Botschaft des Präsidenten (7. Juni)
durfte den Kampf gegen Rom als ein und -"ocom^Il betrachten. Die italienische Angele¬
genheit gab der Bergpartei die letzte Haltung; Lcdru Nollin benutzte sie (11. Juni)
zu einer Anklage gegen das Ministerium. Die Sprache des Cvuseilspräsidenten
war diesmal sehr entschieden; er behauptete, daß der einzige Fehler, den man sich
vorzuwerfen habe, zu große Langmuth gegen die römischen Rebellen sei ; er adop-
tirte vollständig die Maßregel des commandirenden Generals, indem er sehr ge¬
schickt die Motivirung der Depesche vom 29. Mai zu vermeiden, und statt dessen
den Lesseps'schen Vertrag vom 31 Mai einzuschieben wußte, von dem er sagte: Jeder
Bürger, der in seinem Herzen eine Spur von Nationalstolz trägt, muß sich gegen
so freche Bedingungen empören, die nur aus unserer Nachgiebigkeit entsprungen
sind u. s. w. Die Versammlung nahm mit 361 : 203 Stimmen die einfache
Tagesordnung an; den folgenden Tag wurde die Anklage gegen den Präsidenten
verworfen, und die übereilten Schritte des Berges verursachten jene letzte Emeute,
mit welcher die vollständige Reaction beginnt. Es gab jetzt diejenige Fraction den
Ton an, welcher eigentlich Papst Pius IV. noch zu liberal war.

General Oudinot hatte am 3. Juni die Belagerung von Rom eröffnet. Die
Stadt der Cäsaren wurde auf eine so rücksichtslose Weise von deu barbarischen
Kugeln verheert, daß (24. Juni) sämmtliche Konsuln sich veranlaßt sahen, Protest
dagegen einzulegen. Die Römer mußten zuletzt einsehen, daß ihnen keine Wahl
mehr übrig bliebe, und so beauftragte (30. Juni) die constituireude Versammlung
das Triumvirat mit der Einleitung von Unterhandlungen, die, nachdem Gari¬
ll alti mit dem Kern der Truppen die Stadt verlassen, zum Einmarsch der Fran¬
zosen führte (3. Juli). Am folgenden Tag erließ Oudinot eine Proclamation, in
welcher der Eintritt einer vorläufigen Militärherrschaft verkündigt wurde. Gene¬
ral Nostolan wurde Gouverneur, Geueral Sauvan Platzcommandant. Von
den ehemaligen Häuptern der Republik flüchteten die Meisten in's Ausland; ge¬
gen die Zurückbleibenden wurden seit der Ankunft des päpstlichen Commissarius


wärtige Politik der Negierung war (23. Mai) nur dnrch die von Cavaignac
vorgeschlagene motivirte Tagesordnung beseitigt worden (436 : 184 Se.), welche
die Regierung energisch an die Beschlüsse vom 7. Mai erinnerte. Aber es war
zu spät.

Die am 13. Mai vollzogenen Wahlen hatten zwar eine bedrohliche Zahl
von rothen Republikanern in die Kammern gebracht, aber die ungeheure Majori¬
tät gehörte den verschiedenen Fractionen der monarchischen Partei an. Die „ho¬
nette" Republik war so gut wie gar nicht vertreten. Der Zusammentritt der
Legislative (26. Mai), war der Anfang eines neuen Frankreich, daraus wird
jene Depesche vom 29. Mai begreiflich. Zwar wurde das Ministerium (2. Juni)
aus Männern der gemäßigten Richtung ergänzt, (Tocqueville auswärtige An¬
gelegenheiten, Dufanre Inneres), aber schon dieser Umstand erregte die Unzu¬
friedenheit der legitimistischen Majorität. Die Botschaft des Präsidenten (7. Juni)
durfte den Kampf gegen Rom als ein und -»ocom^Il betrachten. Die italienische Angele¬
genheit gab der Bergpartei die letzte Haltung; Lcdru Nollin benutzte sie (11. Juni)
zu einer Anklage gegen das Ministerium. Die Sprache des Cvuseilspräsidenten
war diesmal sehr entschieden; er behauptete, daß der einzige Fehler, den man sich
vorzuwerfen habe, zu große Langmuth gegen die römischen Rebellen sei ; er adop-
tirte vollständig die Maßregel des commandirenden Generals, indem er sehr ge¬
schickt die Motivirung der Depesche vom 29. Mai zu vermeiden, und statt dessen
den Lesseps'schen Vertrag vom 31 Mai einzuschieben wußte, von dem er sagte: Jeder
Bürger, der in seinem Herzen eine Spur von Nationalstolz trägt, muß sich gegen
so freche Bedingungen empören, die nur aus unserer Nachgiebigkeit entsprungen
sind u. s. w. Die Versammlung nahm mit 361 : 203 Stimmen die einfache
Tagesordnung an; den folgenden Tag wurde die Anklage gegen den Präsidenten
verworfen, und die übereilten Schritte des Berges verursachten jene letzte Emeute,
mit welcher die vollständige Reaction beginnt. Es gab jetzt diejenige Fraction den
Ton an, welcher eigentlich Papst Pius IV. noch zu liberal war.

General Oudinot hatte am 3. Juni die Belagerung von Rom eröffnet. Die
Stadt der Cäsaren wurde auf eine so rücksichtslose Weise von deu barbarischen
Kugeln verheert, daß (24. Juni) sämmtliche Konsuln sich veranlaßt sahen, Protest
dagegen einzulegen. Die Römer mußten zuletzt einsehen, daß ihnen keine Wahl
mehr übrig bliebe, und so beauftragte (30. Juni) die constituireude Versammlung
das Triumvirat mit der Einleitung von Unterhandlungen, die, nachdem Gari¬
ll alti mit dem Kern der Truppen die Stadt verlassen, zum Einmarsch der Fran¬
zosen führte (3. Juli). Am folgenden Tag erließ Oudinot eine Proclamation, in
welcher der Eintritt einer vorläufigen Militärherrschaft verkündigt wurde. Gene¬
ral Nostolan wurde Gouverneur, Geueral Sauvan Platzcommandant. Von
den ehemaligen Häuptern der Republik flüchteten die Meisten in's Ausland; ge¬
gen die Zurückbleibenden wurden seit der Ankunft des päpstlichen Commissarius


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/346>, abgerufen am 05.02.2025.